Ich gehöre zu keiner Organisation, sondern bin einfach eine der Töchter, die wütend sind und ihre Stimme nutzen möchten. Ich bin einfach irgendeine Frau, die im Kampf gegen Ungleichheit und Diskriminierung ihr Bestes gibt. Damit bin ich Teil der Gesellschaft, in der wir leben. Als solcher möchte ich mich hier gegen den Rassismus aussprechen. Die Rechten werden mehr und lauter. Also müssen wir mehr und lauter werden. Das hier ist mein erster Redebeitrag für eine politische Kundgebung. Auch wenn ich wahrscheinlich genau das sage, was ihr euch alle auch denkt, ist es mir wichtig, als weiße Frau eine antirassistische Einstellung sichtbar zu machen.
Mittlerweile hat Herr Merz erläutert, was er angeblich mit seiner Aussage zum Stadtbild gemeint hat. Da wir ihm das keine Sekunde abnehmen, möchte ich an dieser Stelle auf seine ersten absichtlich vagen Aussagen eingehen. Auch, wenn er sich nun mit einem Mal für Einwanderung ausspricht und erklärt, er habe nie von Hautfarbe gesprochen, wissen wir ganz genau, was Herr Merz gemeint hat. Und wir wissen, dass das Aussehen eines Menschen nichts über dessen Wert oder Verhalten aussagt. Als Person, die in Bochum Wattenscheid aufgewachsen ist, frage ich mich wirklich, wie man auf die Idee kommen könnte, das Aussehen der Menschen könnte ein Problem für das Stadtbild sein. Gerade hier im Ruhrgebiet leben einfach völlig unterschiedlich aussehende Menschen in wirklich hässlichen und heruntergekommenen Innenstädten. Würde Herr Merz sich tatsächlich um das Stadtbild und um die Sicherheit von Menschen sorgen, würde er Aspekte der Nachhaltigkeit in der Stadtplanung angehen. Er könnte von Aufenthaltsqualität in Städten sprechen, von begrünten und klimaangepassten Straßenräumen und von der Abschaffung von Angsträumen. Stattdessen hetzt er gegen Menschen, die zu unserer Gesellschaft gehören und ohne die wir auf so viele verschiedene Arten wirklich arm wären. Leider ist er nicht der einzige.
Ich hab mich schon länger gefragt, was es braucht, um uns Frauen und weiblich gelesene als Gruppe zu mobilisieren. Merz hat uns nicht direkt angegriffen, er hat uns etwas unterstellt. Damit hat er etwas angegriffen, von dem uns vorher wohl nicht ausreichend bewusst war, wie sehr es uns vereint: unsere Werte. Ich hab diese Woche noch mit Freundinnen über unsere Werte gesprochen. Wir haben uns gefragt, wie wir unsere eigenen Werte eigentlich herausfinden. Wenn wir darüber nachdenken, können wir oft die Werte am besten greifen, für die wir uns einsetzen, die nicht ganz erfüllt werden. Zum Beispiel ist der Wert der Sicherheit für verschiedene Menschen unterschiedlich wichtig, weil er nicht bei allen gleich stark angegriffen wird. Gerade Männern und weißen Frauen wird oft erst bewusst, wie selbstverständlich sie in vielen Situationen sicher waren, wenn sie es plötzlich nicht mehr sind. Meine Freundinnen und ich waren uns einig, dass uns daher unsere tiefsten Werte oft nicht bewusst sind, bis sie verletzt oder falsch dargestellt werden. Und das hat Merz mit seiner Aussage gemacht. Er ist der Annahme, die Töchter dieses Landes würden seine rassistische Weltsicht teilen. Und viele spüren kollektiv, dass er uns damit unseren Wert der Gerechtigkeit abspricht. Er spricht uns ab, dass wir erkennen, wer uns tatsächlich
gefährlich wird: Männer in unserem persönlichen Umfeld und Männer wie er. Er benutzt unser Bedürfnis nach Sicherheit für seine rassistischen Aussagen. Und das als ein Mann, der selbst aktiv dafür sorgt, dass Frauen weiterhin Angst haben müssen. Er arbeitet aktiv daran, dass Frauen in Deutschland weiterhin nicht gleichberechtigt leben, findet Gewalt gegen Frauen nicht problematisch, solange sie von weißen Männern ausgeübt wird. Die Angst und Unsicherheit, die er selbst am Leben hält, will er dann benutzten, um uns unsere Werte der Gemeinschaft und Solidarität abzusprechen. Er benutzt sie, um People of Colour in unserer Gesellschaft Angst zu machen. Eine Angst wird instrumentalisiert, um die andere zu verstärken. Er geht davon aus, dass wir nicht verstehen, was er da tut. Aber das tun wir. Einige von uns haben sich vorher bereits engagiert und waren laut. Wir waren bisher zu wenige und zu leise. Wir dürfen keine weiteren rassistischen Entgleisungen und Kriminalisierung brauchen, um unsere Werte und Gemeinsamkeiten zu erkennen. Also müssen wir diese Entgleisung von Herrn Merz nutzen, um uns zusammenzuschließen und uns klar gegen Rassismus zu positionieren. Bei aller Empörung darüber, dass wir als Frauen instrumentalisiert werden, müssen wir beachten, dass wir von seiner Politik und seinen Aussagen unterschiedlich stark betroffen sind. Als Frau weiß ich, dass ich mich in vielen alltäglichen Situationen sehr viel unsicherer fühlen muss als Männer. Als Weiße weiß ich, dass ich sehr viel sicherer bin als People of Colour. Als weiße Frauen werden wir nicht kriminalisiert. Da ich hier gerade als weiße Frau spreche, möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, dass Feminismus inklusiv und intersektional sein muss und wir uns für eine gerechte Gesellschaft für alle einsetzen. Und das müssen wir auch weiterhin tun, wenn wir nicht gerade öffentlich angesprochen werden.
