Die Bedeutung des 8. Mai 1945

Wolfgang Dominik

 

  1. Schon am 8. Mai 1945 erhob sich die Frage, ob denn nun von Untergang, Niederlage, Katastrophe oder gar von Befreiung geredet werden sollte.
  2. D hoch 4: Denazifizierung, Demilitarisierung, Demonopolisierung, Demokratisierung war das Programm der Alliierten, aber auch das Programm aller Parteien bis weit ins bürgerliche Lager (Ahlener Programm der CDU) hinein. Zumindest gab es den öffentlichen Konsens über diese Ziele, was natürlich nicht heißt, dass in den Schubladen noch ganz andere Pläne auf ihre Realisierung warteten. Das heißt:
  3. Auf Grund unterschiedlicher vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger sozialer Interessen hofften die einen auf eine irgendwie zu gestaltende Fortsetzung  und Kontinuität bürgerlich-kapitalistischer Herrschaft, die anderen auf einen antifaschistisch-demokratischen, vielleicht sogar sozialistischen Neubeginn. Wir lernen: Für die Krupps und Flicks bedeutete das Ende des Faschismus etwas anderes als für die Arbeiter Meier und Müller bei Krupp und Flick. Noch anders wurde der 8.Mai 1945 von den Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern beurteilt, die aus der Emigration oder gar als Überlebende aus den KZs kamen. Überlebende rassisch Verfolgte, Juden, Sinti und Roma, Behinderte, Homosexuelle sahen die Gegenwart und  Zukunft auf Grund ihrer Vergangenheit noch einmal anders.
  4. Die herrschende Klasse ging mit kaum veränderten Führungskadern aus dem Faschismus hervor, ihre sozialen Interessen und Ideologien blieben im wesentlichen die alten und bestimmten im Nachhinein geurteilt nach kurzer Unterbrechung für ein paar Monate oder wenige Jahre nach dem 8.5. 1945 weiterhin unangetastet die Geschichte der BRD. Wenn von „Stunde Null“ in Bezug auf den 8. Mai 1945  in manchen Geschichtsbüchern die Rede ist, dann werden – wie so oft – die historischen Fakten unterschlagen. Das deutsche Großkapital hatte auch aus 1918/19 die Lehren gezogen: Zu irgendwelchen revolutionären Zuständen durfte es , auch wenn der 2. Weltkrieg innerhalb von nicht einmal 30 Jahren verloren ging,  nicht kommen.
  5. In den letzten Jahren vor der vorauszusehenden Niederlage des Faschismus als bürgerlicher Herrschaftsform entwarfen wichtige Vertreter des Monopolkapitals Ideen und Pläne, wie man nach dem Ende mehr oder weniger sofort den kapitalistisch-imperialistischen Wiederaufbau gestalten könne . 1943 gründete die Reichsgruppe Industrie, also der industrielle Unternehmerverband im Faschismus, ein eigenes Institut zur Erforschung der wirtschaftlichen Perspektiven in der Nachkriegszeit. Im Sommer 1943 stellte der Leiter des Instituts, ein junger Wirtschaftswissenschaftler namens Dr. Ludwig Erhard, Überlegungen zu „ einer künftigen Umstellung auf die Friedenswirtschaft“ an und wie eventuell eine Währungsreform zu managen sei. Im Sommer 1943, genauer vom 5.-13. Juli,  war auch der Vormarsch der deutschen Armeen am Kursker Bogen, diesmal nur noch auf einer Frontbreite von knapp 500 km statt wie in den beiden Jahren vorher auf 2000 km, gescheitert. Von jetzt an liegt die militärische Initiative bis zum 8.Mai 1945 nie mehr bei den faschistischen Armeen. Für jeden nicht ganz den Durchhalteparolen Verfallenen war klar, dass allerspätestens jetzt der Krieg endgültig verloren ist. Im Frühjahr 1944 legt Erhard seinen industriellen Auftraggebern erste Ergebnisse vor, die übrigens 1979 in einer Festschrift für Ludwig Erhard wieder abgedruckt wurde, ohne dass das so richtig wahrgenommen wurde. Mehr oder weniger intensiv an der Arbeit beteiligt waren Personen, die  ihre Karriere als faschistische Politiker begonnen hatten und dann in der späteren Bundesrepublik ungebrochen, jetzt zumeist als Christdemokraten, fortsetzen konnten: Karl Blessing (später Präsident der Deutschen Bundesbank), Ludger Westrick (später Staatssekretär bei Ludwig Erhard), Hermann Josef Abs ( später der allermächtigste Wirtschaftsführer der BRD). Parallel dazu machten sich die „Klassenkameraden“ jenseits des Atlantiks  Gedanken, wie man zumindest den Teil Deutschlands, den man selber besetzen würde, möglichst bald militärisch, ökonomisch, ideologisch und politisch gegen die verhasste SU, mit der man ja nur ein antifaschistisches zeitlich begrenztes Zweckbündnis eingegangen war, in Stellung bringen konnte. IG-Farben war mit EXXON und General Motors verfilzt, Ford hatte eigene Produktionsanlagen in Deutschland (wie auch General Motors), die Standard-Elektrizitäts-Gesellschaft, später SEL, war eine Tochtergesellschaft von ITT, die wiederum 28 % des Focke-Wulff-Kapitals beherrschte usw. usf.
  6. Am 25.11.1947 stellte der Parteivorstand der SPD, dann abgedruckt im Jahrbuch der SPD 1947, fest:  “ In Politik, Wirtschaft und Verwaltung herrschen wieder die gleichen Kräfte, die uns zu den heutigen Zuständen geführt haben. So sind bei der Vereinigung der britischen und amerikanischen Besatzungszonen sämtliche Zentralbehörden Vertretern kapitalistischer Auffassungen übertragen worden.“
  7. Damit das geschehen konnte,  war es notwendig, massiv abzulenken von den eigenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von der Mitschuld an dem Versklavungs- und Vernichtungskrieg, der gerade erst vorbei war. Die alliierten Gerichtsverfahren in Nürnberg liefen noch, da waren Teile der Großbourgeoisie schon längst dabei, die Bundesrepublik in ihrem Sinne zu planen, Teile der z.B. US-Geheimdienste brachten hohe Gestapobeamte wie den Gestapo-Chef von Lyon Klaus Barbie  in CIC, so der Name des US-Armeegeheimdienstes, in Sicherheit oder die Organisation „Fremde Heere Ost“ des General Gehlen wurde insgesamt in die USA überführt, um Details über den geplanten Krieg gegen die SU  auf Grund der Erfahrungen Gehlens und seiner Offiziersclique besser planen zu können.
  8. Der CDU gelang das große Kunststück, unter ihrem Dach große Teile der alten DNVP, Hitlers Koalitionspartner von 1933, der DVP, des Zentrums und natürlich der NSDAP zu sammeln. Im 1. deutschen Bundestag waren  ¼ aller Abgeordneten ehemalige NSDAP-Mitglieder, die meist am 8. Mai 1945 plötzlich so geläutert waren, dass sie im Sommer 1945 zumeist der CDU oder CSU beitraten. In einem Interview in den neunziger Jahren betonte noch Helmut Kohl, wie wichtig es gewesen war, ca. 12 Millionen NSDAP-Mitgliedern wieder eine, natürlich diesmal demokratische und christliche, Heimat anzubieten.
  9. Es ging aber zunächst um das Ablenken von der eigenen Schuld bei der Installierung der faschistischen Herrschaft und aller folgenden Verbrechen:                                     Je nach den eigenen Möglichkeiten übten Teile der herrschenden Klasse, ihrer Politiker, Wissenschaftler, Lehrer, Justizpersonal, Militärs nun mehr oder weniger intensive Detailkritik am Faschismus.

