Das Flugblatt als rtf-Datei
Ruhrgebiets-Arbeitsgemeinschaft  ”Soziale Grundrechte!”

c/o Bahnhof Langendreer, Wallbaumweg 108, 44894 Bochum, Kontakt: G. Nierstenhöfer, 02325-793400
 Juni 2003

 

Agenda 2010: Die Regierung will jetzt das Programm der Unternehmer umsetzen !

 

Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, hat im vergangenen Jahr zum 1.Mai , also vor der Bundestagswahl vom September 02, verkündet, was sich in Deutschland ändern müsse.

 

Er forderte (laut „Junge Welt“ vom 1.5.02)  »mutige Schritte« auf dem Weg zur Deregulierung der Sozialsysteme und des Arbeitsmarktes, er forderte Abkehr von der Tarifautonomie. Er sagte, Kündigungsschutz, Mitbestimmung, Versicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte müssten eingeschränkt und ein subventionierter Niedriglohnsektor müsse flächendeckend eingeführt werden.

Auf dem Gebiet der Sozialpolitik forderte Rogowski eine deutliche Reduzierung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die Heraufsetzung des Rentenalters, die Absenkung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Auch das Niveau der gesetzlichen Rente fand er noch viel zu hoch.

 

In der Steuerpolitik forderte er weitere spürbare Entlastungen für die Unternehmen.

In der Umweltpolitik wandte er sich gegen gesetzliche Auflagen, die investitionshemmend seien.

In der Bildungspolitik propagierte er mehr Konkurrenz und die Erhebung von Studiengebühren.

Auch eine deutliche Erhöhung des Wehretats gehörte zum Programm des Industrieverbandschefs.  Zugleich wandte er sich gegen den, wie er frech behauptete, viel zu großen politischen Einfluß der Gewerkschaften und gegen das Streikrecht, denn Streiks seien »martialische Instrumente aus dem vorletzten Jahrhundert«.

 

 

Ein Jahr später kann Herr Rogowski sehr zufrieden sein. Viele seiner Forderungen sind erfüllt, etliche Gesetze zur Erfüllung seiner Forderungen sind in Vorbereitung.  Aber es wäre ein Irrtum anzunehmen, daß sich Herr Rogowski nun befriedigt zurücklehnen würde. Alle Erfahrung lehrt: Je mehr das Kapital zu fressen bekommt, desto hungriger wird es.

 

Das Konzept der Konzerne, Rogowskis Programm, ist per „Kommissionsbericht“ durch deren Vorsitzenden Professor Rürup präsentiert worden:  z.B. Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, Abschaffung des Krankengeldes und so weiter. Der Kanzler nimmt es feierlich entgegen und verspricht, es 1:1 umzusetzen. Das heißt: Der angeblich freigewählte Deutsche Bundestag soll nichts daran ändern.

Das Parlaments brauchen wir demnach künftig gar nicht mehr zu wählen.

 

Nun behauptet Schröder bei jeder Gelegenheit, zu dieser Politik gebe es keine Alternative: »Es muß gespart werden.« Diese Phrasen werden so oft wiederholt, auch von der Bild-Zeitung, auch bei Frau Christiansen, daß vielleicht manche von uns meinen, es müsse doch etwas daran sein.

 

Dennoch steckt hinter all diesen Grausamkeiten nicht das Schicksal. Dahinter stecken andere Interessen.

 

Was heißt überhaupt sparen?

»Es muß gespart werden« - wieso eigentlich? Sparen bedeutet, Geld zurücklegen für spätere größere Anschaffungen oder für etwaige schlechtere Zeiten.

Aber wenn die tonangebenden Politiker »sparen« sagen, meinen sie etwas ganz anderes. Sie meinen: die Armen ärmer machen. Sie meinen Umverteilung von unten nach oben, so daß die Reichen noch reicher werden. Da wird kein Geld zurückgelegt, da wird nichts gespart, im Gegenteil.

Und wenn sie sagen: »Es muss gespart werden«, statt offen anzukündigen, daß sie uns unser Geld wegnehmen, unsere sozialen Rechte beschneiden, Sozialleistungen abschaffen wollen, dann versuchen sie mit diesem »Es muss«, immer nur den heiligen Sachzwang vorzuschieben, der das angeblich gebietet und keine Alternative lässt.

 

 

Auf die Frage nach den Zielen ihrer Politik bekommen wir wechselnde Antworten. Zum Beispiel sagen sie, ihr vorrangiges Ziel sei der Abbau der Massenarbeitslosigkeit. Später scheint das dann ein Mißverständnis gewesen zu sein: Deutlich reduziert wird nicht die Massenarbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosenunterstützung. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter. Oder sie sagen, vorrangiges Ziel sei der Schuldenabbau.  Auch das klingt nicht schlecht. Tatsächlich aber nimmt die Verschuldung weiter zu. Dann heißt es: Nein, vorrangiges Ziel sei das Wirtschaftswachstum, davon hänge alles ab, auch der Schuldenabbau, auch der Abbau der Arbeitslosigkeit. Und nun warten wir auf den verheißenen Aufschwung, der im vorigen Frühjahr kommen sollte und dann im Herbst und dann im Frühjahr 2003, im nächsten Quartal, im übernächsten. Aber keiner weiß, woher der Aufschwung kommen soll!