Seine Aufforderung, die Töchter zu fragen, beantwortet also meine Frage, was es braucht, um uns Frauen als solche zu mobilisieren. Jetzt haben wir einen Slogan: Wir sind die Töchter. Ich habe von vielen Frauen gehört, die genau diese Verleumdung von Merz uns gegenüber als Anlass nehmen, von ihren Erfahrungen zu berichten und klarzustellen, dass der Großteil der Gewalt, die wir erleben, nicht von Männern mit Migrationsgeschichte ausgeht. Wir sind die Töchter und wir wissen, dass das „Stadtbild“ nicht das Problem ist. Wir wissen, dass Rassismus das Problem ist und dass Herr Merz nur aus rassistischen Motiven so tut, als würde er sich für das Wohlergehen von Frauen interessieren. In Vorbereitung auf diesen Redebeitrag habe ich gelernt, dass diese Instrumentalisierung von Frauenrechten für rassistische Zwecke so weit verbreitet ist, dass es dafür bereits einen Fachbegriff gibt: Femonationalismus. Den hat Herr Merz nicht erfunden, aber er glaubt, dieses Prinzip wirksam einsetzen zu können. Wir stehen heute hier, um zu zeigen, dass wir das nicht mitmachen. Dass wir uns nicht in exklusiven, weißen Feminismus reinmanipulieren lassen, sondern uns als Frauen auch für die Rechte von Männern mit tatsächlicher oder vermeintlicher Migrationsgeschichte einsetzen. Natürlich auch für die von Frauen mit tatsächlicher oder vermeintlicher Migrationsgeschichte, doch Merz‘ Aussage fokussiert ja gerade die Männer und kriminalisiert sie. Und das macht leider nicht nur unser Kanzler, er ist ein erschreckendes Symbol für diese rassistische Einstellung und Rhetorik.
Eine meiner Freundinnen hatte in dem Gespräch gefragt, ob es wohl etwas bringt, diese Rede zu halten. Herr Merz ist an meiner Meinung wohl kaum interessiert. Das stimmt. Würde er sich für die Antworten der Töchter interessieren, wäre er nicht der Mann, der er ist. Aber so wie er versucht, eine Gesellschaft zu schaffen, die ausgrenzt, verachtet, misstraut – so stehen wir für eine Gesellschaft, die zusammenhält, Verbindung sucht und aufrechterhält. Für eine Gesellschaft, die Gerechtigkeit und einen sicheren Platz für alle möchte. Und die Menschen, die er angreift, müssen wissen, dass es uns gibt. Wenn jemand wie Herr Merz ein feindseliges Klima schafft, müssen wir uns dem entgegenstellen und ein offenes und sicheres Klima schaffen. Der Bundeskanzler hat in seinem Amt einen großen Einfluss. Mein Redebeitrag wird nicht den gleichen Anklang finden, wie drei grausame Sätze aus seinem Mund. Und trotzdem müssen wir zeigen, dass es uns gibt und sichtbar eine Gesellschaft sein, in der alle Menschen sich auf die Straße trauen. Alle Menschen, nicht nur Weiße, nicht nur Männer und schon gar nicht nur weiße Männer.
Herr Merz möchte uns mit seinen Aussagen spalten. Er stellt sich vor, dass die weißen Frauen ihm zustimmen. Dass wir aus Angst vor patriarchaler Gewalt aufhören, uns mit dem Thema Rassismus auseinanderzusetzen oder gar nicht erst damit anfangen. Das darf nicht passieren. Stattdessen müssen wir uns immer weiter klarmachen, wie die Hierarchien in unserer Gesellschaft aufgebaut sind, wer davon profitiert und wer darunter leidet. Wir weißen Frauen müssen uns unserer Privilegien und unserer Verantwortung bewusst sein und wissen, wofür wir uns einsetzen. Nämlich für das Abschaffen von Hierarchien und Machtverhältnissen, auch wenn sie uns nicht direkt betreffen. Lasst uns die Manipulation von Herrn Merz uns gegenüber nutzen, um uns endlich zusammenzuschließen und gemeinsam aufzustehen. Lasst uns Netzwerke bilden und Möglichkeiten finden, einander zu stärken. Lasst uns gemeinsam für unsere Werte einstehen und Raum schaffen und erhalten für die Menschen, die unter der rechten Politik am meisten leiden.
Vielen Dank.