9.1    Hitler war der große Einzeltäter, alle anderen wurden verführt, konnten sowieso nichts machen, wurden mehr oder weniger zum Mitmachen gezwungen, taten alles, um noch Schlimmeres zu verhindern, waren aber insgeheim Widerstandskämpfer, in der inneren Emigration, waren hilflos oder schlicht Opfer.  Es klingt schon fast unglaublich, dass höchste Militärs, KZ-Kommandanten wie Höss oder Hitlers Vertrauter  wie Albert Speer von allem nichts wissen wollten. Nehmen wir Speer: Der Top-Manager der faschistischen Diktatur, 2. Mann des Regimes, Rüstungsminister, der aber seit 1933 an der Seite Hitlers als Hitlers Leibarchitekt für eigentlich alle Planungen mitverantwortlich war, 1938/39 schon das Leben von Zehntausenden von Berliner Juden ruinierte, der 1943 bei Himmlers Rede über die „Endlösung der Judenfrage“ angeblich schon vorher abgereist war, von nichts also wusste, der Hunderttausende oder gar Millionen Menschen als Zwangsarbeiter versklaven ließ, wusste von nichts und wurde deshalb auch nur zu 20 Jahren Haft verurteilt. Aber Speer war das Vorbild für Millionen Deutsche, die Hess nachahmten und in starrsinniger Treue zur eigenen Unkenntnis, aus Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid  jede Mitschuld oder gar Mittäterschaft konsequent leugneten.

