Über die angebliche Freiwilligkeit von Speicheltests
Bereits seit 1994 treibt ein Vergewaltiger sein Unwesen in Sprockhövel und im Umfeld der Ruhr-Universität. Über den Täter ist sehr wenig bekannt, es gibt nicht weniger als sieben Phantombilder, die sich allesamt nicht besonders ähneln, sowie einige sehr vage Täterbeschreibungen. Seit Anfang 2003 führt die Polizei in Querenburg und Sprockhövel eine Art genetischer Rasterfahndung durch die Entnahme von Speichelproben bei einem Großteil der männlichen Bevölkerung der beiden Gebiete durch.
Bereits im Vorfeld hatte ich beschlossen, den angeblich freiwilligen Test zu verweigern, nicht um die Ermittlungen zu behindern, sondern weil ich die Massengentests für ein unzulässiges und gefährliches Mittel halte. Speicheltests werden nämlich längst nicht mehr nur bei schweren Verbrechen wie Mord und Vergewaltigung eingesetzt, sondern ihre Anwendung wird immer mehr ausgeweitet. Inzwischen ist es so, dass ein Genscreening nicht nur bei jedem, der wegen irgend eines auch noch so kleinen Delikts inhaftiert war, sondern auch bei völlig unschuldigen Menschen wie Asylbewerbern durchgeführt wird, um diese leichter abschieben zu können. Längst werden diese Tests als Mittel der Repression gegen politische Aktivisten sowie zur Diskriminierung von Schwulen (so geschehen in Hamburg) eingesetzt. Längst fordern auch Politiker eine Erfassung der gesamten männlichen Bevölkerung und der Bund Deutscher Kriminalbeamter will Gentests als Teil der normalen erkennungsdienstlichen Behandlung einführen.
Auch mit dem Datenschutz ist es bei dieser Art der Untersuchung nicht so weit her. Es konnte bereits durch eine gerichtliche Untersuchung nachgewiesen werden, dass ein süddeutsches Landeskriminalamt die bei einem Massenscreening gewonnenen Daten keineswegs vernichtet, sondern bereits bundesweit verbreitet hatte. Auch scheint die Auswertung der Daten weit über das erlaubte Maß hinauszugehen. So gab der Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts der Uni Münster, Prof. Bernd Brinkmann, anlässlich einer Anhörung im NRW-Landtag zu, dass nicht nur ein Identitätsabgleich der DNA-Proben durchgeführt wird, sondern dass auch andere Merkmale wie Geschlecht, Haarfarbe, "Rasse" und sogar einige Krankheiten routinemäßig festgestellt und auf Wunsch auch an die Polizei weitergegeben werden (Quelle: Spiegel 28/03). Dies widerspricht nicht nur den Behauptungen der Polizei sondern ist "schlichtweg rechtswidrig, eine Straftat" (J. Montag, MdB [Grüne]). Interessanterweise soll eben jener Prof. Brinkmann, der diesen Rechtsbruch sogar öffentlich zugegeben hat, laut Anordnung des Amtsgerichts Bochum auch meine Speichelprobe untersuchen.
Nicht zuletzt bedeuten die Massenspeicheltests eine Umkehr der Unschuldsvermutung im Strafprozess. JedeR gilt danach so lange als unschuldig, bis seine/ihre Schuld erwiesen ist. Mehrere tausend Unschuldige müssen jetzt aber ihre Unschuld beweisen, anstatt dass Polizei und Staatsanwaltschaft die Schuld eines Verdächtigen belegen. Dieser Grundsatz der Unschuldsvermutung ist aber für einen Rechtsstaat unabdingbar.

Irgendwann Mitte März 2003 bekam ich dann auch den erwarteten Besuch von vier Herren in Grün. Sie kamen, um mir ein Wattestäbchen in dem Mund zu stecken. Ich bat sie herein, um ihnen zu erklären, dass ich mir nicht gerne von fremden Leuten Stäbchen in den Mund stecken lasse. Außerdem hätte ich Bedenken, ihnen mein Erbgut anzuvertrauen, da sich in ähnlich gelagerten Fällen bereits häufiger gezeigt hätte, dass die Polizei auf die einmal gewonnenen Daten nur sehr ungern wieder verzichte (s.o.).
Die Beamten reagierten gelassen, schließlich sei dieser Test freiwillig. Aber natürlich müsse mir klar sein, dass ich mich durch mein Verhalten verdächtig mache. Und deswegen müsse ich mich darauf gefasst machen, dass man nun sehr tief in meine Intimsphäre eindringen würde. Auch Ermittlungen in meinem persönlichen Umfeld würden sich nicht vermeiden lassen, wurde mir gedroht.
