Sonntag 24.12.23, 16:26 Uhr
Demonstration am 1. Mai 2020 durfte nicht verboten werden

Die Stadt Bochum brauchte 3½ Jahre zur Einsicht in ihr unrechtmäßiges Verhalten


1. Mai 2020 vor dem Schauspielhaus

Die Organisator:innen einer 1. Mai-Kundgebung in Bochum im Jahr 2020 haben frohe Botschaft: »Die Stadt Bochum hat eingeräumt, dass sie vor 3 ½ Jahren rechtswidrig handelte, als sie die damals angemeldete Demonstration verbot. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verkündete jetzt ein “Anerkennungsurteil”, in dem die Rechtswidrigkeit festgestellt und die Kosten des Verfahrens der Stadt aufgebrummt werden.

Was lange gährt, wird endlich gut
Rückblende April 2020: Staatliches Handeln wird auch in Bochum durch Covid-19 geprägt: Kommunale Handlungsfähigkeit soll reibungslos aufrechterhalten werden. Bürgerbeteiligung stört die Verwaltung und wird “wegen Corona” völlig ausgeschaltet. Selbst gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung fällt aus, Planungs- und Entscheidungsprozesse werden jedoch ungebremst fortgesetzt. Das Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung will mit einer Aktion auf diesen Missstand aufmerksam machen und „darf“ mit max. 30 Menschen in größtmöglicher Entfernung voneinander auf dem Rathausvorplatz Schilder hoch halten.

Das war kurz vor dem 1. Mai und vor diesem Hintergrund bildet sich ein Bündnis von vielen Organisationen (u.a. Stadt für Alle, Attac, Linksjugend) und engagiert sich für eine sichtbare 1. Mai-Demo, die – bei ernsthafter Einhaltung von Corona-Schutzmaßnahmen – ein Zeichen für politische Einmischung und gegen die Isolation engagierter Menschen setzen soll.

Doch das Ordnungsamt der Stadt Bochum hat sich schon damals so aufgeführt, als wäre es der persönliche Wachhund des NRW-Demonstrations-Verbots-Ministers Reul: Die angemeldete Demonstration wird verboten, lediglich eine Mini-Kundgebung vor dem Schauspielhaus wird geduldet. Auch die Aufforderung der Veranstalter:innen verbindlich zu erklären, in ähnlichen Fällen die inzwischen vorliegenden Urteile zu akzeptieren und eine solche Demonstration nicht zu untersagen, weist die Stadt zurück. Die Veranstalter:innen bestehen darauf hin auf einer schriftlichen Verbotsbegründung.
Zur rechtlichen Klärung – vor allem zum zukünftigen Vorgehen der Stadt – wurde daher Anfang Juni 2020 eine Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht, damit nachträglich die Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Stadt festgestellt werden soll. Die Reaktion der Stadt: Aussitzen wie bei Ex-Kanzler Kohl. Auch wenn mehrfach (Alle Jahre wieder!) von unserem Anwalt darauf hingewiesen wurde, dass weitere Gerichte in solchen Fällen die Rechtswidrigkeit der Demo-Verbote festgestellt hatte, reichte dies der Stadt Bochum nicht, ihre rechtswidrige Verbotshaltung aufzugeben und damit das Gerichtsverfahren zu beenden.
Auch als im Juni 2023 von uns darauf hingewiesen worden war, dass sogar das Bundesverwaltungsgericht in einem ähnlichen Fall demonstrationsfreundlich entschieden hatte, brauchte die verstockte Stadt Bochum noch über fünf Monate, um endlich anzuerkennen, dass ihr Verbotsbescheid vom Frühjahr 2020 rechtswidrig war.
Und die Moral von der Geschicht? Die Mühlen der Justiz dürfen nicht sooo langsam mahlen, dass der Eindruck erweckt wird, die staatliche Missachtung eines Grundrechtes wird als Bagatelle behandelt.
Der Oberbürgermeister und seine Dezernent:innen sollten sich bewusst werden, dass die Stadt grundsätzlich keine Demonstrationen verbieten darf. Wenn das Seuchengesetz den Kommunen auch unglaubliche Vollmachten gibt, müssen die Stadtoberen die in der Verfassung formulierten Grundrechte respektieren. Die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit gehört zu diesen Grundrechten.
Dass Grundrechte gegen den Obrigkeitsstaat erkämpft wurden und ständig erneut verteidigt werden müssen, dürfen wir nicht vergessen. Schon bei unserem Sprachgebrauch müssen wir aufpassen. Grundrechte werden nicht “gewährt”. Das gilt nur in Monarchien und Diktaturen. Grundrechte (übrigens auch das auf Asyl) werden im Grundgesetz garantiert.
Für Demonstrationen müssen deshalb auch keine Genehmigungen beantragt werden. Sie müssen nur bei der Polizei angemeldet werden. Die Polizei kann Auflagen erteilen. Die können zum Schutz von Demonstrationen sogar manchmal sinnvoll sein. Mit Verboten scheiterte sie bisher fast immer vor dem Bundesverfassungsgericht.

Das zwar späte Einräumen der Stadt, rechtswidrig gehandelt zu haben und damit die Entscheidung, dass nicht wir die Gerichtsgebühren bezahlen, lässt dieses Jahr zumindest ein bisschen versöhnlich ausklingen.«

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen: