FRIEDENSPLENUM BOCHUM

c/o Ludwig Quidde Forum
Brückstr. 46
44787 Bochum, 26.6.05




Herrn
Leitenden Oberstaatsanwalt
Bernd Schulte
Bochum



Offener Brief
Strafverfahren gegen Johannes Bienert - 33 Js 30/05



Sehr geehrter Herr Schulte,

an jedem 9. November der letzten 15 Jahre organisierte Hannes Bienert, Sprecher der Antifa WAT, in Wattenscheid eine Gedenkfeier zur Erinnerung an die jüdischen Opfer der Reichspo-
gromnacht 1938, die er damals als 10-jähriger Junge miterlebte.
Der 9. November 2004 soll ihm nun nach dem Willen der Staats-
anwaltschaft Bochum zum strafrechtlichen Verhängnis werden. Sie klagt ihn an, an diesem Tag mittags in Wattenscheid eine Gruppe von 5 ehrbaren Bürgern - unter ihnen ein jüdischer Kantor und ein Studienrat des Märkischen Gymnasiums - durch die Oststraße geführt zu haben mit einem Transparent, das die Aufschrift trug:
" 9. November, damit die Nacht nicht wiederkehre - Antifa Watten-
scheid". An einem Bauzaun hatten sie ein weiteres Transparent mit der Aufschrift: "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" aufgehängt. Am Ort der ehemaligen Synagoge legten sie nach drei kurzen Ansprachen einen Kranz nieder, dessen Schleifen so beschriftet waren: " 9.November 1938 - Die Erinne-
rung muss das Vergessen besiegen," " 9. November 1938 - Damit die Nacht nicht wiederkehre" und " Antifa WAT, GEW WAT, Märkische Schule WAT, JUSO WAT". Die Staatsanwaltschaft sieht in dieser nicht angemeldeten Veranstaltung ein strafbares Verge-
hen nach dem Versammlungsgesetz. Das Amtsgericht hat die
Strafverhandlung auf den 7.Juli anberaumt.

Hannes Bienert verdient für seine jahrelange Erinnerungsarbeit öffentlichen Respekt, Dank und Anerkennung, nie und nimmer aber Strafe. Wie soll ein verantwortungs- und geschichtsbewusster deutscher Bürger im Jahr 2004 auch nur auf den Gedanken kommen, die 15. Gedenkfeier für die jüdischen Opfer der Pogromnacht in einer Kleingruppe von 5 honorigen Mitbürgern sei strafbar, wenn sie in den 14 Jahren zuvor - aus welchen Gründen auch? - niemals Anlass obrigkeitlicher Intervention war? Woher nimmt die Staatsanwaltschaft den Mut, kurzerhand den für den Tatbestand nötigen Vorsatz zu unterstellen? Wenn sie meint, einen Schuldvorwurf konstruieren zu können: warum stellt sie das Verfahren nicht wenigstens gemäß § 153 Abs.1 Strafprozessord-
nung sogleich ein, weil eine Schuld doch ohne jeden Zweifel gering wäre und offenkundig keinerlei öffentliches Interesse daran bestehen kann, das Gedenken an die jüdischen Opfer der Reichs-
pogromnacht 1938 zu kriminalisieren?

Diese Anklage ist ein Tiefpunkt der Rechtskultur in Bochum. Eine Staatsanwaltschaft, die dafür verantwortlich ist, hat aus unserer Geschichte nichts gelernt.

Hochachtungsvoll


Ralf Feldmann


Folgende Personen haben erklärt, diesen Brief mit zu unterzeichnen:

Ludger Hinse, DGB-Vorsitzender Bochum,
Annemarie Grajetzky, Frauen für den Frieden in der Evangelischen
Landeskirche Westfalen, Gruppe Bochum,
Karin Schiele, GEW-Vorstand Bochum,
Gert Schäfer, GEW-Vorsitzender Wattenscheid,
Serdat Yüksel, SPD-Unterbezirksvorstand Bochum,
Klaus Kunold, Vorsitzender der VVN/BdA Bochum,
Ernst Lange, Vorsitzender der PDS-Ratsfraktion Bochum,
Gabriele Riedl, ehemalige Bürgermeisterin, Bochum,
Dr. Hubert Schneider, Historiker, Vorsitzender des Vereins
Erinnern für die Zukunft,
Prof. Dr. Reinhart Kößler, Friedensplenum Bochum.