Absage an eine Welt, in der das Elend die Kassen klingeln lässt

Rede auf Antimilitarismus-Konzert, 9. Mai 2003, Husemannplatz Bochum

(Knut Rauchfuss)

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
seit mehr als fünfzehn Jahren haben wir gemeinsam mit unseren kurdischen Freundinnnen und Freunden davon geträumt, eines Tages die Statuen des Hochmuts, der Macht und der brutalen Unterdrückung in Bagdad fallen zu sehen. Seit jener Zeit haben wir erhofft, der Tyrann möge eines Tages seine Koffer packen und flüchten, gejagt und gehetzt von all jenen Unterdrückten, die in den letzten Dekaden unter seinem Terrorregime zu leiden hatten. Gesehnt haben wir uns, nach den einfachen aber aufrechten Menschen, die die Paläste des Reichtums, in Einzelteile zerlegt, mit in ihre kärgliche Hütte schleppen.
Und ich muss gestehen, liebe Freundinnen und Freunde, ich muss gestehen, noch heute schlägt mein Herz für Sekunden schneller, beim Anblick der Bilder von den stürzenden Statuen des Diktators. Für Sekunden, denn noch ehe das erste Standbild zu Boden kracht, rast der Herzschlag vor Wut. Vor Wut über die militärischen Sieger, die Invasoren, unter deren Augen ein paar StatistInnen auf der Mattscheibe feiern.
"Befreit", so nennt die "Koalition der Willigen" ein Land, dessen Geographie von toten ZivilistInnen und zerstörten Gebäuden gezeichnet ist. Doch welche neuen Schlächter halten die Mächtigen anstelle ihres ausgedienten Tyrannen für die kommenden Jahre bereit?

Der Präsident des Planeten feiert seinen Sieg, einen Sieg, der nichts anderes ist als eine Attrappe, die mit irakischem Blut bemalt ist und den schmierigen Stempel der Erdölkonzerne trägt.
Er glaubt, ein wesentliches Ziel seines Krieges erreicht zu haben: die Globalisierung der Furcht und der Unterwerfung.
Aber der Präsident des Planeten liegt falsch. Sein Krieg hat nicht die Furcht und nicht die Unterwerfung globalisiert.
Nein, was dieser Krieg internationalisiert hat, ist die Empörung, die Ablehnung, der Protest, das "Nein"!
Statt Furcht und Niederlage zu bringen, hat der Krieg die Herzen der Menschen in Aufruhr versetzt, hat den Planeten in die lebendigen Farben der Empörung gekleidet.

Manche haben prognostiziert und andere insgeheim gehofft, dem Präsidenten des Planeten stehe im Irak ein neues Vietnam bevor. Stattdessen haben sich die irakischen Truppen recht früh ergeben.
Das ist gut so, denn wofür hätten sie denn Blut vergießen sollen? Für die abstrakte Souveränität eines Nationalstaates? Für die Grenzen eines Flecken Erde, der obendrein unter der Knute des Diktatoren litt? Die irakische Armee hat sich ergeben, und sie tat gut daran. Sie ersparte den Menschen eine Verlängerung des Schreckens und der Angst, eine Verlängerung des Sterbens durch die todbringende Übermacht von Bomben und Raketen. Sie haben sich ergeben, und die Invasoren mögen dies als Sieg feiern. Die Empörung jedoch, der Zorn gegen das Unrecht, ist weltweit noch immer in der Mehrheit.
Vielleicht sind wir heute und hier ein paar Menschen weniger, und haben auf der korrupten Waage der Worte und Bilder, nicht so viel Gewicht. Aber vergessen wir nie: Wir sind nicht alleine. Auf der ganzen Welt fanden in den letzten Monaten Mobilisierungen statt, die "historisch einzigartig" zu nennen sind.

