Bericht über Emily in der zweiten Instanz:
Die Wahrheit vor Gericht


Am Donnerstag, dem 9. 12.2004 führte das Bochumer Landgericht das zweitinstanzliche Verfahren gegen den verantwortlichen Redakteur von www.bo-alternativ.de vor. Die Staatsanwaltschaft - diesmal sogar in Person des Oberstaatsanwaltes Michael Temming - wirft dem Angeklagten vor (
siehe Anklageschrift), mit der Veröffentlichung des nebenstehende Plakates "zu rechtswidrigen Taten, nämlich zur Begehung gefährlicher Körperverletzungen sowie zu Verstößen gegen das Versammlungsgesetz gemäß den §§ 21 und 27 Versammlungsgesetz aufgerufen zu haben."
Ein zweiter Anklagepunkt ist, dass der Beschuldigte die Anklageschrift auf www.bo-alternativ.de veröffentlicht hat. Der nicht unbedingt allgemein bekannte
Paragraph 353 c des Strafgesetzbuches verbietet dies.
Die Verhandlung war für 9 Uhr angesetzt, begann um kurz vor 10.00 Uhr und dauerte ungewöhnlich lange. Erst um 15.00 Uhr gab es ein Urteil. Der Prozess war alles andere als langweilig.
Der Vorsitzende Richter, Peter Löffler, eröffnete den Prozess recht ungewöhnlich: Normalerweise wird in der zweiten Instanz das Urteil aus der ersten Verhandlung verlesen und dann erhält der Angeklagte zunächst eine Chance sich "einzulassen", sich also zu den Tatvorwürfen zu äußern. Löffler fasste das Urteil nur kurz zusammen und ging den Angeklagten recht aggressiv an: "Was haben Sie sich eigentlich bei dem Plakat gedacht."
Der Angeklagte erklärte dem Richter, dass bo-alternativ.de ein Internetforum sei, auf dem verschiedene Initiativen ihre Position darstellen können. Auch das inkriminierte Plakat sei dokumentiert worden.
Der Richter räumte ein, sich mit dem Internet nicht sonderlich gut auszukennen und ließ sich erklären, wie bo-alternativ.de funktioniert. Danach änderte er seinen Verhandlungsstil, ließ den Angeklagten mehrfach ausreden und bemühte sich deutlich, den Angeklagten zu verstehen.
Löffler machte aber auch klar, dass er eine klare Position hat. Für ihn ist die Äquidistanz zu Linken und Rechten wichtig. Er begreift sich als wertneutral. Dass das Grundgesetz - im Prinzip ja die Grundlage seiner beruflichen Tätigkeit - sich als Dokument der Befreiung vom Faschismus definiert, schien für ihn nicht unbedingt eine handlungsleitende Erkenntnis.
Er konfrontierte den Angeklagten mit seinen Fernseheindrücken von den "steinwerfenden Autonomen" bei Naziaufmärschen und fragte immer wieder, ob das Plakat nicht dazu gedacht gewesen sei.
Der Angeklagte erläuterte mit einer beachtenswerten Geduld die schlichten Tatsachen: Die Nazis hatten am 20.2. für 13.00 Uhr einen Aufmarsch am Hbf angemeldet. Die Bochumer Grünen und das Friedensplenum hatten für 12.00 Uhr eine Demo am gleichen Ort angemeldet, um den Nazi-Aufmarsch ganz friedlich zu verhindern. Die Polizei hat dabei mitgespielt und die Nazi nach Werne geschickt. Die Gegendemonstration am Hauptbahnhof, die der Angeklagte angemeldet hatte, wurde bestätigt.
Das inkriminierte Plakat ruft für diese Demonstration des Friedensplenums am Hauptbahnhof auf. Auch mit ungewöhnlich starken Zwillen lässt sich damit der 10 Kilometer entfernt davon geplante Nazi-Aufmarsch kaum gewaltsam verhindern.
Die Staatsanwaltschaft formuliert in ihrer Anklage gegen die Veröffentlichung des Plakates: "Diese Form der Darstellung im Zusammenhang mit dem Text ‘Naziaufmarsch am 22.02. in Bochum verhindern!' beinhaltet den Aufruf, die nicht verbotene Versammlung von Rechtsextremisten durch die Vornahme oder Androhung von Gewalttätigkeiten zu verhindern oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln und stellt sich gleichzeitig als Aufruf an die Teilnehmer der so genannten Gegendemonstrationen dar, bei der öffentlichen Versammlung Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, ohne behördliche Ermächtigung mit sich zu führen und diese zur Begehung von Vergehen der gefährlichen Körperverletzung einzusetzen."

