Bericht über die Gedenkfahrt zum 13-jährigen Jahrestag des Brandanschlages
auf die Familie Genc nach Solingen
Ein Denkmal gegen Rassismus
Unter diesem Motto rief die Bochumer Initiative "Vergessen ist uns nicht erlaubt " am 29. Mai zu einer
kostenlosen Gedenkfahrt nach Solingen auf.
Durch eine relaltiv späte Mobilisierung und auch durch wenig Kenntnisnahme seitens verschiedener Zusammenhänge
bedingt, war der Bus, der uns nach Solingen bringen sollte, nur spärlich ausgelastet. Neben türkischen
MigrantInnen waren 5 deutsche Companeros mit an Bord. Das ließ zu wünschen übrig und uns nachdenklich
werden.
Nach kurzer Fahrt erreichten wir als erste Anlaufstelle, die nur ein Fragment eines gut organisierten Programms
darstellte, Solingen und die Untere Werner-Str. Dort stand einst das Haus der Familie Genc und heute erinnert ein
Gedenkstein, mit Blumen geschmückt, an die Opfer des Pogroms. Auf dem Grundstück nahmen wir 5 Kastanienbäume
wahr, die kurz nach dem Anschlag für die 5 ermordeten Mädchen und Frauen gepflanzt wurden. Vor unserem
geistigen Auge, die wir damals vor Ort waren, um Wut und Trauer zu bekunden, reproduzierten sich bekannte Bilder:
ein qualmender Dachstuhl, anstelle von Fenstern sahen uns große, ausgebrannte Löcher an, die Bergung
der Leichen über einen Feuerwehrleiterwagen.... Anderseits erinnerten wir uns an die vielen DemonstrantInnen,die
im gesamten fassungslos waren ob dieser neuen Qualität der Heimtücke und Brutalität, jedoch auch
an die konkrete Erkenntnis, daß mit den erwähnten rassistischen Übergriffen und Morden eine neue
Dimension rechtsradikalen Terrors eingeläutet war. Nach einem Moment der Stille und verschiedenen Rezitationen
des Korans durch einen anwesenden Iman wurden wir von der Familie Genc in ihr neues Domizil eingeladen. Dort angekommen
sahen wir im Garten ein geräumiges Zelt, wo wir Platz nahmen und uns mit Cay, Kuchen und einem ganz vorzüglichen
vegetarischen Büffet(vielen Dank im besonderen dafür!)unseren kleinen und großen Hunger stillen
konnten. Vor dem Hintergrund von uns geführter interessanter Gespräche wie z.B. mit Thomas Wessel, dem
Pfarrer der Christus-Kirche (Kirche der Kulturen)erfuhren wir von ihm, daß in Solingen seit Jahr und Tag
die Mär die Runde macht,die an Sozialneid grenzt. So soll der Familie Genc ein kostenloses Haus übereignet
worden sein und sie in ganz Solingen für nichts zu zahlen habe, sei es beim Einkauf, an der Tankstelle oder
beim Friseur... Andere Stimmen wiederum fordern nun langsam ein" Ende mit dem Thema und endgültigen Schluß
mit dieser Geschichte". Diese sozialneidischen und bedenklichen Tendenzen entbehren natürlich jeglichem
Wahrheitsgehalt, so wurde das neue Haus mit Versicherungsgeldern gebaut, die Stadt Solingen überließ
nach dieser menschenverachtenden Erfahrung richtigerweise das Grundstück. Und natürlich bezahlen die
Mitglieder der Familie Genc wie alle anderen EinwohnerInnen Solingens für ihre Bedürfnisse und Konsum.
Desweiteren stellten wir fest, daß das neue Haus der Familie Genc, welches nicht im entferntesten den Wert
des alten Hauses repräsentiert,höchsten Sicherheitsstandards genügt: Einfahrtsschleuse mit fahrbarem
Tor, Zäune und Kamaraüberwachung, auch das ist leider bittere Realität und Ausdruck einer traumatisierten
Geschichte und Vergangenheit.
Als vorletzten Programmpunkt besuchten wir das Denkmal gegen Rassismus am Mildred Scheel-Kolleg. Ein unter künstlerischem
und inhaltlichem Aspekt wohl gelungenes Denkmal, bei dem 2 symbolisierte Menschen ein Hakenkreuz zerreißen,
sie aber von tausenden miteinander verbundenen Ringen zu ihren Füßen geschützt und gestärkt
werden. Eine Mauer der Solidarität, in der in den Ringen die Namen ungezählter Menschen aus der ganzen
Welt eingraviert wurden. Vor Ort und unter wesentlich mehr Anteilnahme der Bevölkerung folgten dann die offiziellen
Redebeiträge des Bürgermeisters der Stadt Solingen, dem türkischen Generalkonsul aus Düsseldorf,
eines Iman und eines Vertreters der christlichen Religion sowie des Integrationsministers Laschet aus Düsseldorf.
