Staatsbankrott in Argentinien – nicht unser Problem?

 

Von „FAZ“ bis „Spiegel“ gehen die Meinungen hin und her, ob der Internationale Währungsfonds (IWF) mit dem deutschen Chef Horst Köhler im Falle Argentiniens nun zuviel gefordert habe und letztlich zu wenig gehalten habe (als im letzten November plötzlich ein Kredit-Stopp verhängt wurde) oder ob, umgekehrt, der IWF zu lange und zuviel Geld habe fließen lassen und damit mitverantwortlich sei für Verschleppung der “Wirtschaftsprobleme” dort.

 

Aber eins scheint unter den hiesigen Kommentatoren klar zu sein: die Probleme, die zum argentinischen Bankrott führten und in der Folge den Volksaufstand mit Straßenblockaden, Plünderungen und Angriffen auf Banken provozierten, diese Probleme seien in erster Linie „hausgemacht“. Die „FAZ“ setzte noch einen drauf: „man kann sich fragen, wie ein von der Natur so reich beschenktes Land derart in der Krise versinken kann?“

 

In der Tat hatte Argentinien alle Voraussetzungen für den Schritt vom Schwellenland zum entwickelten Industrieland – ausgestattet mit einer gebildeten Bevölkerung und gesegnet mit Naturreichtümern. Jetzt aber, nachdem die neue Regierung Duhalde die Quasi-Zahlungsunfähigkeit erklärt und den Peso um 30 % abgewertet hat, nachdem dann die Import-Preise sofort massiv gestiegen sind, die Banken kein Geld wechseln dürfen und die Menschen nicht an ihre Girokonten herankommen (Stand: 17.1.), jetzt verlangt die Europäische Union von Argentinien sofort einen „glaubwürdigen und realisierbaren Plan gegen die Wirtschaftskrise, aber „ohne Rückfall in den Protektionismus“. Als wenn Protektionismus – d.h. besonderer Schutz der inländischen Strukturen - jemals in den letzten Jahren das Problem der argentinischen Ökonomie gewesen wäre – im Gegenteil.

 

Was von den „Global Players“ hier, die jetzt mit dem Finger auf Argentinien zeigen, sehr gerne verschwiegen wird: schon seit den siebziger Jahren hat sich das Land immer wieder genau den Lehrsätzen und Forderungen des Neoliberalismus unterworfen, bzw. unterwerfen lassen, wie sie  hierzulande in der neuerdings so genannten „Weltinnenpolitik“ und insbesondere in der EU gepredigt werden - und, schlimmer, von den Peripherie-Ländern eingefordert werden.

 

Schon Mitte der 70er Jahre passte Argentinien als industrielles Schwellenland nicht mehr in die „internationale Arbeitsteilung“ und sollte sich auf seine angeblichen „Vorteile“ als landwirtschaftlicher Exporteur besinnen. Der Militärputsch von 1976 flankierte diese Strukturveränderung gegenüber den opponierenden politischen und sozialen  Organisationen mittels beispiellosem Terror. Exemplarisch steht dafür bis heute auch die Verhaftung und Ermordung von unliebsamen GewerkschafterInnen bei Mercedes-Benz-Argentinien, die offenbar unter Komplizenschaft der Mercedes-Werksleitung von statten ging und über die sich auch die damalige sozial-liberale Bundesregierung nicht weiter aufregte: zu groß waren die Spekulationen auf  einträgliche Geschäfte.

 

Die Schwächung der inlandsbezogenen mittleren und kleinen Industrie wurde durch den radikalen Abbau aller Zollschranken und die einseitige Öffnung des Landes gegenüber dem Weltmarkt erreicht. Das stärkte den Zugriff internationaler Konzerne, aber auch die Konzentration des Reichtums im Innern in wenigen Händen. Zeitgleich setzte ein neoliberaler Werbefeldzug ein, der die Rolle des Staates bei der Entwicklung eines Landes regelrecht verteufelte. Die Regierungen unter Menem und de la Rua haben dann in den letzten Jahren als gelehrigste Schüler des IWF alle Lehrsätze des Neoliberalismus genauestens befolgt: nach der radikalen Marktöffnung folgte der Verkauf fast allen öffentlichen Eigentums und schließlich sogar die (in die Verfassung aufgenommene (!)) Bindung des Peso an den Dollar. Die Privatisierung aller öffentlichen Dienste geschah zu Ausverkaufspreisen und unzumutbaren Bedingungen. Wirtschaftsministert Cavallo betrieb unter Menem den völligen Abbau der Arbeitsgesetzgebung sowie den Rückzug des Staates aus den Bereichen Erziehung, Gesundheit und Sozialfürsorge. Das unter anderem mit der Folge der Privatisierung von Schulen, Krankenhäusern, bis hin zu Gefängnissen – als neoliberale Empfehlung für den „Wohlstand für alle“. Nach zwei „Wachstumsschüben“ in der Reichtumskonzentration in den 90er Jahren (zuerst kaufen inländische Konzerne die staatlichen Betriebe auf, dann übernehmen ausländische Konzerne und Banken den großen Teil der argentinischen Wirtschaft) betrugen die Auslandsschulden am Ende der Menem-Ära vor zwei Jahren rund 160 Mrd. Dollar. Mittlerweile leben 40% (!) der Gesamtbevölkerung von 37 Millionen unter der offiziellen Armutsschwelle, davon ein Drittel in absoluter Mittellosigkeit. Jetzt aber verweigern die ausländischen Banken und insbesondere der IWF weitere Finanzmittel – nachdem sie in den vergangenen Jahren jede neoliberale Veränderung und den Konsumrausch einer Minderheit finanziert hatten.

 

Während Argentinien nun vor einer völligen Entwertung seines nationalen Vermögens steht, droht auch anderen Musterknaben der neoliberalen Globalisierung der mögliche Absturz: etwa der Türkei oder Polen.

Die letztlichen Hintergründe sind die gleichen: Ökonomien mit ungleicher Produktivkraft, die zu gleichen Bedingungen konkurrieren, erleben keineswegs die behauptete „win-win-Situation“, sondern das Gegenteil: die Konzerne und Banken der produktiveren „Ersten Welt“ werden einen Großteil der einheimischen Unternehmen in den Schwellenländern vom Markt fegen oder übernehmen. Die ehemalige DDR hat diesen Mechanismus zu ihrem Schrecken erkennen müssen, als es schon zu spät war. Aber genau in dieser ideologisch/politischen Entwaffnung von Betroffenen mag ja auch der Sinn der neoliberalen Ideologie liegen – falls die Betroffenen sich das gefallen lassen. Falls nicht: dafür steht die neue weltweite NATO-Interventions-Strategie bereit.

 

Im Falle Argentiniens muss die primäre Forderung nach „Schuldenstreichung jetzt“, die derzeit massenhaft im Land selbst gestellt wird, von hier aus unbedingt unterstützt werden: als politische Forderung insbesondere an die EU!

 

Die Ruhrkoordination am Dienstag, 26.2. , 18.30 Uhr, wird sich voraussichtlich mit den o.g. (neoliberalen) Konstruktions-Prinzipien der Europäischen Union beschäftigen. Dabei soll ein Rückblick geworfen werden: auf den EU-Gegengipfel im Dezember in Brüssel („Für ein anderes Europa in einer anderen Welt“); und auf das „2.Weltsozialforum“ im südbrasilianischen Porto Alegre Anfang Februar.