Mittwoch 27.01.16, 16:17 Uhr
Bürger_innenversammlung Rosenberg:

Gerade noch mal gutgegangen 7


Von Norbert Hermann, Bochum-Prekär
Jetzt rächt sich die Politik der letzten 15 Jahre: abgehängte Bewohner_innen eines abgehängten Quartiers machten ihrem Unmut Luft über die Vernachlässigung ihrer Lebensbedürfnisse. Die könnten durch eine Flüchtlingsunterkunft für 600 Menschen (bei 6.000 Alteinwohner_innen) nochmals eingeschränkt werden. Wären da nicht die Aktiven vom Alten Amtshaus Harpen (1) und die kritisch-solidarischen Menschen der „Protestgemeinschaft Nordbad/Rosenberg“ und die Krakelenden rhetorisch besser aufgestellt gewesen, der Abend hätte ein böses Ende genommen.

Etwa 400 Menschen drängten sich in den Saal des Amtshauses, der eigentlich nur für 200 zugelassen ist. Die große Mehrheit kritisch bis offen ablehnend gegenüber den Plänen der Stadt, auf dem Brachland des ehemaligen Nordbades eine Flüchtlingsunterkunft für 600 Menschen errichten zu wollen. Bis auf ein-zwei Dutzend, denen niemand im Dunklen begegnen möchte und deren Hauptproblem die Sorge war, ihrerseits einem Neuankömmling begegnen zu müssen („Das sind doch keine Menschen!“), wurden starke sachliche Argumente angeführt, warum die Pläne der Stadt abzulehnen sind. Auch die Bezirksvertretung Nord hat sich in ihrer Sitzung am gestrigen Dienstag dagegen ausgesprochen (1) und schlägt eine Verkleinerung auf 200 Plätze vor. Angesichts einer fehlenden Grundschule, fehlender Kirchengemeinden, fehlender Einkaufsmöglichkeiten und einem hohen Anteil an einkommensschwachen Familien und ehedem Eingewanderten, vor allem aus Teilen der ehemaligen Sowjetunion, sieht die „Protestgemeinschaft Nordbad/Rosenberg“ den Sozialen Frieden bedroht.

Die „Rosenbergsiedlung“ – Beispiel menschenverachtende Stadtentwicklung

Die „Rosenbergsiedlung“ ist ein typisches Beispiel für die menschenverachtende Stadtentwicklung seit Aufkommen neoliberalistischen Denkens und Handelns. Sie wurde 1965 konzipiert als Ersatz für die geplante Gartenstadt Querenburg. Das dafür vorgesehen Gelände wurde kurzfristig für den Bau der Ruhruniversität bereitgestellt. In den „Rosenberg“ zogen viele Flüchtlinge und Aussiedler_innen ein. Polnisch schien zeitweise zweite Amtssprache zu sein, heute allerdings durch russisch abgelöst. Attraktiv wurde das Viertel durch das „Nordbad“, eine Kombination von Hallen- und Freibad, Grundschule, Kindergärten, ein kleines Einkaufszentrum entwickelten sich. Dazu Gemeindezentren, ein AWO-Zentrum, und die Grundschule „Am Rosenberg“ mit ihren Aktivitäten gegen Rassismus und Gewalt. Es kam zu einem jährlichen Austausch mit einer Schule in der Bretagne (wobei Sprachschwierigkeiten durch türkisch sprechende Schülerinnen beider Schulen gelöst werden konnten).

Das Hallenbad wurde schon 1988 geschlossen, das Freibad 2003. Fünf Jahre später wurde das Gebäude schließlich abgerissen. Ein Gemeindezentrum ist seit einem Jahr an eine Altentagespflege übergeben. Die Grundschule, mit anfangs mehr als 200 Schüler_innen, wurde 2013 geschlossen. Das Geschäftszentrum besteht nur noch rudimentär mit Bäckerei, Pizzeria, Friseur und Minimarkt. Verblieben sind der AWO- „Rosenberg-Treff“ und das Altenzentrum der Diakonie. Neu hinzugekommen  ist 2004 die Werner-von-Siemens-Schule, eine Gemeinschaftshauptschule.

