Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie NRW
newsletter
Ausgabe Juli/2003, Seite 10-11
Nachrichten aus den Regionalen Foren
Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie Bochum
„Türkei: politische und menschenrechtliche Lage seit den 1980er Jahren“ das war das Thema einer gemeinsamen Veranstaltung des Bochumer Wissenschaftsforums und Amnesty International am 18. Juni 2003 im Bochumer Haus der Geschichte des Ruhrgebiets.
Anlass für die Diskussionsrunde war die Gastprofessur von Mesut Yilmaz an der Ruhr-Universität Bochum, der in der Politik der Türkei bis 2002 u.a. als Ministerpräsident eine wichtige Rolle gespielt hat. In seine Amtszeiten fielen auch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, Folterung und Unterdrückung insbesondere der Kurden; die Gastprofessur erhielt er mit der Begründung der Förderung des europäischen Dialogs mit der Türkei. In Bochum hatten sich zahlreiche Gruppen gegen die Gastprofessur ausgesprochen und u.a. vor seiner ersten Vorlesung demonstriert.
(Infos zu den Protesten siehe bspw.
http://www.bo-alternativ.de/Aufruf-Yilmaz-ausladen.htm ).
Das Wissenschaftsforum und Amnesty International hatten für die Informationsveranstaltung, von der sie sich eine Versachlichung der Debatte versprachen, Prof. Dr. Fikret Adanir (Historiker an der Ruhr-Universität Bochum), Amke Dietert (Türkei-Expertin von amnesty international) sowie Dr. Oliver Ernst (Politikwissenschaftler, Universität Münster) gewinnen können, moderiert wurde die Diskussion von Prof. Dr. Bernd Faulenbach (Historiker an der Ruhr-Universität und Unterbezirksvorsitzender der Bochumer SPD).
Die Veranstaltung war mit ca. 60 Leuten gut besucht. Prof. Fikret Adanir begann mit einer Darstellung der historischen Entwicklung der Türkei bis heute und unterstrich v.a., dass die Türkei nach der Abschaffung des Kalifats ein multikultureller säkularer Staat mit autoritärem Regime gewesen sei, in dem das Militär bis heute eine große Rolle spiele. Im Bestreben, die Türkei als eine Nation zusammenzuhalten seien dabei die einzelnen Volksgruppen unterdrückt worden, wobei insbesondere in den 1980er Jahren Repressionen aller Art bis hin zur Folter und zum Verschwinden von Menschen angewandt wurden. Yilmaz sei Teil des Systems gewesen, habe sich aber insbesondere gegen Ende seiner politischen Karriere massiv für den Beitritt der Türkei zur EU und den damit verbundenen Reformen eingesetzt – aufgrund dieses Engagements sei er auch nach Bochum berufen worden.
In ihrem Beitrag verdeutlichte anschließend Frau Amke Dietert die Menschenrechtslage in der Türkei, in der Minderheiten immer noch wenig Platz haben und von Verfolgung bedroht sind. Viele der im Parlament auf den innen- und außenpolitisch wachsenden Druck durchgesetzten Reformen seien zudem nicht bei den Menschen angekommen, weil die Praxis v.a. des Polizeiapparats eine andere sei, so dass enschenrechtsverletzungen v.a. gegenüber nicht-politischen Gefangenen weiterhin an der Tagesordnung seien. Es gebe zwar Verbesserungen – aber sie geschähen nur sehr langsam und hingen letztlich davon ab, ob tatsächlich der politische Wille zur Veränderung bestehe.
Als letzter sprach Dr. Oliver Ernst, der die politische Debatte um Menschenrechte beleuchtete, die in Deutschland bis in die 1970er Jahre v.a. immer als ein Problem der realsozialistischen Staaten - nicht der NATO-Partner wie der Türkei - gesehen wurden. Ende der 1970er Jahre wurde dann die Menschenrechtslage in der Türkei erstmals im deutschen Bundestag diskutiert, dies auch aufgrund der wachsende Zahl kurdischer Asylsuchender, die sich zu kurdischen Gruppen und Parteien wie der PKK bekannten. Deutschland hielt allerdings an seinen materiellen Zuwendungen an die Türkei fest – nicht zuletzt weil der Türkei eine Schlüsselstellung im Falle des Aufbrechens des Ost-West Konflikts zugesprochen wurde. Seit dem Beginn der rot-grünen Koalition 1998 werde die Menschenrechtslage in der Türkei insbesondere mit dem Hinweis auf den Beitrittswunsch zur EU vorsichtig kritisiert.
Die Ergebnisse der Veranstaltung fasste Prof. Bernd Faulenbach nach einer kontroversen Diskussion zusammen. Er konstatierte zwar Verbesserungen in der Menschenrechtslage in der Türkei, jedoch noch keine gute Situation, Verbesserungen in der Situation der Kurden, jedoch noch lange keine Lösung, den Polizeiapparat als Problem, das angegangen werden müsse, sah das Staatsverständnis im Wandel und war ein ganz klein bisschen positiv gestimmt. Er stellte fest, dass weiterhin Vorgänge in der Türkei sehr genau beobachtet werden müssten, meinte, nicht endgültig entscheiden zu können, in wieweit Yilmaz persönlich verantwortlich war für Menschenrechtsverletzungen, und schloss schließlich mit dem Anliegen, die Debatte weiterzuführen.
Insgesamt war die Veranstaltung gelungen, und hat v.a. verdeutlicht, wie wenig wir immer noch von unseren türkischen Nachbarn und der dortigen Politik wissen. Viele stimmten am Ende mit Prof. Bernd Faulenbach überein, dass die Frage, inwieweit Yilmaz selbst in Menschenrechtsverletzungen verwickelt war, nicht abschließend zu beantworten sei. Eine Veranstaltung also auch, die dazu anregt, den Diskurs weiterzuführen...

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