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Tradition in Deutschland
„Für einen Juden sprechen Sie aber gut deutsch ...”
 

Es gibt Komplimente, die beleidigen. Dieses war so eins, und man kann mit einigem Recht vermuten, dass die Dame, die dem jüdischen Referenten nach dessen Vortrag ein Lob aussprechen wollte, auch an nichts anderes gedacht hatte. Aber welches Bild eines Juden hatte sie vor Augen? Bestimmt das eines kaftantragenden, langnasigen Ghettojuden, nach Knoblauch stinkend, der sich nur näselnd in Jiddisch auszudrücken vermag – „Mauscheln” heisst das im Volksmund – und sich Lichtjahre entfernt von der deutschen Hoch- und Leitkultur befindet. Und woher kennt man solche Typen? Aus Wilhelm Busch´s Zeichnungen, aus Fontanes Briefen, aus dem „Stürmer”, dem antisemitischen Hetzblatt des Julius Streicher.

Der Antisemitismus hat in Deutschland eine starke Tradition. Diese ist auch nach Auschwitz und Dachau noch so lebendig, dass der ehemalige Bürgermeister von Korschenbroich, Graf Spee, vor etwa 10 Jahren „... ein paar reiche Juden totschlagen” wollte, um die marode Stadtkasse zu sanieren. Sein Parteifreund Kanther, ehemaliger Innenminister, versuchte, die Schwarzgelder der CDU jüdischen (!) Spendern in die Schuhe zu schieben. Doch wer meint, der Antisemitismus sei nur das Instrument der Konservativen, der irrt: Rainer M. Fassbinder hat in seinem Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod” der negativen Figur des bösen und egoistischen Reichen, der den Mammon als seinen Gott anbetet, mit erschreckender Selbstverständlichkeit die Gestalt eines Juden gegeben.

Ein nahezu unglaubliches Szenarium spielt sich auf der jüdischen Internet-Seite talmud.de ab: Im offenen Forum für Themen rund um das Judentum tummeln sich vermehrt mutige Spätgermanen, die dort unverhohlen ihr Weltbild zur Schau stellen. Geldjudentum, internationales Finanzjudentum, Juden als Drahtzieher einer Weltverschwörung gegen Deutschland, Juden regieren bundesdeutsche Medien und das angebliche Komplott von „Juden und Freimaurern” gegen den arischen Rest der Welt. Selbst wenn die Verfasser dieser Postings oft postpubertäre Kids sind, so entschuldigt das nichts: Antisemitismus ist keine geistige Einstellung, sondern ein Verbrechen.

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Sieg über Nazi-Deutschland bleibt eine bittere Erkenntnis: Zwar sind mit Wehrmacht und SS die Organe des grössten industriellen Massenmordes in der Geschichte besiegt, nicht jedoch dessen geistige Grundlage – der Antisemitismus. Und genau hier liegt das Problem. Jener stumpfe, immer unbegründete und in der bürgerlichen Welt des 19. Jahrhunderts bis hin zur Mode ausgemalte Hass auf Juden und jüdische Kultur hat selbst den Untergang des nationalsozialistischen Deutschlands überlebt. Und er hat neue Sachwalter gefunden: Ex-APO-Anwalt Horst Mahler, eine der neuen Ikonen der neudeutschen Rechten. Mahler versteigt sich in seinem grauenerregenden Brief  vom 10. Mai 2000 – unter http://www.vereinigte-rechte.de/ mahlerbrief.htm und Thule-Net nachzulesen – zu pseudobiblischen Rechtfertigungen des Holocaust. Und wenn er, Karl Marx zitierend, fordert: „Die Menschheit muss sich vom Judentum emanzipieren”, so outet er sich und seine paranoiden Wahnvorstellungen von einer amerikanisierten und zugleich judaisierten Welt. Sein Mitstreiter, der verurteilte Rechtsterrorist Manfred Roeder, warf im April 2000 dem damaligen Kanzler Kohl vor: „Sie betreiben die Judaisierung unseres Volkes. Sie machen 2000 Jahre abendländische Geschichte zu Schrott, indem Sie sich in Yad Vashem ein Judenkäppi aufsetzen und Anklagen gegen das eigene Volk erheben.”

Antisemitismus hat in Deutschland Tradition: bis zur „Vergasung”. Leider findet er immer neue Erben. In seinem Modergeruch reichen sich Glatzen und Biedermänner die Hand, über alle Parteigrenzen hinaus.

Frank Barth, Jüdischer Kantor

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