Rede von Rainer Bach, attac Bochum, auf der Ratssitzung am 9.3.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Vertreterinnen und Vertreter der Medien in Stadt und Land,
und vor allem: liebe Bürgerinnen und Bürger Bochums!
Wir sind hier zusammengekommen, weil uns am Wohl der Stadt Bochum liegt. Angesichts des sintflutartigen Anwachsens
der städtischen Verschuldung aber befürchten wir, dass der Rat mit einem Cross-Boarder-Leasing angesichts
der kommunalen Aufgaben und Verpflichtungen auf hölzerne Rettungsringe setzt, statt an dauerhaften Lösungen
der Finanzierungsnot zu zimmern. Natürlich sehen wir, dass die die Schulden und damit der Schuldendienst stetig
ansteigen- fast sturzbachartig, wie man lesen kann allein in diesem Jahr auf über 100 Mio €uro bei einem
Schuldenstand von ca. 700 Mio €. Und die Politiker dieser Stadt suchen verzweifelt nach Wegen, dieser Misere zu
entgehen. Doch statt sich wie Noah auf neue, vielleicht auf den ersten Blick ungewöhnliche, jedoch längerfristig
hilfreichere Ideen einzulassen, um Bochum auch nach dem Ende dieser ökonomisch schwierigen Jahre überlebensfähig
zu halten, suchen Sie Auswege, die eher den innerstädtischen Dauerbaustellen gleichen als einer zielstrebigen
Strategie zu einer bürgerfreundlichen und langfristigen Haushaltssanierung. (?)
Das sogenannte Cross-Boarder-Leasing gleicht nämlich dem Buddeln eines kleinen Loches, in dem ein Teil der
Schulden verschwinden soll. Was passiert aber, wenn die Ausgaben der Stadt weiterhin steigen, die Einnahmen weiterhin
sinken und die Differenz sich in einem weiteren Wachsen der Verschuldung niederschlägt? Da helfen die 20 Mio
€uro, die sie sich aus diesem Handel versprechen verhältnismäßig wenig, vor allem aber nicht dauerhaft,
da Sie ja weiterhin vom anschwellenden Schuldenstand bedroht sind. Sie können das auch gerne praktisch bei
Regenwetter einmal draußen in Ihrem Garten ausprobieren, wie das ist mit einem kleinen Loch als Regensammelbecken.
Sie werden sehen, dass das Wasser je nach Größe des Beckens bald übertritt.
Zudem kann noch etwas anderes passieren: Sie haben eine Gefahrenquelle in der Mitte ihres schönen Grüns
hergestellt. Wie beim Cross-Boarder-Leasing. Da mag auch ein ausgefeiltes Vertragswerk wie eine sichernde Randbegrenzung
aussehen, aber stolpern kann man möglicherweise doch noch in dem mehrhundertseitigem Vertragswerk. Warum wohl
sollte unsere Nachbarstadt Dortmund von einem Verleasen ihres Abwasserkanalnetzes Abstand genommen haben, nachdem
erste Probleme bei einem anderen Leasingprojekt auf verborgene Fußangeln aufmerksam gemacht haben? Nun liegt
die Länge des Vertragstext, den Sie als Ratsmitglieder wahrscheinlich nicht im Orginal durchgelesen haben
werden, an den Besonderheiten der amerikanischen Rechtssprechung.
Natürlich sind daran orientierte Vertragsabschlüsse legal. Doch sollte allein schon die zunehmende Ausdifferenzierung
der Cross-Boarder-Leasing-Geschäfte auf Legitimitätsdefizite hinweisen: waren zu Beginn 1984 noch Pickle
Lease und Replacement Lease-Verträge von den zuständigen Instituten durchgeführt, so musste aufgrund
geänderter US-Steuergesetzgebung 1995 eine neue lease-in-lease-out- Konstruktion gefunden werden, die 1999
wiederrum variiert werden mußte hin zu der zur Zeit, und ich betone aufgrund der zunehmenden Kritik amerikanischer
Behörden zur Zeit, gültigen Form der Pickle-Lease-Verträge mit Beendigungsoption sowie anschließendem
Service-Contract. Die Initatioren internationaler Finanzgeschäfte haben noch eine Lücke im amerikanischen
Rechtssystem gefunden, um Kunden für solche Geschäften zu finden. Zurecht drängt die Bochumer Verwaltung
darauf, sich möglichst schnell einem CBL-Geschäft hinzugeben: wer weiß wie lange der US-Investor
noch kann. Wer weiß, wann die US-Behörden wieder eine Gesetzesverschärfung vornehmen, die solche
Geschäfte weiter einschränkt. Unseres Erachtens deuten sowohl die zunehmenden Beschränkungen als
auch die klandestine Struktur mit verschiedenen Zwischenhändlern, nämlich den Kreditinstituten und den
zu bildenden Gesellschaften darauf hin, dass diese Geschäfte an der Grenze der Legalität stattfinden,
an der äußersten Grenze.
Einen anderen Punkt betrifft natürlich den Ort des Vertragsabschlussen, den Gerichtsstand und damit das jeweilige
zuständige Rechtsswesen, das im Streitfall maßgeblich ist. Würde dieser in Deutschland liegen,
könnte Frau Dr. Scholz die Verträge doch auch getrost hier in Bochum unterzeichnen, so sehr ich ihr
auch den Flug in die schöne Stadt New York gönne. Wer die hohen Schadensforderungen vor US-Gerichten
kennt, mag ahnen, was im Falle von Vertragsverstößen auf die Kommune an Forderungen zukommen kann.
Da sind aber 20 Mio Euro nichts.
Nun mögen Sie als Kämmerin sagen, das sei alles vertraglich abgesichert. Die gewollt fehlende Transparenz
des Cross-Boarder-Leasings, das Nicht-Benennen der beteiligten Vertragsparteien und das Verschweigen der Schwierigkeiten
solcher Geschäfte macht es schwierig, Bürgervertrauen aufzubauen. Ein rechtzeitiges Offenlegen der Verträge
hätte der laut gewordenen Skepsis gegenüber den verantwortlichen Bochumer Politikern Einhalt geboten.
Dabei ist doch gerade in diesen schwierigen Zeiten eine aktive Informationspolitik und Bürgerbeteiligung nötig,
um gemeinsam, Politiker, Bürger, Kirchen und Verbände... an den Problemen zu arbeiten.
So aber vermuten die BürgerInnen, nur Halbwahrheiten zu hören. Z.B.
"Aus deutscher Sicht ändert sich durch diese Verträge an
den Eigentumsverhältnissen nichts. Der deutsche Vertragspartner
(Leasingnehmer) bleibt rechtlicher und wirtschaftlicher
Eigentümer der Anlage. Aus US-Sicht aber ist der
US-Investor (Leasinggeber) mit dem ersten Leasingvertrag
wirtschaftlicher Eigentümer der Anlage geworden."(mitbestimmung 5 / 2002 ; Matthias Müller, Referat
Wirtschaft 2, Hans-Böckler-Stiftung)
Zudem gibt es ein rechtliches Problem: Die Einnahmen bei einem Abwasserkanalleasing dürfen nicht zur Schuldentilgung,
wie Sie es hier anbringen, genutzt werden.
"Im Fall der Stadt Köln waren es 26 Millionen Dollar, berichtet
die Zeitschrift "Kommune" (2/2002). "Zum Vorteil des
Gebührenzahlers", wie die Stadt in einer entsprechenden
Pressemitteilung vermerkte. Denn auch das ist wichtig:
Der Barwertvorteil aus diesem Geschäft darf nicht in den
allgemeinen Haushalt fließen; er muss im Haushalt der
kommunalen Wirtschaftseinheit gebucht werden. Im Fall
der Stadt Köln also im Budget der Abwasserentsorgung." (mitbestimmung 5/2002)
Das heißt in letzter Konsequenz: eigentlich müssten die Gebührenzahler einen direkten Vorteil aus
diesem Geschäft ziehen können. Die Verschuldung aber der Stadt wird nicht betroffen.
Ich möchte zum Schluß noch zu einem weiteren Argument der Befürworter Stellung nehmen, die auf
den rein finanziellen Charakter des CBL verweisen, ohne Folgen für Dritte.
Sie haben Recht: Cross-Boarder-Leasing ist eine Option der Finanzierung, ähnlich wie Kreditaufnahme und anders.
Aber nach den Steuerprinzipien aller westlichen Rechtsstaaten sind diese Transaktionen klassische Scheingeschäfte,
die einzig und alleine dazu da sind, Steuervorteile geltend zu machen. Sollte so ein Cross-Boarder-Leasing gelingen,
und das heißt in diesem Falle 29 bzw. 99 Jahre lang ohne Komplikationen - ich gebe hier zu bedenken, dass
noch kein CBL-Geschäft in Deutschland bis zum Ende der Rückmietzeit gelangt ist- ja dann haben alle
Beteiligten etwas davon: zuerst der US-Investor, der Steuerabschreibungen von bis zu 120 Mio Dollar geltend machen
kann, dann natürlich alle die Vermittler solcher Geschäfte, die Anwälte und Geschäftsbanken,
die als Zwischenmieter auftreten, Provisionen und Zinsen in sicherlich nicht geringer Höhe sich gutschreiben
lassen können und zu guter letzt auch unsere Stadt Bochum. Und doch, meine Damen und Herren gibt es nicht
nur Gewinner. Denn Steuerabschreibungen eines Unternehmens bedeutet für den Staat, in dem das Unternehmen
steuerpflichtig ist, eine Mindereinnahme an Steuern. Will also ein Staat eine bestimmte Höhe an Steuergeldern
einnehmen, und tut dieses nicht bei den Unternehmen, wird er auf den einfachen Bürger, den Privatmann- und
die Privatfrau zurückgreifen. Wo also ein Unternehmen keine Steuern mehr zahlt, muss der Privatmensch zahlen,
sei es als Verbraucher, als Lohnempfänger oder Empfänger und Nutznießer öffentlicher Leistungen.
