Vorabdruck aus der BSZ vom 21.04.04:

Bochums Polizei überprüft Hunderte Muslime
"Nicht deutsch-ordentliche Verhältnisse"


Es passiert nicht gerade häufig, dass Bochum es in die überregionalen Medien schafft. Meistens sorgen, neben dem VfL, allenfalls das Schauspielhaus oder Starlight Express für über Bochum hinausreichende Aufmerksamkeit.
Neuerdings aber kommt noch ein übereifriger Polizeipräsident hinzu. Thomas Wenner ordnete am Freitag vergangener Woche die erkennungsdienstliche Behandlung aller Besucher zweier Bochumer Moscheen an - ohne konkreten Anfangsverdacht, dafür aber wegen angeblicher "ernst zu nehmender Akivitäten".
Mit dieser widersprüchlichen Begründung rechtfertigte Wenner den Großeinsatz mehrerer hundert Polizisten aus ganz NRW, die in Kampfmontur und mit Maschinenpistolen die verschreckten Besucher des Freitagsgebets überraschten. Alle aus den Moscheen herauskommenden Muslime mussten sich ausweisen und wurden gefilmt, womit die Polizei bezweckte, "terroristische Strukturen bzw. Gruppierungen bereits im Vorfeld zu erkennen". Über 120 der fast 500 Kontrollierten mussten, da sie keine Ausweispapiere bei sich trugen, überdies zum Polizeipräsidium. Drei von ihnen wurden vorläufig festgenommen, darunter einer, weil ein Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen ("dringender Verdacht, sich illegal in der Bundesrepublik aufzuhalten") festgestellt wurde. Schon tags darauf waren alle Festgehaltenen wieder entlassen. Die Medizinische Flüchtlingshilfe kritisierte am Sonntag, die Aktion habe "ein öffentliches Klima der Kriminalisierung, das eine ganze Religionsgemeinschaft unter Generalverdacht stellt", geschaffen. Der Bochumer Fall könnte als Musterstück der Unvereinbarkeit verdachtsunabhängiger Kontrollen mit den Grundrechten in die Geschichte eingehen. Parallelen lassen sich allenfalls bei der Rasterfahndung fi nden, die nach den Anschlägen in den USA im Oktober 2001 bundesweit an Hochschulen durchgeführt wurde. Damals hatte auch die Ruhr-Universität die Daten aller männlichen Studenten der Jahrgänge 1960 bis 1983 an die Polizei weitergegeben. Der AStA kritisierte seinerzeit die Rasterfahndung als "unverhältnismäßiges Mittel". Durch "ihre rassistischen Kriterien" würde "eine Gruppe von Studierenden unter Generalverdacht gestellt". Anders noch als bei der Rasterfahndung nimmt die Polizei diesmal für sich in Anspruch, "präventiv" vorzugehen. Vielleicht hat Wenner einmal zu oft "Minority Report" gesehen. Das Vorgehen nimmt sich jedenfalls so aus, als würde die Polizei vorsichtshalber alle Mitglieder eines Kaninchenzüchtervereins erfassen, nur weil einer von denen jemanden kennt, der schon mal eine Tüte Bonbons im Supermarkt geklaut hat.
War die Rasterfahndung vor anderthalb Jahren noch vom Innenministerium organisiert, so ist die aktuelle Bochumer Aktion übrigens spontan auf Wenners Initiative hin durchgeführt worden.

Terror in Bochum
Wenner brüstete sich am Freitag damit, den Appell von Schily aufgegriffen zu haben, "präventiv gegen das islamistische Netzwerk" vorzugehen. So spielen sich mehrere Faktoren gegenseitig in die Hände: eine bundesweit aufgebauschte Stimmung gegen "die Islamisten", die allgemeinen Vorgaben der Bundespolitik und ein nach öffentlicher Aufmerksamkeit drängender Polizeipräsident vor Ort. Dieser hatte zuletzt im Februar von sich reden gemacht, als er im Zusammenhang mit einem Bandenmord von Deutschen osteuropäischer Herkunft von einer Gewaltbereitschaft sprach, "die mehr asiatisch ist". Auch diesmal offenbarte Wenner in ähnlicher Weise eine offenbar tief sitzende rassistische Denkweise, als er hinsichtlich der Wohnsituation eines Teils der erkennungsdienstlich behandelten Muslime von "etwas schwierigen Verhältnissen, nicht deutsch-ordentlich" spricht. Paradoxerweise glaubt Wenner freilich, die Aktion richte sich nicht gegen den Islam: "Vielmehr schützt die Polizei die friedliebenden hier lebenden Muslime vor einem generellen und pauschalen Terrorverdacht."
Das sieht die Medizinische Flüchtlingshilfe ganz anders: "Derartige Übergriffe und Kriminalisierungen bestärken grundsätzlich ein gesellschaftliches Klima der Ablehnung und Ausgrenzung von in Deutschland lebenden MuslimInnen und leisten damit ihren Beitrag zu der seit Jahren steigenden Zahl rassistischer Übergriffe gegenüber den so Kriminalisierten", heißt es in ihrer Erklärung vom Sonntag.
Wie gut sich die Polizei die Einschränkung von Grundrechten hier lebender Bürger leisten kann, zeigt auch die affirmative Berichterstattung der Medien, von der Tagesschau bis zur Frankfurter Rundschau. Von den Lokalzeitungen hatten die Ruhr-Nachrichten, im Gegensatz zur WAZ, immerhin noch den Anstand, die wider
ihren Willen zum Gegenstand öffentlichen Interesses gewordenen Moscheebesucher auf den abgedruckten Fotos zu anonymisieren. Verdachtsunabhängiges und präventives Vorgehen von Strafverfolgungsbehörden, immer wieder gerne als Allheilmittel gegen Terrorismus gepriesen, gehören jedenfalls zurück dahin, wo sie herkommen: in die Mottenkiste des Strafverfolgungsinstrumentariums totalitärer Staaten.
Hans Martin Krämer