Verbot aller Neonazi-Gruppen

NPD-Verbot – eine Alibi-Diskussion?

Die Attentate haben Bund und Länder unter Druck gesetzt: Die üblichen Worte des Bedauerns sollen durch eine Maßnahme ergänzt werden, die weltweit als Beweis für den "Kampf" der Regierenden gegen die Neonazis herhalten kann. Und so reden die Chefs der etablierten Parteien – über 30 Jahre nach deren Gründung – plötzlich über ein Verbot der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands", der NPD.

Nach dem ersten Beifall in Teilen der Öffentlichkeit begann eine Debatte, die um zwei Fragen kreiste: Wäre solch ein Verbot wirklich wirksam? Und: Ist es überhaupt juristisch einwandfrei erreichbar?

Sicher: ein NPD-Verbot wäre nicht das Ende des Neonazismus. Verstärkte öffentliche Aufarbeitung ist angesagt. Und es müssen Rahmenbedingungen her, die jungen Leuten wieder eine Perspektive bieten. Aber wie kann das klappen, wenn Unternehmer und Politiker zur selben Zeit die Reste des Erhard‘schen "Sozialstaats" nicht schnell genug beseitigen können?

Zudem: die NPD ist nur eine von vielen Neonazi-Gruppen – und die parlamentarisch erfolgloseste. DVU und Reps hingegen sitzen in mehreren Parlamenten (u.a. im Landtag von Sachsen-Anhalt). Aber von denen ist keine Rede. Will man den räudigsten Wolf erledigen und das Rudel weiterziehen lassen?

Also: erst ein Verbot von NPD und DVU und Reps würde die organisatorischen Strukturen der Neonazis empfindlich treffen. Ohne Büros und Schulungsstätten, vor allem aber ohne die Millionen auf den Konten (zum großen Teil aus der Erstattung von Wahlkampfkosten stammend) würden den neuen Nazi-Führern die Beine unter dem Hintern weggezogen. Warum zögert man?

An dieser Stelle melden sich die Taktierer zu Wort, die juristischen Feingeister, die bei der Frage nach der Uhrzeit erst einmal nachschlagen, ob sie darauf überhaupt antworten dürfen. Wenn, warnen sie, die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht obsiegen würde – wie lächerlich stünde der "demokratische Rechtsstaat" da? Welchen Triumph würden die Nazis dann feiern! Welchen Zulauf erwarten! Nein, sagen sie, dann lieber gar nicht erst nach Karlsruhe gehen ...

Ins Grundgesetz haben diese Leute nicht geguckt. Nach Artikel 139 sind noch alle Vorschriften in Kraft, die nach 1945 von den Alliierten zum Verbot nazistischer und militaristischer (!) Organisationen samt ihren Ersatzgruppierungen erlassen wurden. Im Klartext: die Innenminister sind gefordert. Sie können die braunen Parteien als Nachfolgeorganisationen der NSDAP auflösen, ohne erst in Karlsruhe zu prozessieren. Mit all den Materialien, die der Staatsschutz gesammelt haben müsste (und die jeder Surfer im Internet finden kann), dürften Beweise kein Problem sein. Oder geht es wie beim Verbot der FAP vor einigen Jahren wieder nur darum, sich ein demokratisches Alibi zu verschaffen? Die nächsten Monate werden es zeigen.

Reinhard Junge