Sie sagen: Der Krieg sei vorbei. Und sie hoffen, wir gingen deshalb nach Hause. Doch wir fragen weiter: Wo ist der Frieden? Was heißt hier, der Krieg sei vorbei? Wir leben auf einem Planeten, auf dem derzeit um die 50 Kriege stattfinden und auf dem der kapitalistische Frieden beinahe ebenso tödlich ist, wie der Krieg selbst.
Sie fahren fort zu morden, ob sie im Irak in die Demonstrationen schießen, in Afghanistan oder in anderen Winkeln der Welt.
Sie fahren fort zu morden, weil sie daran verdienen, die Menschen ihrer Freiheit, ihrer Würde oder ihrer Überlebensgrundlagen zu berauben.
Sie fahren fort zu morden, überall dort, wo sie den Zugang zu Glück und Würde als käufliches Privileg einer Minderheit einschränken können, und den Rest der Welt zwischen Erdölfeldern und Kaffeeplantagen versklaven.
Sie lassen Kindheiten hinter Webstühlen verenden, Lungen in ihren Minen um Atemluft ringen, und das Aufbegehren in ihren Kerkern zu Tode foltern. Sie schnüren dem Leben des Planeten den Hals zu, im Schraubstock von Kredit und Schulden, und sie lassen all jene verhungern, deren Leben sie nicht in bare Münze zu verwandeln mögen.

Liebe Freundinnen und Freunde, unser Protest der letzten Monate war mehr als die entschiedene Absage an die Bomben auf Bagdad. Er war die Absage an eine Welt, in der das Elend die Kassen klingeln lässt.

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, und einer von ihnen hat nun hier in Bochum an der Uni eine Gastprofessur erhalten. Ein Mann, der über Jahre hinweg als Erfüllungsgehilfe des Militärs die Türkei regiert hat, als Erfüllungsgehilfe bei der Unterwerfung des kurdischen Rechtes auf ein menschenwürdiges Leben.
Mesut Yilmaz: ein Mann, der in der Türkei, sehenden Auges den barbarischen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung führen ließ; einer, an dessen Händen das Blut Tausender Unschuldiger klebt; ein ehemaliger Ministerpräsident, während dessen Regierungszeit systematisch gefoltert, vergewaltigt und gemordet wurde; ein Ex-Regierungschef, in dessen Amtszeit die schmutzigsten Verbrechen des Staates durch bezahlte Auftragskiller der türkischen Mafia erledigt wurden; ein Wirtschaftsmanager, dessen persönliche Verbindungen zu wenigstens einem dieser Killer international bekannt wurden.
Dieser Mann soll Studentinnen und Studenten in dieser Stadt künftig lehren, wie das System funktioniert, mit dessen Unterdrückung und Korruption, mit dessen Brutalität und Käuflichkeit, mit dessen Rassismus und Gewalt sein Name symbolhaft verknüpft ist. Am kommenden Donnerstag um 19.00 Uhr, will die Universität ihren neuen Gastprofessor im "Haus der Geschichte" in der Clemensstraße, hier am Schauspielhaus, sprechen lassen. Wir werden dagegen demonstrieren, und ich möchte die Gelegenheit heute schon nutzen, Euch zu dieser Demonstration einzuladen, die ab etwa halb sechs hier in der Innenstadt unter dem Motto „Anklagebank statt Lehrstuhl“ am Husemannplatz beginnen soll. Ich hoffe, wir sehen uns dort in möglichst großer Zahl wieder.

Doch zurück zu den aktuellen Kriegen: Der Präsident des Planeten erklärte den 11. September zum Grenzstein der modernen Geschichte. Und wir erinnern uns noch gut an das Leid, das terroristische Todespiloten an jenem Tag über New Yorker Familien brachten. Man versuchte, uns glauben zu machen, die terroristischen Bomben gegen die Menschen in Bagdad und in Kabul seien eine Folge jenes Tages. Nicht nur, dass dies eine Lüge war, nein, mit diesen Mitteln werden sie nur neuen Hass und Zorn, nur neuen Terror hervorbringen.
Der Terror ist ein siamesischer Zwilling mit zwei Köpfen, aber einer Faust: der der Zerstörung.
Wir kennen nun die Kriege, die unser neues Jahrhundert kennzeichnen sollen. Ob dies unsere Zukunft sein wird, liebe Freundinnen und Freunde, liegt in unsrer Hand. Es ist unsere Zukunft und unsere Geschichte. Ob sie tödlich über die Schwachen hereinbrechen wird, oder ob sie den Weg des Friedens und des menschenwürdigen Überlebens wählen wird, das hängt von uns ab, von der Haltung, mit der wir der Zukunft des Planeten begegnen.
Noch hat die Zukunft viele Pfade. Wir können eine bessere Welt wählen, eine gerechtere, aber wir müssen darum kämpfen, sie mit gerechten Mitteln und in Würde zu errichten, denn dies ist das einzige Paar Beine, auf denen auch der Frieden voranschreiten und den Krieg besiegen kann.


Knut Rauchfuss, Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum