Offener Brief Des Bochumer Mietervereins
an den Kreisverband von Bündnis 90/Die Grünen Bochum und Wattenscheid
Sehr geehrte Damen und Herren,
lange Jahre war das Verhältnis zwischen Grünen und Mieterverein durch eine enge Zusammenarbeit in wohnungspolitischen
Fragen geprägt.
Neben immer wieder stattfindenden Konsultationen mit der Ratsfraktion, zeigte sich dies zum Beispiel auch durch
die Tatsache, dass Autoren aus dem Umfeld des Mietervereins für das Kapitel "Kommunale Wohnungspolitik"
in den Wahlprogrammen 1994 und 1999 verantwortlich zeichneten. Wir haben dabei in Kauf genommen, in vielen Bereichen
des öffentlichen Lebens als "grüner Verein" wahrgenommen zu werden, obwohl dies natürlich
nicht den Fakten entspricht und wir außerdem unserer Satzung verpflichtet sind, die parteipolitische Neutralität
festschreibt.
Nach wie vor sind wir der Meinung, dass sich diese Zusammenarbeit in Sachfragen für beide Seiten ausgezahlt
hat und überwiegend produktiv war.
Mit zunehmender Verwunderung nehmen wir daher im Zusammenhang mit den CBL-BürgerInnenbegehren Äußerungen
aus Partei und Fraktion zur Kenntnis, die sich eindeutig gegen den Mieterverein richten und mit einer harten Auseinandersetzung
in Sachfragen nichts mehr zu tun haben.
So kritisierte Wolfgang Cordes auf der Ratssitzung am 27. 2. "gewisse Institutionen", die sich vorher
nie kritisch geäußert hätten, und dann "fernsehwirksam" auf einen fahrenden Zug aufgesprungen
seien - was ja wohl unterstellt, dem Mieterverein ginge es nicht um die Sache, sondern um Publicity.
Tatsache ist, dass wir bereits Ende Juli vergangenen Jahres kritisch zum Cross-Border-Deal Stellung bezogen haben.
So nachzulesen in den Ruhr-Nachrichten vom 31.07.2002. Mensch MieterIn Nr. 96, erschienen im August 2002, setzte
sich dann im Regionalteil MIETERFORUM ebenfalls mit dem Thema unter der Überschrift "Alles nur geleast"
auseinander.
Konsequenterweise hat der Mieterverein dann auch bei der ersten und einzigen Gelegenheit, die ihm von den Grünen
eingeräumt wurde, nämlich auf der öffentlichen Fraktionssitzung am 9. September 2002, seine ablehnende
Haltung zum CBL deutlich gemacht. Insbesondere haben wir darauf hingewiesen, dass es nach unserer Rechtsauffassung
unzulässig ist, Einnahmen aus einem Geschäft mit dem gebührenfinanzierten Abwassernetz zur Schuldentilgung
im allgemeinen Haushalt zu verbuchen. Wir haben dabei auch nicht versäumt, darauf hinzuweisen, dass diejenigen,
die letztlich die Gebühren zahlen, zu mehr als drei Vierteln Mieterinnen und Mieter, mithin unsere Klientel,
sind, deren Interessen wir wahrzunehmen haben. Manfred Preuss sagte damals, das Problem sei erkannt und würde
bei den weiteren Beratungen geprüft. Erst aus der Presse, die über den Ratsbeschluss berichtete, erfuhren
wir dann, wie die "Prüfung" ausgefallen ist.
Es steht der grünen Ratsfraktion selbstverständlich frei, unseren Bedenken Rechnung zu tragen oder auch
nicht. Hinterher zu behaupten, wir hätten sie gar nicht vorgetragen, ist aber unredlich.
Wenn also ein Versäumnis vorliegt, dann liegt es eher auf Seiten der Ratsfraktion, die sich nicht ernsthaft
mit der Argumentation und den Warnungen des Mietervereins auseinander gesetzt hat. Für diese Einschätzung
spricht auch, dass weitere Konsultationswünsche oder Einladungen zu Veranstaltungen von grüner Seite
nicht an uns herangetragen wurden.