„Tal der Rosen” – heute: „Tal der Tränen“

Noch vor einigen Jahren lautete das offizielle Planungsziel für das Nordbad-Areal: Familiengerechte Wohnbebauung mit einem Stadtteilpark und einem Lärmschutzwall zur A 43. Alles der Sparpolitik zum Opfer gefallen. „Tal der Rosen” sollte es heißen. Heute ist es eher ein „Tal der Tränen“. Die Anwohnerschaft bemängelte, die Stadt habe es „gewollt verkommen gelassen”. Ein Lichtblick ist, dass die VBW ihre Häuser im Viertel modernisiert und der Platz vor dem Geschäftszentrum aufgehübscht werden soll – das Geld fehlt aber noch. Für die Flüchtlingsunterkunft muss nun doch ein Lärmschutz errichtet werden – der Rosenberg ist umgeben von drei Autobahnen mit einem hohen LKW-Aufkommen.

So richtig gerne will dort wohl niemand wohnen, obwohl es geborene „Rosenberger_innen“ gibt, die nach einigen Jahren des Aufenthaltes in anderen Städten gerne wieder an ihre „Quelle“ zurückkehren.

Noch im Mai 2015 lehnten SPD, Grüne und die örtlichen Vereine den Standort für Geflüchtete ab, weil es dort „keinerlei Versorgung durch städtische Einrichtungen oder Kirchen“ gäbe. Eine Ausweitung des Standortes Harpener Hellweg sei vorzuziehen.  Es sollte auch „Ziel …  sein, die Standorte nicht zu groß werden zu lassen. Sonst stoßen auch die ehrenamtlichen Betreuer an ihre Grenzen.“

Heute entscheidet der Rat

Am heutigen Mittwoch will der Rat entscheiden (4). Es ist zu hoffen, dass die Vernunft sich durchsetzt und dem Antrag der Bezirksvertretung entsprochen wird. Überhaupt muss die Stadt sich jetzt neu besinnen. „Klotzen statt kleckern“ ist jetzt auch hier angesagt, wie OB Eiskirch kürzlich in Bezug auf die maroden Bochumer Schulen feststellte. Jetzt muss richtig Geld in die Hand genommen werden, ohne jegliche Einschränkungen. Für ordentliche Sachausstattungen, auch für Freizeitmöglichkeiten für die Neuankömmlinge und natürlich für unendlich viel Personal. Essen und andere Städte machen es vor (5). Sonst kann es wirklich Probleme geben: In Höntrop fand am Montag zeitgleich auch eine Bürger_innenversammlung statt, mit ähnlich hoher Teilnahmezahl. Mit viel Unmut und auch einigen Krakelenden. Auch noch mal „grad gutgegangen“ (6).

Ungleichverteilung auf die Stadtbezirke?

Thema ist immer wieder eine mögliche Ungleichverteilung auf die Stadtbezirke. Da sind die Maßstäbe aber nicht so einfach zu vergleichen: Bochum-Ost mit der größten „Flüchtlingsdichte“ (1:48) steckt das mit seiner gewachsenen Infrastruktur und einer Bevölkerung mit Kultur und „Herzensbildung“ locker weg, zudem sind die bis zu 500 Bewohner_innen der Landesunterkunft Unterstraße seit einiger Zeit nur auf der „Durchreise“ und müssen vor allem notversorgt werden, für Integrationsarbeit ist da wenig Raum. Mit dem Bezug des Großlagers in Laer werden aber die Möglichkeiten ehrenamtlicher Arbeit weit überschritten.