Der Angeklagte stellte dar, dass er schon mehr als hundert Demonstrationen angemeldet habe, die ausnahmslos friedlich verlaufen seien. Auch alle Kundgebungen am 22.2. seien friedlich verlaufen. Vor diesem Hintergrund sei es doch naheliegend, dass er ein Plakat, mit dem eine Gruppe für die von ihm angemeldete Demonstration wirbt, kaum als Aufruf wahrnehmen wird, mit Waffen oder ähnlichem zu erscheinen. Ganz im Gegenteil: Vor Demonstrationen wird immer ausdrücklich darauf hingewiesen, nicht versehentlich auch nur ein Taschenmesser oder eine Nagelfeile bei sich zu führen. Dies hat schon mancheN ahnungsloseN DemonstrantIn für etliche Stunden in Polizeigewahrsam gebracht.

Zur Veröffentlichung der Anklageschrift äußerte der Beschuldigte, dass er den Paragraphen, der dies verbiete nicht kannte. Als ehemaliger Schöffe vor Gericht war ihm aber bewusst, dass Anklageschriften öffentlich sind und zu Beginn einer Verhandlung öffentlich verlesen werden. Mehrere JuristInnen hatten in der Veröffentlichung kein Problem gesehen.
Der Vorsitzende Richter und der Oberstaatsanwalt meinten dagegen, dass der Angeklagte hier fahrlässig gehandelt habe. Er hätte sich weiteren juristischen Rat bei juristischen Fachleuten einholen müssen. Sein Verbotsirrtum sei vermeidbar gewesen.
Richter Löffler machte dann einen Lösungsvorschlag: Da aus grundsätzlichen rechtlichen Überlegungen heraus die für den Angeklagten günstigste Interpretation des Plakates in Betracht zu ziehen sei, spräche vieles für einen Freispruch im Hauptanklagepunkt. Die Veröffentlichung der Anklageschrift sei ein Vergehen im niedrigen Bereich. Deshalb böte sich eine Einstellung des Verfahrens bei einer Zahlung von z.B. 300 Euro an einen geeigneten Verein an.
Die Anwältin des Angeklagten beantragte darauf eine Beratungspause. Oberstaatsanwalt Temming erklärte sofort, dass dies nicht nötig sei. Die Staatsanwaltschaft werde einer Einstellung auf keinem Fall zustimmen. In einem ungewöhnlich heftigen Disput zwischen Richter und Ankläger warf Löffler dem Staatsanwalt vor, dass er wohl auf Anweisung von oben nicht einstellen dürfe. Schließlich seien schon viel gravierendere Fälle eingestellt worden.
Temming verlor darauf ein wenig die Selbstkontrolle und räumte ziemlich offen ein, dass es ihm nicht nur um das gerade angeklagte Verfahren gehe. Er wolle, dass der Angeklagte endlich einmal verurteilt werde. Es habe schon etliche andere Vorfälle gegeben, die nicht zur Anklage gereicht hätten.
Die Beweisaufnahme wurde beendet und es folgten die Schlussplädoyers. Heike Geisweid, die Anwältin des Beklagten, stellte dabei in den Mittelpunkt, dass bestimmte Symbole immer nur in ihrem jeweilige historischen gesellschaftlichen Kontext zu begreifen seien. Die Zwille sei sicherlich vor 10 bis 20 Jahren ein Symbol für Gewalttätigkeiten gewesen. Heute sei sie das nicht.
Der Staatsanwalt unterstrich, dass der Angeklagte zugegebenermaßen wahrscheinlich nichts Böses gewollt habe. Das reiche aber nicht aus. Er habe es in Kauf genommen, dass mit dem Plakat gewaltbereite Straftäter motiviert würden. Er machte deutlich, dass er es nicht hinnehme, dass "die linke Szene immer ungestraft davon kommt".
Der Angeklagte betonte zunächst, wie wenig dieses Verfahren mit objektiver Rechtsprechung zu tun habe. Wenn in der ersten Instanz Ronald Schill Amtsrichter gewesen wäre, hätte er eine deftige Strafe erhalten. Wenn Dr. Michael Bertrams, der Präsident des NRW-Verfassungsgerichthofes und des OVG in Münster, Amtsrichter gewesen wäre, hätte es wahrscheinlich nicht einmal eine Eröffnung des Verfahrens gegeben. Der Angeklagte zitierte aus einem recht beeindruckenden Leserbrief von Bertrams im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum erlaubten Naziaufmarsch gegen den Bau der Synagoge in Bochum: "Bei dem Gedankengut von Neonazis geht es aber nicht um irgendeine politisch missliebige Meinung, sondern um Anschauungen, denen das Grundgesetz mit seinem historischen Gedächtnis eine klare Absage erteilt hat. Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit als Kernpunkte neonazistischer Ideologie sind nicht irgendwelche unliebsamen, politisch unerwünschte Anschauungen, sondern solche, die mit grundgesetzlichen Wertvorstellungen schlechterdings unvereinbar sind. Der Ausschluss gerade dieses Gedankenguts aus dem demokratischen Willensbildungsprozess ist ein aus der historisch bedingten Werteordnung des Grundgesetzes ableitbarer Verfassungsbelang, der es rechtfertigt, die Freiheit der Meinungsäußerung, bezogen und beschränkt auf dieses Gedankengut – wer auch immer es artikuliert – inhaltlich zu begrenzen." Der ganze Beitrag von Bertrams ist in der
Neuen Juristischen Wochenzeitung Nr. 44 zu finden.
In der Sache erinnerte der Angeklagte daran, dass die Anklage völlig unlogisch sei. Kein Aufrufer zur Gewalt würde dies erstens öffentlich im Internet und zweitens zu einem Ort machen, der meilenweit vom geplanten Nazi-Aufmarsch entfernt sei.