9.2    Öffentlich distanzierte sich die herrschende Klasse emphatisch von jeder Art von Gewaltherrschaft (ohne Subjekt und Objekt personeller und struktureller Gewalt zu nennen) und beschwor die Sieger, dass so was nie wieder vorkommen dürfe und deshalb man schon immer demokratisch gewesen sei. Man sei Opfer eines mörderischen Wahnsinnigen geworden. Das Täter – Opfer – Verhältnis wird nicht erst durch Guido Knopps Doku-Soaps umgedreht, sondern praktisch schon am 9.5.1945.

9.3    Andere behaupteten schlicht, dass doch alle Menschen irgendwie fehlerhaft seien und wir alle immer irgendwie mitschuldig werden, da wir allemal Sünder sind. Später warfen alle, die mitgemacht hatten allen anderen, die kritische Fragen stellten , einfach vor, sich nicht vorzustellen zu können und zu wollen, wie man wohl selber gehandelt hätte. Wer nicht dabei war, hat gut reden -  war die Devise. Damit kann natürlich jeder Mörder zu allen Zeiten sich freisprechen – wer war schon immer überall dabei.

9.4    Ganz beliebt war die Behauptung vom Befehlsnotstand: Wir mussten mitmachen, weil wir sonst selbst ermordet worden wären. Das behaupteten vor allem Soldaten, SS-Angehörige, sonstige KZ-Mörder: Es ist längst erwiesen, dass  es kein einziges Todesurteil gab für Soldaten, die nicht an Massakern teilnehmen wollten. Man weiß seit langem, dass die Anführer von Mordkommandos sich vor Freiwilligen kaum retten konnten, die an Mordaktionen teilnehmen wollten. Es gab regelrechte Wartelisten, um beim nächsten Mal mitmachen zu dürfen.

9.5    Wir Menschen sind dem unvorhersehbarem Einbruch des Dämonischen nicht gewachsen gewesen. Vor 1933 war ja alles normal, jetzt, nach 1945, sollte alles wieder normal werden, weil der leibhaftige Böse nun nicht mehr lebe.

