WAZ Bochum, 30.11.2005:

Mit 345 Euro durch den Winter
Mit diesem Monatssatz müssen viele Wohnungslose über die Runden kommen. Demo der Nichtsesshaften löste bei der Stadt keine Reaktion aus. Das Hilfesystem funktioniere, heißt es.
Seit neun Jahren gibt Renate Herrenbrück Essen in der Suppenküche aus. Dort, in der Arndtstraße, herrschte gestern Hochbetrieb. Die Menschen standen mit ihren Tellern bis zur Hauseingangstür.
Vor einigen Tagen hatten sie sich zu einer Demo aufgerappelt, Wohnungslose aus Bochum. Weil sie von öffentlichen Plätzen vertrieben würden, weil die öffentlichen Toiletten für sie zu früh schließen. Zum Beispiel. Doch die Vorwürfe scheinen zu verhallen. Mit Beispielen schildert die Stadt, wie gut das soziale Netz für Wohnungslose in Bochum gespannt sei.

Das beginnt mit der Verpflegung: In der rauchgeschwängerten Suppenküche an der Arndtstraße herrscht an diesem Dienstag Hochbetrieb. Nicht jeder, der hier für 50 Cent essen kommt, ist ein Wohnungsloser. Auch andere, die es nicht so dicke haben, greifen zu. Bratwurst mit Kartoffelbrei und rote Soße reicht Renate Herrenbrück an diesem Mittag an. Und Salat. Bis zur Haustür, den Flur entlang, stehen die Menschen und essen. Eine zweite Suppenküche gibt es an der Stühmeyerstraße.

Der Grundsatz "Niemand wird abgewiesen" gelte bei den Beratungsstellen ebenso wie bei den Schlafstellen. "Es muss keiner draußen Platte machen," sagt Stadtsprecher Thomas Sprenger. An der Swidbertstraße 6 in Wattenscheid hat das Diakonische Werk eine Beratungsstelle, auch ein Tagesaufenthaltsangebot. Von acht bis 13 Uhr. Dort können Wohnungslose duschen, Wäsche waschen und um Ersatzkleidung vorsprechen.

An der Hans-Böckler-Straße 28 hat die Innere Mission eine Beratungsstelle für Frauen in Not eingerichtet, geöffnet ist montags bis freitags von acht bis 13 Uhr. Dieselben Zeiten gelten für wohnungslose Männer in der Beratungsstelle am Westring 28. Auch hier sind Duschen und Kleiderkammer. Sogar wer volltrunken erscheint, um sich aufzuwärmen, werde nicht abgewiesen, heißt es. Im Haus herrscht Alkoholverbot. Auch an der Stühmeyerstraße sind Duschen und Toiletten da. Montags, dienstags, freitags von 15 bis 18 Uhr ist geöffnet, samstags von 10 bis 16 Uhr.

Übernachten können wohnungslose Männer im Haus Am Stadion 5a. Dort stehen Betten für 33 Männer und acht Frauen bereit. Tag und Nacht geöffnet ist das Christopherus-Haus der Caritas an der Lohbergstraße 2 - für "Männer mit besonderen Schwierigkeiten". Und die Einrichtung der ev. Jugendhilfe "Schlaf am Zug" an der Castroper Straße 1a hält fünf Übernachtungsplätze für Jugendliche ohne festen Wohnsitz bereit. Für die Übernachtung wird nicht "direkt kassiert", sie wird mit späteren Zuwendungen verrechnet.

Geld bekommen die Wohnungslosen von der Arge. Meist sind es 345 Euro monatlich, per Scheck oder auf ein Konto. Für medizinische Versorgung stehen zwei Ärzte und zwei Krankenschwestern bereit. Ehrenamtlich. Sie kommen in den Tagesstätten und Suppenküchen vorbei, bieten Sprechstunden an.

Dass es Sperrbezirke für Wohnungslose gebe, bestreitet die Stadt. Platzverbote gebe es nur für einzelne, wenn sie randalieren, mehrfach übel auffallen. Dass mancher Wohnungslose die Schlafstätten nicht nutzt wie etwa der kürzlich in Langendreer im Gebüsch erschlagene Janusz Salbert, sei eben so: "Es gibt Menschen, die wollen das nicht."

Kommentar 3. Lokalseite

29.11.2005 Von Rolf Hartmann Foto: WAZ. Ingo Otto