Wo die Bilanz eines Unternehmens scheinbar so schlecht ist, dass es dem Staat nichts mehr abgeben kann, dort greift
der Staat entsprechend in die Börse des Bürgers. Dieser kann nämlich nicht ein Kanalnetz aus (Old
Europe) Germany abschreiben. Diese Umverteilung zu lasten der Bürger führt zu zunehmender Ungleichheit
und ist deshalb als ungerecht abzulehnen. Und dabei beschränkt sich diese Ungerechtigkeit nicht nur auf die
Vereinigten Staaten, wo die Firmen bevorzugt und der Einzelne belastet wird, sondern wirkt auch auf unser Land
zurück. Denn die beteiligten Banken beispielsweise werden ihre Beteiligungen als Zwischenmieter sicherlich
auch in die hiesigen Bilanzen einfließen lassen und als Investitionen steuerrechtlich geltend machen, um
weniger Abgaben zum Wohle der Allgemeinheit zahlen zu müssen. Nun, diese Steuermindereinnahmen fallen auch
auf die Stadt Bochum zurück. Sicher, sicher ist der momentane Vorteil, 20 mio €uro zu bekommen größer
als die indirekten Mindereinnahmen, die zudem auch andere betreffen.
Aber kann sich die Stadt Bochum guten Gewissens an einem Verfahren beteiligen, das nur mit Hilfe besonderer Konstruktion
durch Banken, Eigengesellschaften und ähnlichem gerade noch legal ist, jedoch wie auch Bayerns Innenminister
sagt, eher am Rande der Legalität? Kann sich die Stadt Bochum guten Gewissens an einem Verfahren beteiligen,
das einzelnen Firmen hilft, aber der amerikanischen und auch der deutschen Bevölkerung dirket oder indirekt
zusätzliche Zwangsabgaben und Lasten auferlegt; das letztlich der Umverteilung von unten nach oben dient?
Kann sich die Stadt Bochum gutenGewissens an einem Verfahren beteiligen, bei dem die Kosten beim Mißlingen
deutlich höher sind als die erwarteten einmaligen Einnahmen? Können wir als Bürgerinnen und Bürger
ein riskantes Geschäft hinnehmen, ohne dass diejenigen genannt werden, die für die desolate Finanzlage
dieser Stadt verantwortlich sind, ohne dass gegen die Unterfinanzierung der Kommunen angegangen wird?
Soweit erst einmal zur "Moral" solcher Cross-Boarder-Geschäfte.
Wenn sie, liebe Volksvertreter, sich nun der Rechtsauffassung der Verwaltung anschließen sollten, nämlich
dass sie den so eindrucksvoll dokumentierten Bürgerwillen einfach missachten können, ohne einen Bürgerentscheid
einzuleiten, dann möchte ich nur kurz die Gemeindeordnung des Landes NRW § 26 Absatz 6 zitieren: Entspricht
der Rat einem zulässigem Bürgerbegehren nicht, so ist innerhalb von drei Monaten ein Bürgerentscheid
durchzuführen. Nicht kann (ein Bürgerentscheid durchgeführt werdenn), nicht darf, nicht sollte,
sondern IST DURCHZUFÜHREN. Wir sind uns sicher, das diese Rechtsauffassung einer Überprüfung durch
die Kommunalaufsicht und die Verwaltungsgerichte standhält. Ein kassatorisches Bürgerbegehren hat nun
einmal das Ziel, einen bereits gefassten Beschluss anzugreifen und zu kassieren, wie der Verwaltungsrechtler Hellmut
Wollmann zurecht sagt ( Aus Politik und Zeitgeschichte, 25, 1999 11.6.1999, S. 18). Und wenn das stimmt, was ihr
Kollege Forth in der letzten Ratssitzung gesagt hat - die Möglichkeiten und die Kosten einer eventuell notwendigen
Vertragsauflösung betreffend -, dann gehen sie ein Risiko ein in einer Höhe, dass ein verantwortungsbewusst
handelnder Volksvertreter eigentlich gar nicht eingehen kann. Die Entscheidung darüber treffen Sie. Die Entscheidung
darüber, ob wir uns von Ihnen noch angemessen und verantwortungsbewusst vertreten fühlen, treffen wir
Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt - spätestens bei der nächsten Kommunalwahl.
Besser wäre es daher, nicht auf hölzerne Rettungsringe zu vertrauen, sondern an lebensfördernden
Haushaltskonzepten und Politikformen zu arbeiten , um ein bürgerfreunliches, demokratisches und zukunftsorientiertes
Bochum zu schaffen.
Ich danke Ihnen.