9.6    Man bemühte auch die geschichtstheoretische Version des deutschen Historismus: Wie alle geschichtlichen Prozesse war der Faschismus (man sprach selbstverständlich bis heute weiterhin in der propagandistischen Sprache der Faschisten und nannte den Faschismus „Nationalsozialismus“, das „Dritte Reich“, das „1000jährige Reich“) einmalig, singulär, unwiederholbar, unvorhersehbar, ungewollt. Mit dem Tode Hitlers sei das Problem ja denn auch abgeschlossen. Geschichte werde von den großen Männern gemacht und das hätte sich wieder einmal überzeugend gezeigt . Wie sehr Sprache verrät, kann man bei Joachim Fest, verantwortlich für eine monumentale Hitler-Biographie, einen monumentaler Hitler-Film (Hitler – eine Karriere, damals schon im Stil  Guido Knopps voll mit Geschichtsklitterungen), verantwortlich letztlich für den Historikerstreit der 1986er Jahre – Fest war Hg. der FAZ und ein Teil des Historikerstreits wurde in der FAZ zunächst ausgetragen, also Fest redet von den  Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen als von Sieger-Tribunal und der Sieger-Justiz. Auch so ein Wort, das von Anfang an die Geschichte der BRD beherrschte. Ja, ja , die Sieger sahen alles nur durch ihre eigene Brille und konnten von daher gar kein Recht sprechen.

9.7    Die Totalitarismus-Theorie stand auch schon parat und bot sich besonders an, um jetzt gefüllt zu werden. Zwei grundsätzlich gleich böse Systeme hätten im Wesentlichen Krieg miteinander geführt. Das braune System ist tot, der Führer auch, aber das rote System, die roten Zaren leben, haben große Teile der freien Welt unter Kontrolle und wollen noch mehr. Jetzt gelte es für alle Demokraten, gegen die drohende kommunistische Weltherrschaft zusammenzuhalten und nicht schmutzige Wäsche von gestern zu waschen.. Vielleicht kann man den „Osten“ ja vom kommunistisch-atheistischen Joch auch wieder befreien. Die Brüder und Schwestern in der Ostzone warten ja regelrecht auf ihre Befreiung. Und durch Ereignisse wie z.B. dem 17. Juni 1953 wurde ein solches Denken massenhaft in die Köpfe gesenkt.

9.8    Und man begann sofort nach 1945 aufzurechnen: Wie viel man doch selbst gelitten hätte. Viele Millionen eigener Toten, Ausgebombter, Vertriebener. Ich habe schon so ca. 1956 die „Dokumentation der Vertreibung“ der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa gelesen, die seit 1952 vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte auf Grund von 10000 Erlebnisberichten von deutschen Opfern in Auftrag gegeben worden war. Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Plünderung von Deutschen, die keiner Fliege was getan hatten, war das Thema. Hochrangige Ex-Nazis waren die Herausgeber. Erst 1961 wurde die Dokumentation abgeschlossen und feierte immer wieder publizistische Erfolge. 1984 wurde sie in einer preiswerten Massenauflage bei dtv als Reprint veröffentlicht, 1995 noch einmal sehr preiswert beim Weltbild-Verlag und im Jahre 2004 wurden die Bände noch einmal ohne jede wissenschaftliche Kommentierung veröffentlicht, allerdings mit einem Geleitwort von Erika Steinbach, Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, wieder bei dtv. Über 5000 Seiten deutsches Elend, Verbrechen an den Deutschen, Vergewaltigungen, Mord an Deutschen. Hannah Arendt veröffentlichte um 1951 einen Erlebnisbericht: Zu Besuch bei den Deutschen; sie stellte fest, dass die Deutschen vor Selbstmitleid nicht mehr begriffen, dass sie es waren, die zunächst einmal die Täter waren, die viele Millionen Menschen umbrachten, vergewaltigten, ausplünderten, ermordeten, fabrikmäßig industriell geplant vernichteten – und dann erst kehrte der Krieg zurück nach Deutschland. Aber die Deutschen rechneten weiter – den Juden und angeblich bis heute den Zwangsarbeitern werden riesige Wiedergutmachungen geleistet, aber ihnen, den Deutschen half keiner. Also ist man im großen und ganzen quitt. Ich kann mich gut erinnern, dass regelmäßig Berichte über das grauenhafte Schicksal von Kriegsgefangenen in sowjetischen Lagern in Zeitungen, Illustrierten und dann später im Fernsehen zu lesen und zu sehen waren (z.B. So weit die Füße tragen). So wie da offensichtlich mit den Deutschen von den Kommunisten umgegangen wurde, konnte ich in jungen Jahren nur  überzeugter Antikommunist werden. Das war einfach ein Gebot der Menschlichkeit. Warum viele tausend deutscher Männer in sowjetischer Kriegsgefangenschaft saßen, hatte mir damals keiner erzählt.