Die Jagd auf meine Spucke war eröffnet.

Am 4. April fand ich in meinem Briefkasten ein Schreiben der Bochumer Polizei, in dem mir mitgeteilt wurde, dass in dem Verfahren wegen Vergewaltigung gegen mich als Beschuldigtem ermittelt werde und meine Vernehmung auf dem Polizeirevier nötig sei. Also fand ich mich am 10.04.03 auf der Hauptwache der Bochumer Polizei ein. Nachdem ich einige Zeit von den PförtnerInnen hin- und hergeschickt wurde, fand mich mein zuständiger Kommissar auf dem Flur umherirrend vor. Am Anfang der Vernehmung machte ich darauf aufmerksam, dass ich weder einem der Phantombilder des Täters noch einer der Beschreibungen auch nur im geringsten ähnlich sehe. Unter anderem gab ich an, seit über 15 Jahren ohne Unterbrechung lange blonde Haare gehabt zu haben und dies auch mit Fotos belegen zu können. In sämtlichen Täterbeschreibungen hatte der Verbrecher kurze Haare. Daraufhin wurde mir entgegnet, dass die Beschreibungen sich widersprechen würden und deshalb nur von eingeschränkter Aussagekraft seien. Später erfuhr ich allerdings, dass Kommilitonen, die nur ein wenig größer als die 185cm aus der Beschreibung waren, keinen Speicheltest ablegen mussten. Warum hier verschiedene Messlatten angelegt werden, kann ich nicht ganz nachvollziehen.
Im folgenden ging es nur noch um die Abgleichung von Alibis, in etwa so: "Was haben Sie am x-y Tag im Jahr 1997 um ein Uhr nachts gemacht?" "Keine Ahnung, wahrscheinlich geschlafen." "Hat sie dabei jemand gesehen?" "Ich glaube nicht." Zu keinem der gefragten sieben Termine konnte ich ein Alibi vorweisen. Später fand ich heraus, dass dem Täter insgesamt 19 Verbrechen zugeordnet werden. Warum wurden mir also nur sieben mögliche Tage zu meiner Entlastung genannt? Auch das erscheint mir unverständlich.
Schließlich wollte ich noch wissen, warum ich direkt als Beschuldigter geladen worden war, nicht als Betroffener oder Zeuge, denn im Gegensatz zu den beiden letztgenannten muss gegen eine/n Beschuldigte/n ein konkreter Tatverdacht vorliegen. Mit der Verweigerung eines freiwilligen Tests kann ein Tatverdacht nicht begründet werden. Dazu sagte der Beamte nur, die Staatsanwaltschaft habe das so gewollt. Worin der konkrete Tatverdacht gegen mich bestand, konnte oder wollte er mir nicht sagen.
Zu guter letzt sollte ich natürlich meine Aussage unterschreiben. Ganz oben stand dort, dass ich als Beschuldigter über mein Recht zu schweigen informiert worden war. Aber das hat gar nicht stattgefunden. Ich habe dagegen protestiert, aber dummerweise dennoch unterschrieben, einfach weil ich aus dieser Situation heraus wollte.
Ca. zwei Wochen später rief die Polizei bei meinem Arbeitgeber an. Man ermittle gegen mich wegen einer Reihe von Vergewaltigungen und wolle wissen, ob ich an einem der betreffenden Tage gearbeitet habe.
Wiederum zwei Wochen später stand die Kriminalpolizei bei meinen Eltern auf der Matte. Es war für sie ungeheuer belastend, dass gegen ihren Sohn wegen Serienvergewaltigung ermittelt wird. Ein Alibi konnten auch sie mir nicht verschaffen.
Am 26. Juni schließlich erhielt ich einen Brief vom Amtsgericht, dass die Entnahme meiner Körperzellen durch eine Speichelprobe bzw. im Falle der Weigerung durch (gewaltsame) Blutprobe gerichtlich angeordnet sei. Dem folgte am 10.07. eine Vorladung, in der ich aufgefordert werde, zu einer FREIWILLIGEN Speichelprobe auf der Wache zu erscheinen. Über die Benutzung des Wortes "freiwillig" kann ich inzwischen nur noch lachen. Was heißt freiwillig, wenn man bei einer Weigerung von zwei stämmigen PolizistInnen festgehalten wirst, während einE MedizinerIn dir die Nadel in die Vene rammt?