Bochum-Süd wird mit 1:58 angegeben, die meisten in der kaum „südlich“ zu bezeichnenden Wohlfahrtstraße, dem „Leuchtturmprojekt“ der Bochumer Flüchtlingshilfe. Da geht noch was weiter im Süden mit der aufgelockerten Bebauung und einer doch zu großen Teilen „gebildeten“ und gar wohlhabenden Bevölkerung. Während Wattenscheid mit dem Faktor 1:83 gut dazustehen scheint, wird der Stadtteil Höntrop mit dem Großlager Hellweg/ Auf dem Esch mit 336 Plätzen das auch nicht vorwiegend ehrenamtlich leisten könne, selbst wenn die tolle ökumenische Flüchtlingshilfe Eppendorf Unterstützung zugesagt hat. Weitere „Quoten“: Bochum-Mitte 1:87, Bochum-Nord 1:69, Bochum-Südwest 1:139.

Die Stadt ist gefordert, dringlichst alles zu tun, um Großlager zu vermeiden, und die Standorte auch danach auszuwählen, ob das Umfeld das gut tragen kann. Da ist der Rosenberg eine denkbar schlechte Option. Leider ist die Opposition in Bochum in dieser Sache schlecht aufgestellt: die einen wollen zur Ratssitzung aus Paletten einen „Schuldenturm“ vor dem Rathaus errichten, die anderen haben einzig den „Steag-Vattenfall-Deal“ auf der Palette, was derzeit in Bochum keine Sau interessiert.

(1) http://www.amtshaus-harpen.de/

(2) https://session.bochum.de/bi/getfile.php?id=359410&type=do

(4) https://session.bochum.de/bi/getfile.php?id=359078&type=do

(5) http://www.derwesten.de/staedte/essen/essener-verwaltung-ist-ueberlastet-und-hofft-auf-neue-stellen-id11496087.html

(6) http://www.derwesten.de/staedte/wattenscheid/buerger-sorgen-sich-um-sicherheit-id11498820.html

 

Die WAZ Bochum aktuell zum Thema:

http://www.derwesten.de/staedte/bochum/rosenberger-wehren-sich-gegen-fluechtlingseinrichtung-aimp-id11496625.html

http://www.derwesten.de/staedte/bochum/hitzige-debatten-und-viele-fragen-beim-thema-fluechtlinge-id11498925.html?onepage=true


7 Gedanken zu “Gerade noch mal gutgegangen

  • werner

    Ich finde es wirklich schade, wie hier über den Rosenberg berichtet wird.
    Ich bin dort aufgewachsen und treffe oft meine
    Freunde dort. Hier ist es nicht so schlimm, wie in Ihrem Bericht dargestellt wird. Ganz im Gegenteil, mir und meinen Freunden gefällt es sehr gut hier.

    was sollen bloß die Leute denken, die Ihren Artikel lesen.

  • Werner

    Außerdem finde ich die Bürgerveranstalltung, die eine ablehnende Haltung gegenüber den Flüchtlingen hat, unerträglich. In Bochum sind sich nur knapp 2000 Flüchtlinge. Einwohner knapp 400000. wer sagt es sind zu viele, der kann ja gehen !

    • Matze.Bo

      @Werner:
      In Bochum sind z.Z ca 4800 (ohne Nordbad)Flüchtlinge untergebracht.
      Im Harpenerfeld gibt es Betten für 400 Flüchtlinge (es waren schon mehr).
      Jetzt am Nordbad +450.
      Vom Nordbad zum Harpenerfeld sind es zu Fuß ca 3min.
      Ich finde es schon sehr beängstigend, die Unterkünfte liegen keine 800m Luftlinie auseinander.
      Dann noch eine am Harpener Hellweg (ca 80 Per.)..eine an der Heinrichstr (ca 75 Per)…
      Das Gesamtbild ist entscheidend!!!
      Gruß vom schönen Rosenberg.

  • Norbert Hermann

    Einen Teil dieser Versammlung gibt es nun auf youtube:

    https://www.youtube.com/watch?v=DG2wwlgdRlI

    Hier mal ein paar Zitate, für die es Applaus im Saal gab:

    „Die sollen zurück in ihr Land und kämpfen“

    „Die Begründung war, Flüchtlinge, bzw. Andersartige sollen vorgezogen werden, so ist das doch.“

    „Was haben sie eigentlich noch vor, wollen sie uns vernichten?“

    „Wir sehen den sozialen Frieden in unserem Stadtteil sehr gefährdet“

    Anscheinend ist da auch viel Ärger in der Luft wegen der Stadtpolitik generell, aber naja.