Richter Löffler nahm die Plädoyers von Rechtsanwältin und Staatsanwalt nicht groß zur Kenntnis und formulierte die Hauptaussagen des Angeklagten sehr detailliert zu Protokoll. Seine Zusammenfassung hörte sich an wie die Begründung eines Freispruches.
Dann folgte eine zweistündige Pause. Um 15.00 Uhr wurde das Urteil verkündet: Das Gericht folgte in seinem Urteil vollständig dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte wurde in beiden Punkten für schuldig befunden und zu insgesamt 35 Tagessätzen à 50 Euro verurteilt. Richter Löffler meinte auch: "Das wird Sie etwas überraschen." Was ihn letzendlich zum Sinneswandel gebracht hat und wieso er vom angekündigten Freispruch zur Verurteilung im Sinne der Staatsanwaltschaft umschwenkte, begründete er nicht.

In der Gerichtskantine suchten dann die ProzessbeobachterInnen nach Erklärungen für den ungewöhnlichen Verlauf der Verhandlung. Es gab zwei Erklärungen: Die eher politisch engagierten ProzessbeobachterInnen waren davon überzeugt, dass der Richter in der langen Mittagspause bearbeitet worden und "umgefallen" sei.
Die eher erfahrenen BeobachterInnen von politischen Strafprozessen waren mehrheitlich der Ansicht, dass Löffler sich verkalkuliert habe. Die Formulierung einer revisionsfesten Begründung eines Urteils bedeutet schließlich ganz schön viel Arbeit. Dies bleibt erspart, wenn das Verfahren eingestellt wird. Da der Angeklagte in der ersten Instanz eine Einstellung abgelehnt und auf einem Freispruch bestanden hatte, kam er dem Angeklagten ziemlich entgegen und erklärte, dass eine Einstellung bedeute, dass er im Hauptvorwurf freigesprochen und nur wegen der Veröffentlichung des Urteils bestraft werde.
Löffler hatte nicht bedacht, dass es für Temming eine wichtige Prestige-Sache ist, wenn er als Abteilungs-Chef in so ein Verfahren geht. Hier will er dann auch mit seiner Berufung gewinnen. Als der Staatsanwalt die Einstellung des Verfahrens rigoros abgelehnt hatte, musste sich Löffler entscheiden: Wenn er bei seinem angekündigten Freispruch bleibt, wird das bei seinen eher konservativen KollegInnen schlecht ankommen.
Wenn ihm egal ist, dass er ein paar Stunden zuvor begründet hat, warum ein Freispruch naheliegend sei und nun dem Antrag der Staatsanwaltschaft gefolgt ist, dann bringt das nur verwunderte Blicke auf der ZuhörerInnenbank.
Auch bei der Diskussion in der Gerichtskantine blieb bei allen BeobachterInnen die Verwunderung über das Erlebte; nicht so sehr über das Urteil, als über die Inszenierung, mit der der Wahrheitsfindung gedient wurde.

ein weiterer Bericht in der BSZ