Kurz: All die angeblich vorrangigen Ziele der Politik scheinen denen, die sie uns in Sonntagsreden verkünden, doch nicht so wichtig zu sein. Offenbar gibt es andere Ziele, die ihnen wichtiger sind (interessant ist die Parallele zu den verschiedenen Irak-Kriegs-Begründungen: auch hier wurden alle heiligen Gründe aufgetischt – mit Ausnahme des wahren Grundes: Öl)

Wir wissen es: Es gibt ein Programm, das Politiker unterschiedlicher parteipolitischer Färbung sorgfältig Punkt für Punkt abarbeiten: das Rogowski-Programm zur verschärften Ausbeutung, zur Ansammlung von Milliarden und Abermilliarden, mit denen das große Geld auf dem Weltmarkt spekuliert und, je mehr Spekulationen platzen, um so gieriger spekuliert.

 

Kein Geld da?

Als Entschuldigung für alle Verschlechterungen unserer sozialen Lage und unserer Zukunftsaussichten hören wir immer wieder: Es sei kein Geld da. Eine glatte Lüge.

Gewiß, die Kommunen leiden unter knapper werdenden Finanzen,  unter anderem deswegen, weil ihnen die Steuerpolitik des Bundes Einnahmequellen gekappt hat. Aber insgesamt ist dieses Land nach wie vor ein sehr reiches Land, so reich, dass es mühelos alle seine sozialen Probleme lösen könnte.

 

Aber wo steckt das Geld?

Die große Verschwendung:

Ein Staat, der die Reichen „entlastet“ und dafür die Armen mehr und mehr belastet, ist kein  „Sozialstaat“. Und es ist eine grobe Irreführung, wenn tonangebende PolitikerInnen behaupten, es sei kein Geld da - nachdem sie selber die Vermögenssteuer abgeschafft haben, die in anderen westlichen Industriestaaten weiterhin erhoben wird. Seit vorigem Jahr verzichtet Minister Eichel unter anderem auch auf die Besteuerung von Gewinnen aus dem Verkauf von Unternehmensbeteiligungen und läßt sich dadurch zig Milliarden Euro entgehen.

 

Der Staat finanziert sich zu einem immer größeren Teil aus der Lohnsteuer, also von dem Geld, das er uns abhängig Beschäftigten abknöpft, während die Besteuerung der Reichen und der Unternehmen, vor allem der großen Konzerne, gegen Null fällt.  So können die privaten Geldvermögen ins Unermeßliche wachsen - desgleichen die Managergehälter (seit Jahren im Durchschnitt um 30 Prozent).

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer.

 

Wenn behauptet wird, es sei kein Geld da, sollten wir auch auf die Rüstungsmilliarden hinweisen. Von der einst verheißenen Friedensdividende ist bis heute nichts zu sehen. Im Gegenteil, neue große Rüstungsprojekte sind in Auftrag gegeben, und Kanzler Schröder kündigte kürzlich verstärkte Aufrüstung an – für militärische Interventionen in aller Welt.

 

Die größte Verschwendung aber ist die Massenarbeitslosigkeit. Zu dem inhumanen Irrsinn einer Politik im Sinne des Rogowski-Programms gehört es, die Arbeitszeit nicht weiter zu verkürzen, wie es dem technischen Fortschritt entspräche, sondern die Arbeitszeit wieder zu verlängern. Und Herr Rürup schlägt nun vor, die gesetzliche Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre zu verlängern - und Mitglieder der Bundesregierung stimmen sofort zu.

 

Neuerdings müssen die Älteren unter uns hören: bis 67 arbeiten, und ab 75 Jahren bei Krankheit nur noch Schmerzmittel. Und wer vor 67 arbeitslos wird, kann seiner Quasi-Enteignung entgegensehen!

 

Wir müssen der bitteren Wahrheit ins Auge sehen, daß die brutale Reaktion im Lande, die neben dem Bundesverband der Deutschen Industrie auch die Bild-Zeitung und viele andere Massenmedien umfaßt,  auch die SPD und die Grünen auf Ihrer Seite hat!

 

 

Das große Geld, das national und international regierende Kapital, raubt uns, was die Arbeiterbewegung und die soziale Bewegung in Generationen mühsam erstritten haben.

Aber wenn uns das alles Stück um Stück wieder entzogen werden kann, halten wir es offenbar nicht genug fest!

Die französischen GewerkschafterInnen halten  gegen die auch dort geplante sogenannte Rentenreform an Streik und Generalstreik fest.

Ähnlich handeln die österreichischen KollegInnen. Wir, alle Lohnabhängigen in Deutschland, ob in Fabriken, Kaufhäusern, Banken oder Schulen, ob arbeitslos oder in Minijobs,  wir müssen wie unsere KollegInnen in Frankreich oder Österreich massenhaft auf die Straße gehen! Auch wenn hierzulande führende Leute in den Gewerkschaften das möglicherweise nicht wollen.

Wenn Räuberei zur Politik wird, wird Widerstand zur Pflicht!

 

 (Grundlage dieses Textes ist zu wesentlichen Teilen die 1.- Mai-Rede des Journalisten Eckhart Spoo, („Ossietzky“) in Neu-Ulm)

 

Die AG Soziale Grundrechte trifft sich an jedem 1. Montag im Monat im Bahnhof Langendreer. Achtung: nächstes Treffen ausnahmsweise bereits am Montag, den 30.Juni (!), 18.00 Uhr .