In der Pressemitteilung des Kreisverbandes vom 05.03.2003 schließlich finden sich folgende Passagen:
"Auf der anderen Seite betrachten wir mit Sorge eine Entwicklung, wo organisierte gesellschaftliche Interessengruppen,
Vereine, Verbände und vielleicht bald auch Großunternehmen durch Verknüpfung ihrer Mitglieder-
oder Mitarbeiterkarteien mit den Instrumentarien der Direkten Demokratie bei Bedarf ihnen missliebige Entscheidungen
(auch großer) parlamentarischer Mehrheiten im Stadtrat zu Fall bringen können.
Wir kritisieren auch, dass die hinter dem Bürgerbegehren stehenden Gruppen und Organisationen sich erst nach
mehr als 6 Monaten mit dem (öffentlich) laufenden parlamentarischen Prozess auseinander gesetzt haben.
Die direktdemokratischen Instrumente sollten so bürgerfreundlich sein, dass es zu einer lebendigen demokratischen
Praxis kommt, sie sollten den Bürgerinnen und Bürgern (und nicht den schon existenten Lobby-Gruppen mit
ihren vorhandenen Einflussmöglichkeiten) neue Beteiligungsmöglichkeiten eröffnen und somit dem politisch-parlamentarischen
Entscheidungsprozess zu einer möglichst breiten demokratischen Legitimation verhelfen."
Nur am Rande sei bemerkt, dass vorwiegend die etablierten politischen (Oppositions)Parteien in diesem Land das
Instrument des BürgerInnenbegehrens nutzen und dabei grüne Parteigliederungen eine durchaus herausragende
Rolle spielen - auch in Bochum!
Uns das Recht abzusprechen, unsere Mitglieder über ein Thema zu informieren und dafür zu mobilisieren,
das sie unmittelbar und für einen sehr langen Zeitraum finanziell trifft, steht den Grünen nicht zu.
Selbstverständlich ist es auch unser Recht als außerparlamentarische Organisation, alle rechtmäßigen
Mittel zu nutzen, die unser demokratisches Gemeinwesen zur Verfügung stellt, um den berechtigten Interessen
der Mieterinnen und Mieter Gehör zu verschaffen, die nicht nur die Bevölkerungsmehrheit stellen, sondern
bei denen es sich überwiegend um Normalverdienerinnen und -verdiener handelt, deren verfügbares Realeinkommen
von Jahr zu Jahr sinkt und die als Gebührenzahlerinnen und -zahler die finanziellen Konsequenzen des Cross-Border
ausbaden müssen.
Und natürlich freuen wir uns darüber, dass wir gemeinsam mit attac mit Sachargumenten und ohne jede Polemik
so viele Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt von unserer Einschätzung des Cross-Border-Deals überzeugen
konnten.
Uns dafür in die Nähe von Großunternehmen zu rücken, die ihr Tun regelmäßig sicher
nicht am Gemeinwesen ausrichten, sondern nur die wirtschaftlichen Eigeninteressen ihrer vermögenden KapitalgeberInnen
verfolgen, zeigt, dass die Grünen offenbar sehr wenig vom Selbstverständnis und der Tradition einer Solidargemeinschaft
verstanden haben, die seit fast 85 Jahren konsequent und niemals käuflich für die Rechte der Mieterinnen
und Mieter eintritt.
Uns wundert es daher auch nicht mehr, dass die grüne Ratsfraktion mit der SPD seit rund anderthalb Jahren
lieber still und heimlich an einer Neuausrichtung der kommunalen Wohnungspolitik arbeitet, statt unsere Sachkompetenz
zu nutzen, die wir in der Vergangenheit immer und gerne zur Verfügung gestellt haben.
Dennoch würden wir es im Interesse der Mieterinnen und Mieter begrüßen, wenn die Bochumer Grünen
zu einer Politik der Konsultation und Kooperation mit dem Mieterverein statt der polemischen Konfrontation oder
Ignorierung zurückfinden würden.
Wir sagen aber auch ganz eindeutig, dass die Bringschuld für ein konstruktives Miteinander nunmehr bei den
Grünen liegt.
Mit freundlichen Grüßen
Holger Rüsberg
1. Vorsitzender