9.9    Eine ebenfalls beliebte Variante schildert Stefan Doernberg, der als junger NKFD – Angehöriger mit den sowjetischen Armeen nach Deutschland kam: Fast alle von ihm Befragten waren früher vor 1933 Mitglied der KPD oder SPD, fast 90% der Deutschen mussten in diesen beiden Parteien gewesen sein, keiner war in der NSDAP und wenn sich letzteres doch irgendwie beweisen ließ, dann war man nur gezwungenermaßen und um Schlimmeres zu verhindern in der Partei.

9.10 Peter Gingold wies beim Ostermarsch 2005 darauf hin, dass eigentlich nach 1945 nie von Befreiung gesprochen wurde. Bis heute heißt das bestenfalls Ende des 2. Weltkrieges. Ansonsten aber heißen die Filme bis heute „Der Untergang“, in den Schulbüchern Zusammenbruch, Katastrophe, Niederlage. Als der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker m. E. sehr verklausuliert und halbherzig formuliert Selbstverständlichkeiten sagte, auch das Wort Befreiung benutzte und die Kommunisten als Opfer des Faschismus erwähnte, gab es einen bürgerlichen Aufstand. Die Sprachregelungen, die der ideologischen Massenschutzimpfung dienten und dienen, einem ideologischen Flächenbombardement zur psychologischen Kriegsführung bis heute, waren z.T. noch die gleichen wie nach 1933 oder sogar vor 1914.

  1. Die Millionenmassen von Tätern und Mitläufern konnten eigentlich auch deshalb ein gutes Gewissen haben, da Teile des Faschismus ja auch gut waren bzw. jetzt erst einmal als völlig richtig von den kapitalistischen Siegern bestätigt wurden. Und wies die westdeutsche Bundesregierung nicht dauernd daraufhin, dass es möglich ist, den Tätern zu vergeben oder doch zumindest nicht mehr nach ihrer Schuld zu fragen, stiegen doch in der Politik, den Medien, der Justiz, den Geheimdiensten, der Polizei, der Bundeswehr, den Schulen – und Hochschulen, den Mediziner- u.a. Verbänden ganz zu schweigen von den Banken- und Industrieunternehmen  die Täter in höchste, ja allerhöchste  Ämter auf.
  2. Viele dieser Aufsteiger besorgten sich Persilscheine oder deklarierten sich nachträglich zu Widerstandskämpfern, zu Helden der inneren Emigration oder gar zu mutigen Antifaschisten, weil sie auch heimlich schon mal „Feindsender“ gehört hatten oder hier und da einem Zwangsarbeiter einmal ein Stück Brot übern Stacheldrahtzaun geworfen hatten.

11.1 Der Antikommunismus und Antibolschewismus ist  auch Hauptbestandteil der   Ideologien der neuen Herren. Die Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel, die Hitler und den Faschisten so sehr am Herzen lag, war ja auch das Ziel der Gesetzgebung der jungen BRD. Kommunisten und Sozialisten, Friedensfreunde und Antimilitaristen wurden ja in der Bundesrepublik bis weit in die 90ger Jahre (ab 1972 der „Radikalen“-Erlass und als Folge viele tausend Berufsverbote gegen Lehrer, Straßenbahnschaffner, Friedhofsgärtner und Postbeamte)  verfolgt, wurden in die noch existierenden Zuchthäuser gesteckt, aus denen sie kurz vorher halblebendig noch herausgekommen waren oder bekamen zumindest Berufsverbot. Also, wieso sollte Filbinger, der ehemalige Kriegsmarinerichter mit Todesurteilen nach dem 8.5.1945, nicht Recht haben, wenn er behauptete,: Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein?

