"Ja" sagen - zum "Konzern Europa"?

Anlässlich des Treffens der Regierungschefs der Europäischen Union Mitte Dezember 2001 in Brüssel haben mehr als 100.000 Menschen demonstriert: für ein soziales Europa. Diesmal hatte sogar der DGB offiziell zur Teilnahme aufgerufen. Insgesamt waren allein über 70.000 Gewerkschaftsmitglieder dabei. Diese massive Kritik an der EU-Entwicklung spitzt sich weiter zu - obwohl die Hochglanzbroschüren der Europäischen Kommission eine Europapolitik bejubeln, die anscheinend nichts anderes anstrebt, als das Wohl ihrer BürgerInnen und obwohl als offizielle EU-Highlights die Einführung des Euro und die Erstellung einer europäischen Verfassung anstanden.

Das Misstrauen der DemonstrantInnen scheint mehr als berechtigt. Jahrelang wurden wir - vor allem hierzulande - gemahnt, "ja" zu Europa zu sagen. Jedoch wollten die KritikerInnen zu Recht wissen: "ja" - zu welchem Europa? Selbst der DGB hat seine vornehme Zurückhaltung aufgegeben und fordert: "welche Verfassung sich das künftige Europa geben wird, darüber darf nicht hinter verschlossenen Türen entschieden werden."

Nun scheinen sich die Befürchtungen zu bestätigen. Wir sollen blind zustimmen zu einem Europa, in dem millionenfache Arbeitslosigkeit zum sozialen Grundtatbestand gehört(*), in dem erkämpfte soziale Errungenschaften stückweise zurückgenommen werden sollen. Trotz der neuen bunten Euroscheine scheint das Europa von Maastricht, Amsterdam und Nizza ein Rückschritt gegenüber den nationalen Standards seiner Mitglieder zu werden - sowohl in demokratischer als auch in sozialer Hinsicht. So ist in der Grundrechte-Charta etwa die Rede von der "Freiheit des Unternehmertums". Von der "Sozialpflicht des Eigentums", wie sie noch im Grundgesetz der BRD steht, ist nichts mehr zu lesen. Im Gegenteil: gegenüber den Unternehmerfreiheiten gibt es keine Garantie sozialer Rechte. Offizielle Begründung der EU-Kommission: man könne keine "Versprechungen machen, die künftig nicht eingehalten werden können".

Mehr noch: die Reste der einzelstaatlichen Sozialnetze werden im Rahmen der "wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Leitlinien" der EU in allen Mitgliedsstaaten zurückgestutzt. Dazu gehören die Angriffe auf die Altersversorgung und den Kündigungsschutz ebenso wie die stückweise Kürzung der Arbeitslosenunterstützung. Menschen mit weniger als 60% des Durchschnittseinkommens sollen nicht länger als arm gelten, sondern bestenfalls als "von der Armut bedroht". Dazu passend, sollen die "Lohnkosten für wenig qualifizierte Tätigkeiten um 20 - 30% gesenkt" werden, zusammen mit einer "entsprechenden Kürzung der Lohnersatz- und Sozialleistungen".

Aktuell, unter den Vorzeichen einer neuen und weltweiten Militarisierung, werden für die Aufrüstung Europas als künftige imperiale Streitmacht erstmals die Stabilitätskriterien zur Währungsunion angekratzt.

In einer umfangreichen Analyse hat kürzlich die niederländische Forschungs- und Aktionsgruppe "Corporate Europe Observatory" der EU sogar die Fähigkeit abgesprochen, "demokratische Kontrolle zu erreichen und die Marktkräfte zu regulieren". Dagegen seien die Bedingungen für die Unternehmenslobby geradezu ideal. Ob EU-Binnenmarkt, Mandate für die Welthandelsorganisation oder Deregulierung der Finanzmärkte - oft werden die detaillierten Entwürfe der Konzern-Lobbyisten von den Behörden eins zu eins übernommen. Und: die neue EU-Kommission, mit 22.000 MitarbeiterInnen das Herzstück der EU, vertrete noch neoliberalere Positionen als die gestürzte Vorgänger-Kommission. (nachzulesen in: "Konzern Europa...", Zürich (Rotpunkt) 2001)

(*) Man könnte ja meinen, die neue Entlassungswelle, die die Arbeitslosenzahlen ein weiteres Mal in die Höhe treiben wird, müsste die EU-Ratsherren dazu bewegen, sich den Bankrott ihrer Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik einzugestehen. Doch - trotz der vollmundigen Parole "Vollbeschäftigung" vom Gipfel 2000 in Lissabon - ist der Rat sich mehrheitlich einig: einen Grund zur politischen Umkehr gebe es nicht. Im Gegenteil: mehr denn je wird die Beschäftigungspolitik diktiert von der Wirtschaftspolitik. Und dabei scheint es um das Gleiche zu gehen wie in der Armutspolitik: Beschönigung der Statistik.

Bhf/Politik


aus dem Info des Bahnhof Langendreer, 01.2002