Rede von Anne Eberle vom Bundeserwerbslosenauschuss Ver.di:
am 17.11.03 in Bochum

AGENDA 2010!

Liebe MitstreiterInnen!
Liebe TeilnehmerInnen der Demonstration "Dem Sozialabbau widerstehen"!

Ich bin eine von viereinhalb Millionen, der registrierten Arbeitslosen.
In der Wirklichkeit sind wir Schätzungsweise 7 Millionen.
Ich grüße alle TeilnehmerInnen, insbesondere, die hier versammelten Arbeitslosen- Sozialhilfebezieher/innen, sowie diejenigen die aus unterschiedlichen Gründen keine Leistung mehr von den Ämtern bekommen.
Auch ich bekomme seit Februar diesen Jahres weder vom Arbeitsamt noch vom Sozialamt eine Geldleistung.
Nicht weil, ich eine Sperrfrist erhalten habe, nicht weil ich eine ´zumutbare´ Lohnarbeit abgelehnt - denn zumutbar ist auch heute schon jede Arbeit-, sondern weil die Vermögensfreigrenze erneut seit Januar diesen Jahres um über die Hälfte abgesenkt worden ist.
Mein sogenanntes Vermögen war für meine Altersvorsorge gedacht.
Altersvorsorge bzw. Lebensversicherungen und Gespartes muß aufgebraucht werden, sonst ist Frau und Mann nicht bedürftig. Die bereits praktizierte Datenüberwachung zwischen den Ämtern bis hin zum Finanzamt läßt uns zu gläsernen Menschen werden.
Zigtausende sind schon seit Jahren aus dem Bezug von Leistungen geflogen. Besonders Frauen sind betroffen.
Sperrfristen nehmen immer mehr zu, Verfolgungsbetreuung nennt man das - neuerdings auch im Arbeitsamt!
Seit der Krise 1974 sind massive Einschnitte bei den Lohnersatzleistungen erfolgt und die Rot-Grüne Bundesregierung hat in kurzer Zeit geschafft das zu vollziehen was das Kapital schon immer wollte.

Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurde aus der "Verordnung für über die Erwerbslosenfürsorge von 1918" übernommen, so wie 1918 soll nur wirklich Bedürftigen also "Beschäftigungsfähigen" und "arbeitswilligen", Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden.
Nicht die ökonomische Krise sei die Ursache von Arbeitslosigkeit. Die Erwerbslosen sollen selbst schuld sein und: "wer Arbeit will der bekommt auch Arbeit". Opfer werden verhöhnt - zu Tätern gemacht.
Dreiviertel aller Langzeitarbeitslosen sind über 40 Jahre alt. Die sind vom Kapital aussortiert: Minderleister.
Die Rot-Grüne Bundesregierung und alle Parteien die im Bundestag vertretenen Parteien, wollen nun allen Erwerbslosen, ob Jung oder Alt Beine machen.
Wie denn?
Im September 2003 waren 4,206 Millionen Menschen beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet.
Für sie standen 330.000 offene Stellen bereit.
"Keine Leistung ohne Gegenleistung" "Wer nicht arbeitet soll nicht Essen" lautete der Grundsatz, bei Hartz 1 bis 4 der von Kommission für ein moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt festgelegt wurde.
Der Grundsatz "Keine Leistung ohne Gegenleistung" wird mit "Fördern und Fordern" gekoppelt, damit die vielen Langzeitarbeitslose sich endlich integrieren und sich nicht mehr auf die Stütze einrichten.
Das ist moderne Zwangsarbeit.
Bereits jetzt erhalten schon 8 Millionen Erwerbstätige weniger als 75 % des durchschnittlichen Verdienstes. Damit arbeitet jeder und jede Dritte im Niedriglohnsektor. Über 2,5 Millionen bekommen sogar nur Armutslöhne.
70 % der Beschäftigten mit Armutslöhnen sind Frauen.
Gleichzeitig erleben wir die alltägliche Jagd des Kapitals in den Betrieben und anderen Unternehmen nach maximaler Verwertung, wo keine Minute Zeit mehr bleibt für ein anderes Leben.
Genau dieser Zwang, sich den Wünschen der "Käufer von Arbeitskraft" total unterzuordnen, also jede Arbeit zu jedem noch so niedrigen Lohn annehmen zu müssen, drückt sich aus in der Agenda 2010.
Sie ist Ausdruck der sozialen Entrechtung und der Enteignung von sozialen Ansprüchen und folglich auch der sozialen Verarmung.
Genau das empfinden immer mehr Menschen hier im Lande und das ist auch die Grundlage für die Bereitschaft, sich zu beteiligen an der Protestbewegung.
Die Arbeitswelt hat sich grundlegend geändert, es werden immer weniger Menschen für den Verwertungsprozess gebraucht
Wir sind im Lande viele, die Recht haben und massenhaft das Recht haben Widerstand zu leisten.
Die Rot-Grüne Regierung, die SPD, CDU-CSU und FDP - alle Parteien im Bundestag, das Kapital, nicht wenige Wissenschaftler und die viel berühmten eingesetzten Kommissionen Hartz, Rürup und wie sie alle hießen erklären täglich den Krieg gegen uns.
Sie alle arbeiten täglich gegen unsere Leben
gegen das Menscheninteresse -
sie arbeiten gegen uns,
gegen jeden der hier leben will,
gegen Migrant/innen die hier leben wollen.
Was kommt nach der Demo?
Die Proteste und Demonstration wird die Rot-Grüne Regierung nicht daran hindern ihren 'Agenda'- oder 'Hartz'-Gesetze umzusetzen.
Wir müssen uns der Realität stellen, es geht um das nackte Überleben auf solidarischer Basis. Nicht um Mitgestaltung geht es, sondern um die Gestaltung unseres Leben selbst. Jetzt müssen wir uns vorbereiten.
Bereiten wir uns jetzt vor, wie wir überleben können.
Und bereiten wir uns darauf vor, nötigenfalls ab dem 1.7. 2004 Hungermärsche zu organisieren.
Doch die Verabschiedung der Gesetze im Bundestag sollte niemand entmutigen, sondern sollte nur noch mehr genutzt werden nach Wegen zu suchen, der Rot-Grünen Regierung ihre Verarmungs- und Niedriglohnpolitik zu versalzen.
Dazu brauchen wir keine Parteien.
Sich wehren bringt Segen!
Allein mit Gesetzwerdung sind die Grausamkeiten nicht umgesetzt, schon gar nicht 1:1!.
" Billigjobs,
" Verfügbarkeit für jeden Job
" Arbeit ohne Lohn
" mehr Sperrzeiten und Leistungsklau
" schikanöse Eingliederungsvereinbarungen, Test- und Trainingsmaßnahmen,
" Verdrängen in Billigstunterkünfte ...
Was Ämter vielleicht gegen einzelne durchsetzen, können viele abwehren, zum öffentlichen Skandal machen, gegen die Regierungspolitik wenden:
Statt Kampf gegen die Erwerbslosen - Streiten für eine solidarische Gesellschaft!
Bekämpft die Umsetzung der Hartz-Gesetze.
Verbreitet Ideen und Tipps zur Gegenwehr.
Schließt Euch zu lokalen und überregionalen Bündnissen zusammen! Unterstützt Euch und uns im Streit mit Ämtern und Ausbeutern!
Bringt den Protest auf die Strassen und in die Medien!
Eine andere Welt ist möglich!
Eine andere Welt ist nötig!
Unsere Agenda heißt: Widerstand