11.2 Die Arbeitslosigkeit wurde beseitigt. (Es ist schon für mich immer wieder erstaunlich, wie das Argument, dass die Hochrüstung ab 1933 nicht nur die Wehrmacht von 100000 Soldaten auf 8 Millionen erhöhte, sondern dass für diese Riesenarmee Millionen RüstungsarbeiterInnen nötig waren, um sie mit den modernsten Waffen auszurüsten und die Arbeitslosigkeit also leicht zu beseitigen war, dass dieses Argument bis heute abgewehrt wird – nicht nur von ausgekochten Neo-Nazis.)

11.3 Innere Sicherheit war gewährleistet, jede Frau konnte nachts sicher über die Straße gehen. ( Auch hier weiß man schon lange, dass Frauen genauso unsicher weiterlebten und männliche Gewalt und sexuelle Übergriffe genauso weitergingen, dass allerdings konsequent nicht mehr drüber berichtet wurde.)

11.4 .Für die Arbeiter und Angestellten wurde viel getan. Tatsächlich wird  bis heute darauf hingewiesen (Götz Aly im Spiegel 10/2005), dass 95 Prozent der Deutschen im Faschismus in einer Wohlfühl-Diktatur lebten, keinesfalls in einem System von Unterdrückung und Terror, Mord und Folter! (Den Gedanken haben ja manche Antifaschisten weitergesponnen und fragen einfach, wie sehr die BRD eine Konsumenten-Demokratie ist und jetzt, da der materielle Konsum gefährdet ist, auch das Interesse an der Demokratie sinkt. Vor ein paar Wochen hat der Spiegel feststellen lassen, dass 25 % der Deutschen in Krisensituationen 1 starke Partei mit einem Führer befürworten würden. Das ist nicht neu, solche empirischen Ergebnisse wurden in der BRD oft erhoben, aber die Frage ist, wie sehr klammheimlich heute schon von demokratischen Partizipationsmöglichkeiten Abstand genommen wird – sinkende Wahlzahlen, Entpolitisierung, Entökonomisierung, Enthistorisierung, RTL-isierung des Bewusstseins, Tittitainment, Zuschauerdemokratie bei Talkshows mit garantiertem Verblödungseffekt inklusive, patchwork-Identität und immer weiter im Profitinteresse sich gleichschaltende Medien. Der hegemoniale Diskurs ist im Vergleich mit den 70- und 80 Jahren weit nach rechts gerückt worden.)

11.5 Und eigentlich waren die Juden doch auch ein bisschen selbst schuld. Soooo reich wie sie waren – und das Ausland wollte sie doch auch nicht haben....Dieser Antisemitismus wird seit Jahrzehnten auch gerechtfertigt mit der Politik die Israel gegenüber den Palästinensern betreibt.