In einer wohl bekannten und geübten Rhetorik wurde von allen an das offene und demokratische Deutschland appelliert,
auch konnten wir Zitate von J. Rau und R. von Weizsäcker: " Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt,
wird blind für die Gegenwart" vernehmen. Wie wahr und richtig, aber wie begegnen wir dem Rassismus, der
mittlerweile die Mitte der Gesellschaft erreicht hat und wieder salonfähig wird? Herr Laschet aus dem Düsseldorfer
Landesparlament muß sich in diesem Kontext fragen lassen, wie er z. B. zu rassistischen Zitaten des Herrn
Rütgers:" Kinder statt Inder " steht. Diese sog. VolksvertreterInnen müssen sich nicht anhand
von auf Papier geduldig geschriebenen Worten messen lassen, sondern an einer Politik, die sich solidarisch und
emanzipatorisch mit allen Menschen manifestiert. An diesem Punkt erheben wir Einspruch und trennen uns Lichtjahre!
Zum Abschluß der Veranstaltung wurden wir in der Cafeteria des Kollegs noch Zeuge einer Preisverleihung:
Der Silberne Schuh der Stadt Solingen.
Selbiger Schuh konnte nach einer weiteren Laudatio an seinen Adressaten übergeben werden. Dieser mit dem Preis
bedachte Mensch wirkte symphatisch und erklärte am Mikrophon, daß er den Preis gar nicht annehmen wolle,
da es für ihn selbstverständlich sei, sich gegen Rassismus und in Fragen der Flüchtlingspolitik
und Pro Asyl auf Seite der Betroffenen zu stellen. Ferner wurde dem Leiter der Jugendhilfewerkstatt, die das Denkmal
gegen Rassismus konzipiert hat, eine Urkunde übergeben. Danach wurde ein weiteres Büffet eröffnet
und der Ausklang des Abends mit einem türkischen Saz-Musiker eingeläutet.
Fazit:
Es ist bedauerlich, daß nur wenige Deutsche dem Aufruf zum 13-jährigen Jahres- und Gedenktag des Brandanschlages
auf die Familie Genc gefolgt sind. Nichts desto trotz wird im nächsten Jahr eine weitere Fahrt nach Solingen
stattfinden. Wir bedanken uns ganz herzlich bei der Familie Genc für die Gastfreundschaft und auch bei Frau
Ayla Sch. für die hervorragende Organisation. Nichts ist vergeben und vergessen! Wir haben allerdings auch
höchsten Respekt für Frau Genc, die als Mutter ihrer ermordeten Kinder zum Dialog aufgerufen hat und
dem Hass keinen Raum einräumen will. Für diesen mutigen Schritt wurde sie 1998 mit dem Bundesverdienstkreuz
ausgezeichnet.
Keine Grüße gehen an einen uns begleitenden Bochumer Unsymp, der einst schon im denunziatorischen Kontext
aufgefallen ist und sich an den Buffets als erster, anstatt wie üblich als Gast in gemäßigten Abstand
zu der Trauergemeinde, als Vielfraß betätigte! Wir raten ihm: denk mal ein wenig über deine Verhaltensmuster
nach!
Pat und Patachon, autonome Antifaschisten aus Bochum und Herne
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Bilder
der Gedenkfeier in Solingen
Geschichlicher Exkurs:
Im Zuge der Wiedervereinigung 1990 einhergehend mit Chauvinismus
und Deutschtümelei sowie von fast allen Parteien initierte Hetze, die sich in Kampagnen wie " Das Boot
ist voll "," Asylantenflut ", " Wer soll das bezahlen?" ergossen, ereigneten sich in schneller
Abfolge pogromartige Zustände mit vielen Toten, die die widerliche Fratze eines neuerlichen rassistischen
Deutschlands offenbarte. Städte wie Hoyerswerda, Rostock,Mölln, Lübeck, Hünxe oder Solingen
sind bis heute in das Bewußtsein einer antirassistischen Öffentlichkeit gebrannt und gelten bis Ultimo
als unauslöschbar.
3 Tage nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts am 26. Mai 1993 wurde auch unsere Region durch einen heimtückischen
Brandanschlag in der Schläfrigkeit der Nacht, begangen durch Solinger Neo-Nazis, erreicht.
5 türkische Mädchen und junge Frauen konnten nur noch tot geborgen werden, 14 weitere wurden lebensgefährlich
verletzt. Anhand der Namen von Gürsün Ince, Hatice Genc, Hülya Genc, Saime Genc oder Gülüstan
Öztürk wurden Gesichter dieser Menschen transparent. Die Täter erhielten Haftstrafen bis zu 10 Jahren,
sind aber seit einigen Jahren schon wieder auf freiem Fuß.
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