    (aus einer Mailzusendung)

  • Norbert Hermann

    Lieber Werner,

    tut mir leid wenn ich etwas unzutreffend dargestellt habe. Es ist nicht mein Anliegen. Ich selbst bin in Duisburg aufgewachsen, mein Bruder lebt noch dort und trägt stolz seinen Sticker „Made in Marxloh“. Durchaus ambivalent.

    Ich habe den Rosenberg selbst auch nur wenig erlebt. Was ich geschrieben habe habe ich von anderen gelesen, erzählt bekommen, auch vom Sprecher der “Protestgemeinschaft Nordbad/Rosenberg” (s. Youtube-Video), der ja dort im Jugendsport nicht unbekannt ist, und aus der Veranstaltung am Montag mitgenommen. Ich denke schon, dass das Viertel von der Stadt böse vernachlässigt worden ist. Und das Nordbad fehlt vielen darüber hinaus.

    Fast 5.000 Geflüchtete gibt es jetzt in Bochum, bei etwa 380.000 Einwohner_innen. Kein Problem, sollen ruhig mehr kommen, alle die es wollen. Das wird uns, die wir schon länger hier leben, einiges klar machen. Die „neuen“ Menschen werden einen Platz in dieser Welt für sich finden, nachbarschaftliche Hilfe können sie sicherlich gebrauchen. Das ist nicht in jedem Viertel gleich gut möglich. Unterkünfte mit mehr als 50 Bewohner_innen machen zudem das Leben erfahrungsgemäß innen wie außen schwieriger.

  • Rolf

    „[…] die anderen haben einzig den “Steag-Vattenfall-Deal” auf der Palette, was derzeit in Bochum keine Sau interessiert.“

    Mit Verlaub, wie kommst du auf diese Idee? Das ist doch schlicht unwahr. Ich empfehle zum Beispiel einen Blick

    – in die Haushaltsrede der Linksfraktion: http://linksfraktionbochum.de/2016/01/haushaltsrede-2016/

    – auf den Ergänzungsantrag der Linksfraktion zum Thema Flüchtlingsunterbringung Nordbad:
    http://linksfraktionbochum.de/wp-content/uploads/2016/01/2016-01-27-A%CC%88nderungsantrag-Flu%CC%88chtlingsunterbringung.pdf

    – auf den Redebeitrag dazu:
    http://linksfraktionbochum.de/2016/01/ergaenzungsantrag-fuer-kommunalen-wohnungsbau-gegen-ueberbelegung/

    – auf die ebenfalls auf der Ratssitzung gestellte Anfrage zum geplanten Outsourcing der Flüchtlingsunterbringung:
    http://linksfraktionbochum.de/wp-content/uploads/2016/01/2016-01-27-Geplantes-Outsourcing-der-Flüchtlingsunterbringung.pdf

    Im Übrigen wirkt es auf mich ziemlich unsolidarisch, wenn du versuchst, nun das Engagement für eine ökologisch-soziale Energiewende gegen den Arbeitsschwerpunkt Flüchtlingspolitik auszuspielen (bzw. umgekehrt). Glücklicherweise gibt es in beiden Bereichen Initiativen, Bündnisse und Einzelpersonen, die sich engagieren.

  • Paul

    Hallo Norbert

    Herzlichen Dank für diesen guten und engagierten Berichten. Gäbe es diesen nicht, müsste man ihn erfinden.
    Das ist bei weitem mehr als die oft üblichen selbstreflexiven Darstellungen, die man aus der Linken gewohnt ist.
    Hier verbindet sich Sozialraum-Analyse, detaillierte Kenntnisse über die städtische Flüchtlingspolitik mit einem erfreulich praktischen sozialen Engagement und klaren antirassistischen Positionen. Das öffnet die Augen, zeigt Wege auf und macht linke Interventionen möglich.

    Chapeau!

    Paul

    von „Azzoncao, ein Polit-Cafè“

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