bsz Nr. 647, vom 15.12.2004:

bo-alternativ vor Gericht
Emily ist böse

Am 22. Februar 2003 fand innerhalb von knapp zwei Monaten der dritte Naziaufmarsch in Bochum statt. Nachdem durch die Anmeldung einer Gegenkundgebung am Bochumer Hauptbahnhof der Aufmarsch in der Bochumer Innenstadt verhindert werden konnte, mussten die Nazis nach Langendreer/Werne ausweichen.
An dem Tag waren mehrere Protestkundgebungen angemeldet. Während es die SPD mit Anhang vorzog, am Husemannplatz den Aufstand der Anständigen zu versuchen, versammelten sich knapp tausend Menschen am Bochumer Hauptbahnhof. Nach einer kurzen Kundgebung sollte dann gemeinsam zur Gegendemonstration nach Langendreer gefahren werden. Alles in allem war es an diesem Tag ruhig. Es gab eine Sitzblockade in Langendreer-West, die friedlich aufgelöst wurde und zu einer knapp eineinhalb stündigen Verzögerung der anreisenden Nazis führte. Weitere nennenswerte Störungen blieben aus. Trotzdem hat sich die Bochumer Staatsanwaltschaft ein knappes halbes Jahr später die Mühe gemacht, sich eine Person herauszugreifen und diese mit einem Szenario von gewaltbereiten Autonomen zu konfrontieren, die grundsätzlich bewaffnet zu Demonstrationen gehen und marodierend durch das schöne Bochum ziehen könnten. Vergangenen Donnerstag wurde in diesem Zusammenhang der verantwortliche Betreiber des Internetportals www.bo-alternativ.de in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe in Höhe von 1750 Euro verurteilt. Der eigentliche Anlass für den Prozess erscheint da eher gering.

„Naziaufmarsch verhindern"

Auslöser war ein Plakat, das sich gegen die Nazidemo richtete und vom Betreiber der Internetseite veröffentlicht wurde. „Naziaufmarsch verhindern" stand dort in Verbindung mit dem Hinweis auf die angemeldete Gegendemo am Hauptbahnhof, kombiniert mit dem Bild einer Comicfigur. Nun hat diese Figur, Emily, ein schelmisch blickendes, 13jähriges Mädchen, eine gespannte Schleuder in der Hand. In den Augen der Staatsanwaltschaft macht sie das zur gefährlichen und bis an die Zähne bewaffneten Autonomen, die mit Zwille und „Naziaufmarsch verhindern" zu gewalttätigen Aktionen animiert. In erster Instanz wurde das Plakat als Aufforderung zu Straftaten gewertet und der verantwortliche Betreiber zu einer Geldstrafe unter Strafvorbehalt, oder salopp zu einer Geldstrafe auf Bewährung, verurteilt (bsz 628). Dagegen legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Auch wenn der äußere Rahmen des Emily-Prozesses auf den ersten Blick eher harmlos bis vielleicht lächerlich erscheinen mag, so liegt in dem Urteil dennoch eine gewisse politische Brisanz. Neben der persönlichen Ebene, zeigt sich in dem Urteil auch eine politische Intention, wie auch in einer ersten Erklärung zum Prozess auf www.boalternativ.de zu lesen ist: „Damit reiht sich das Bochumer Landgericht in eine sich verstärkende Tendenz in der Rechtsprechung ein, friedlichen, antifaschistischen Widerstand zu kriminalisieren."

Das Versammlungsrecht hat Grenzen

Zwar gibt es ein von der Verfassung her garantiertes Recht auf Versammlungsfreiheit, allerdings wird dieses durch das Versammlungsgesetz reglementiert und stark eingegrenzt. Ein grundsätzliches Verbot, wie zuletzt beim Naziaufmarsch der NPD gegen den Wiederaufbau der Synagoge in Bochum im März 2004, gibt es eher selten. Eher wird über so genannte Auflagen, wie Verschieben der Demonstrationsroute oder Änderungen von Auftaktort- und -beginn, Einfluss genommen und die grundgesetzliche Versammlungsfreiheit faktisch umgangen. Bei den nachlaufenden Strafprozessen bei Naziaufmärschen dreht es sich in jüngster Vergangenheit immer wieder um die Anwendung des Paragrafen 21 des Versammlungsgesetzes (VersG): „Wer in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Davon lassen sich viele Menschen allerdings wenig beeindrucken, da sie es als ihre Pflicht verstehen zu protestieren, wenn Faschisten wieder marschieren. So kommt es bei Naziaufmärschen immer wieder zu Störungs- und Verhinderungsversuchen, zu denen auch in der Regel öffentlich aufgerufen wird. Die Krimalisierungsversuche antifaschistischen Protests nehmen in letzter Zeit zu. In Wuppertal wurde eine versuchte Gleisbesetzung, die keinen Einfluss auf den reibungslosen Ablauf der Nazidemo hatte, zum Anlass genommen, 61 Personen wegen Verstoßes gegen Paragraf 21 VersG anzuklagen. Hier wurden die meisten Verfahren eingestellt oder endeten mit Freispruch. Nur das Amtsgericht Wuppertal verurteilte die Beschuldigten zu empfindlichen Geldstrafen, die in zweiter Instanz zu geringen Bußgeldern abgemildert wurden (bsz 646). Auch eine Blockade einer Nazidemo während der Wehrmachtsausstellung in Dortmund im Sommer 2003 hat in einigen Fällen zu Verurteilungen, in nur einem zur Einstellung des Verfahrens ohne Auflagen geführt.
Das Verfahren in Bochum
Auch beim Bochumer Emily-Prozess geht es im Sinne des Paragrafen 21 des VersG darum, ob das Plakat dazu geeignet war, zur gewaltsamen Verhinderung eines angemeldeten Naziaufmarschs aufzurufen. Dazu bedient sich die Staatsanwaltschaft bei der Totalitarismustheorie als alter BRD-Doktrin. In einer simplen schwarz-weißen Betrachtungsweise sind Rechts und Links gleichermaßen Extreme, die eine Demokratie der Mitte bedrohen, ohne dass eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfi ndet. Dem steht der Ansatz gegenüber, dass historische Erfahrungen ein grundsätzliches Widerstandsrecht gegen Nazis bedingen. „Bei dem Gedankengut von Neonazis geht es aber nicht um irgendeine politisch missliebige Meinung […]. Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit als Kernpunkte neonazistischer Ideologie sind nicht irgendwelche unliebsamen, politisch unerwünschte Anschauungen, sondern solche, die mit grundgesetzlichen Wertvorstellungen schlechterdings unvereinbar sind", wie es der Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtes und des Oberverwaltungsgerichtes Münster, Dr. Michael Bertrams, in einem Leserbrief in der Neuen Juristischen Wochenzeitung Nr. 44 erklärt. In dem Verfahren sind also grundsätzliche Auffassungen betroffen, wie mit einer zunehmenden Präsenz von Nazis auf der Straße und in Parlamenten umzugehen ist. Mit der formalen Begründung der gleichen (Demonstrations-)Rechte für Nazis wird missachtet, dass dies auf dem Rücken vieler Menschen, besonders von MigrantInnen und jüdischen MitbürgerInnen, geschieht. Unterstrichen wurde diese politische Ebene noch durch eine kleine Auseinandersetzung kurz vor Ende der Beweisaufnahme. Als Richter Löffler eine kurze Zwischenbilanz zog und in der Hauptsache eine Einstellung andeutete, intervenierte Oberstaasanwalt Temming heftig. Es wurde angedeutet, dass es „eine Anweisung von oben" geben würde, bei Verfahren gegen rechte Straftäter einer Einstellung nicht zuzustimmen und dass diese nun auch in diesem Prozess angewendet werden müsse, was der Oberstaatsanwalt ausdrücklich dementierte.

Angeklagt ist einer, gemeint sind wir alle

Trotzdem sollte dieses Verfahren nicht überbewertet werden. Zu stark haben auch persönliche Beweggründe eine Rolle gespielt. Der Prozess sollte (auch) einen Denkzettelcharakter haben. Zu oft schien der Angeklagte, ein langjähriger Friedensaktivist, schon von Verurteilungen davon gekommen zu sein und war endlich abzustrafen, wie Oberstaatsanwalt Temming zwischenzeitlich einräumte. So ist weiterhin damit zu rechnen, dass sich antifaschistischer Protest nicht verbieten lassen wird. eas

ein weiterer Bericht zum Emily-Prozess