Leserbrief zur Kritik des Konzertes von Gilad Atzmon "Abend voller Dissonanzen" von Thorsten Hoops am 29. November

Rohfassung!

Liebe Ruhr Nachrichten-Redaktion,

ich bin eigentlich kein Leserbriefschreiber und kann auch als Veranstalter mit schlechten Kritiken leben - doch angesichts des heiklen Themas muss ich zu dem besagten Artikel Stellung beziehen, der inhaltlich grobe Fehler aufweist und die politische Tendenz Gilad Atzmons grob und gefährlich verfälscht.
Zunächst zu den groben Fehlern:

"Der wahre Feind sei nicht Hitler, sondern Stalin gewesen." - Hier fehlt ein wichtiger Hinweis, nämlich wessen Feind Stalin gewesen sei. Atzmon argumentierte, dass der wahre Feind Amerikas nicht Hitler, sondern Stalin gewesen sei. So lange Hitler den Kommunismus im Griff gehabt habe, habe Amerika keinen Grund gesehen, in den Krieg einzugreifen. In der Folge dieser Argumentation sieht Atzmon auch die weiteren von den USA geführten Kriege bis in die Gegenwart.
Hitler wird auch von Atzmon als Verbrecher bezeichnet. Der Holocaust wird von Atzmon nicht geleugnet und auch nicht verharmlost.

Ebenso falsch ist die Aussage: "Die Deutschen sollten (...) sich nicht länger schuldig und auch nicht verantwortlich fühlen." - Tatsächlich fordert Atzmon die jetzige Generation Deutscher auf, sich nicht länger schuldig zu fühlen - doch die Verantwortung weist er keinesfalls von den Deutschen. Im Gegenteil hält er gerade die Deutschen für prädestiniert, wachsam gegenüber jeglichen rassistischen und faschistischen Tendenzen zu sein.

Was die Diskussion zur Anzahl der ermordeten Juden im Holocaust angeht, so ist es schwierig, den Verlauf innerhalb weniger Sätze wiederzugeben. Atzmon kritisiert, dass ein öffentliches Anzweifeln der Zahl von 6 Millionen unter Strafe gestellt wird, wobei selbst vom Holocaust-Museum Yad Vashem verschiedene Studien genannt werden, die Zahlen von 5,1 Millionen oder auch 5,29 Millionen oder 5,5 Millionen beziffern. Dabei macht Atzmon deutlich, zu welchem Fetisch diese abstrakte Zahl geworden ist - als wenn der Holocaust gleich harmloser erscheine, wenn "nur" halb so viele Juden ermordet worden seien.
Wenn Atzmon Bush, Blair und Sharon als Kriegsverbrecher anprangert, tut er dies nicht, um Hitler damit klein zu reden.

Ein Problem der Diskussion am vergangenen Sonntag war sicherlich die Sprachbarriere. Ein Publikum, das in erster Linie zu einem Konzert gekommen ist und im Vorfeld eine Lesung erwartet hat, wurde plötzlich mit einer politischen Diskussion konfrontiert. Wenn wir dies im Vorfeld geahnt hätten, hätten wir uns um eine professionelle zweisprachige Moderation der Veranstaltung bemüht.

Dass Gilad Atzmon mit seinen Romanen provoziert, war uns bekannt und Provokation bis zu einem gewissen Grad auch beabsichtigt. Er geht sehr scharf mit der Politik Israels ins Gericht und zeigt auf, dass aufgrund der historischen Opferrolle selbst rassistisch und nationalistisch motiviertes Handeln Israels gegenüber den Palästinensern von den Vereinten Nationen weitestgehend toleriert wird und Kritik mit der Unterstellung des Antisemitismus abgetan wird.

Es stimmt, dass die Stimmung nach der Diskussion zunächst dem Konzert nicht zuträglich war, wir selbst hatten im Vorraum zur Konzerthalle noch einige Diskussionen mit Gästen, die die Veranstaltung verlassen wollten, geführt. Zwei der Frauen, die zwischenzeitig gegangen waren, sind allerdings zurückgekehrt und haben im Anschluss an das Konzert noch eine ganze Weile in kleiner Runde mit Gilad diskutiert - mit weitaus weniger kontroversem Ergebnis als in der zwischenzeitlich aufgeladenen Atmosphäre vor dem Konzert. Der Abschied erfolgte herzlich und mit Handschlag. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, wenn Thorsten Hoops ebenfalls diese Möglichkeit genutzt hätte, um das, was er sich aus der Diskussion zusammengereimt hat, einer Prüfung zu unterziehen - wenn es um solche Themen geht, ist die journalistische Sorgfalt stärker gefordert als bei einem Konzert, über das man sicherlich auch kompetent berichten kann, ohne bis zum Ende geblieben zu sein.

Gilad Atzmon hat mich heute noch einmal angerufen und sich für den Verlauf des Abends entschuldigt. Er bedauert, dass seine Äußerungen so missverständlich aufgefasst wurden und hat mir ein Statement zur Verfügung gestellt, das er anlässlich einer Einladung der Socialist Workers Party zu einer Tagung "Marxism 2005" verfasst hat. Ich bitte lediglich darum, dass dieses Statement von jemandem gelesen wird, der des Englischen hinreichend mächtig ist:



This is to confirm that I am not a Holocaust denier, I have never denied the Nazi Judeocide and I do not have any intentions to do so. For me racism and Nazism are categorically wrong and it is that very realisation that made me into a devoted opponent of Israel and Zionism.

For me, Zionism, being a racist expansionist movement, is no different from Nazi ideology. In my writings, I try to suggest some alternative philosophical and ethical realisation of historical narratives and current world affairs. This of course applies to the Holocaust. I would argue that atrocities should be realised in ideological terms rather than in measurable positive terms.

Occasionally I question the impact of the Holocaust as a "means of justification". I try to scrutinise its role within western politics and discourse. In fact, I am not interested in the debate concerning the scale of Jewish casualties. As we all know, it wasn't only Jews who died in that bloody war and it isn't the number that makes the difference.

For me the Holocaust isn't a question of quantity but rather a moral lesson, it is search into the essence of being amongst others. These ideas make me very unpopular among Zionists and their supporters.

I may mention as well that I am a jazz musician and a novelist. I am not a politician; I have never been a member in any political party. I am acting independently. I am not associated with any political body and I do not intend to be associated with one in the foreseen future. I deeply believe in an open intellectual exchange in which people with many different and opposing views can hear and be heard. I do believe that we must learn to listen to our opponents. Unless we do that we will never win. I would argue that any form of discourse is acceptable as long as it doesn't bridge the elementary ethical barrier i.e. endorsing violence and discrimination.

Those who try to stop me from appearing in Marxism 2005 next month and Bookmarks later this week are in fact reactionary forces who aim to shatter the most intrinsic notion of intellectual life. They fight against freedom of speech, freedom of interpretation and ideological diversity. They are trying to forcefully implant their obscure views in the very core of British left discourse.

It is devastating to find out that those calls are expressed under the banner of British Jewish left (Anti Zionist Jews, JPUK etc). I would rather prefer to believe that, after such a long history of Jewish suffering, left Jews would position themselves at the forefront of the battle against discrimination and defamation. No doubt many Jews do and I am very thankful for that.

I use this opportunity to call my opponents to attend the coming events and to engage themselves in a fruitful dialogue with me and everybody else.

Peace, Gilad Atzmon

Das Macondo-Literaturfestival bietet rechten Tendenzen kein Forum und distanziert sich von jeglicher Verharmlosung des Holocaust und bittet daher um Richtigstellung einer verfälschenden Berichterstattung.