11.6 Zusammenfassend dazu paraphrasiere bzw. zitiere ich Margarete und Alexander Mitscherlich, die 1969 ihr Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ veröffentlichten: Adenauers Weigerung, einen deutlichen Strich zwischen sich und ehemaligen Faschisten zu machen begründete er damit, keine neue Spaltung des deutschen Volkes herbeiführen zu wollen. Gleichzeitig aber radikalisierte er eine andere Spaltung, nämlich die zwischen Antikommunisten und Antisozialisten und Kommunisten oder Sozialisten. Und dazu zählte – getreu den Wahlplakaten der CDU „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau, auch der der SPD“ -  alles, was ihm und seiner CDU/CSU nicht passte. So wurde wieder einmal eine Kriegserklärung an die gerichtet, die zu Hunderttausenden ihr Leben im antifaschistischen Kampf gegen Hitler geopfert hatten und deren Partei, die KPD, 1956 verboten wurde, deren Mitglieder und Sympathisanten aber seit der Existenz der BRD immer mit einem Bein im Gefängnis oder Zuchthaus standen. Und wie der innere Feind vom Osten ferngesteuert wurde, so stand  der äußere Feind wieder im Osten. Adenauer: „Jeder von uns und namentlich jeder von uns katholischen Christen ist verpflichtet, mitzutun und mitzuhandeln, denn glauben Sie: es geht darum , ob Europa christlich bleibt oder heidnisch wird. Der Kommunismus erstrebt die Herrschaft über die ganze Welt.“ Irgendeine Realitätsprüfung dieser Sätze brauchte Adenauer nicht: Für viele Deutschen stand fest, dass Hitler gegen den richtigen Feind Krieg geführt hat, denn dieser Feind bedroht uns immer noch oder schon wieder. Das faschistische Bolschewismus- und Kommunismus-Bild wurde in der Bundesrepublik nie korrigiert oder in Frage gestellt. Die, die es dennoch taten, wurden – ähnlich gleichzeitig wie in den USA in der McCarthy-Ära, verfolgt, diskriminiert, von den gleichen Richtern und Staatsanwälten wie vor 1945 verurteilt zu Zuchthaus und Gefängnis. Die tragenden Staatsreligionen waren Antikommunismus, Militarismus, Rassismus, Christentum und Freie Marktwirtschaft.

(Der Rassismus wandte sich nicht mehr gegen die wenigen Juden in erster Linie, sondern Heinrich Albertz, Martin Niemöller u.a. konnten feststellen, dass die Kommunisten und alle die man dafür hielt in der BRD die gleiche Rolle spielten wie die Juden im Faschismus). Dazu kam ein selektiver, auch auf Rassismus gegründeter,  Amerikanismus (H.E. Richter). Coca Cola war gut, Jazz und Rock`n Roll: Negermusik.

12.  Als Stachel blieb dennoch:

12.1 Der Überfall auf die Länder West- und Osteuropas

12.2 Das riesige KZ-System und die industrielle Vernichtung von Millionen Menschen kumulierend im Namen Auschwitz. Zwar wurde im Historiker-Streit der 90er Jahre zunächst einmal noch Ernst Noltes These, dass für Auschwitz eigentlich auch die Kommunisten verantwortlich waren oder Auschwitz zumindest eine asiatische Tat war, abgewehrt, aber zumindest seit Josef Fischer deutsche Kriege damit legitimiert, um Auschwitz zu verhindern, scheint auch Auschwitz seinen Stachel verloren zu haben.

 

 

  1. Am 8. Mai 1945 standen sehr unterschiedliche Hoffnungen und Perspektiven auf der Tagesordnung. Durchgesetzt haben sich die kapitalistisch-imperialistischen Interessen. Peter Gingold sagte beim Ostermarsch, wenn die Hoffnungen der Befreiten 1945 und danach erfüllt worden wären, bräuchten wir heute keine Ostermärsche. Der Untergang fand nicht 1945, sondern 1933 statt.
  2. Heute gilt es mehr denn je, die bürgerlichen Freiheitsversprechungen, die z.T. noch ins Grundgesetz aufgenommen wurden, zu verteidigen. Im kollektiven Gedächtnis darf deshalb nicht vergessen werden, was die, die sich 1945 befreit fühlten, wirklich erhofft haben.
  3. Es gilt natürlich zu verhindern, dass heute „das Gericht über die Sieger“ in Angriff genommen wird und damit das Täter-Opfer-Verhältnis endgültig umgedreht wird.  Der Geschichtsrevisionismus darf nicht noch weiter getrieben werden, denn damit werden  Kriege in der Form des ethischen Imperialismusideologisch gerechtfertigt. Humanitärer Interventionismus, bewaffneter Pazifismus, friedenschaffende Operationen, militärischer Humanismus, Befreiungs- und Demokratisierungsmissionen, Anti-Terror-Maßnahmen  heißten z.B. die loyalitätsstiftenden, den Massenkonsens produzierenden Begriffe.
  4. Zur Fortsetzung empfehle ich die Lektüre meiner Thesen zur Remilitarisierung von 1944 bis heute.