"Anklagebank statt Lehrstuhl"
Rede zur Kundgebung 15. Mai 2003,
Knut Rauchfuss, Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
die Ruhr-Universität Bochum hat einen neuen Gastprofessor.

Einen Mann, der seine erste politischen Erfahrungen - Zeitungsmeldungen
zufolge - bei den faschistischen Grauen Wölfen gesammelt hat, und der über
Jahre hinweg als Erfüllungsgehilfe des Militärs die Türkei regierte.

In den Neunziger Jahren, in denen Mesut Yilmaz dreimal Ministerpräsident der
Türkei war, wurde die Repression gegen Oppositionelle zum Hauptinstrument
der Politik.
Kurdische Dörfer wurden mit Napalm bombardiert, Polizeiknüppel schlugen auf
GewerkschafterInnen und Studierende nieder, MenschenrechtsaktivistInnen
landeten hinter Gittern und Todesschwadrone liquidierten Oppositionelle.
Parteikongresse legaler Parteien wurden überfallen, kritische
JournalistInnen verhaftet und gefoltert. Jeden Tag konnte man im türkischen
Fernsehen blutüberströmte Gesichter sehen - egal, ob Mütter, die Auskunft
über den Foltertod ihrer Kinder verlangten, oder Bauern, die einfach nur ein
kurdisches Fest feiern wollten. Mesut Yilmaz war ein bereitwilliger
Erfüllungsgehilfe des Generalstabes bei der Unterwerfung des türkischen und
kurdischen Rechtes auf ein menschenwürdiges Leben.
Liebe Freundinnen, liebe Freunde, ein Mann, der das Militär sehenden Auges
den barbarischen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung führen ließ; einer,
an dessen Händen das Blut Tausender Unschuldiger klebt; ein ehemaliger
Ministerpräsident, während dessen Regierungszeit systematisch gefoltert,
vergewaltigt und gemordet wurde; ein Ex-Regierungschef, in dessen Amtszeit
die schmutzigsten Verbrechen des Staates durch bezahlte Auftragskiller der
türkischen Mafia erledigt wurden; ein Wirtschaftsmanager, dessen persönliche
Verbindungen zu wenigstens einem dieser Killer international bekannt wurden,
- ein solcher Mensch gehört nicht an einen Lehrstuhl der Ruhr-Universität,
nein, Mesut Yilmaz gehört auf die Anklagebank eines ordentlichen Gerichtes.
Dieser Mann soll Studentinnen und Studenten in dieser Stadt künftig lehren,
wie das System funktioniert, mit dessen Unterdrückung und Korruption, mit
dessen Brutalität und Käuflichkeit, mit dessen Rassismus und Gewalt sein
Name symbolhaft verknüpft ist.

Liebe Freundinnen und Freunde, wer die Einhaltung der Menschenrechte, wer
Frieden und Demokratie, wer Freiheit und Würde weltweit fordert, der oder
die kann dies nicht tun, ohne im Einzelfall diejenigen beim Namen zu nennen,
die Menschenrechte und Menschenwürde verletzt, die Demokratie und Freiheit
mit den Füßen getreten und mit Panzern zerschossen haben.
Wir wissen, wer sie sind, wir kennen die Mörder, Folterer und
Schreibtischtäter! Sie tragen die Stiefel der türkischen Armee und die
Uniformjacken der Polizei, sie tragen die Anzüge der MinisterpräsidentInnen,
Abgeordneten und Gouverneure, sie tragen die roten Kragen der Staatsanwälte
und die schwarzen Roben der Militärrichter. Und sie tragen Zivil, wenn sie
unerkannt des Nachts die Menschen aus ihren Wohnungen zerren oder sie am
helllichten Tag auf offener Straße entführen und verschwinden lassen. Denn
nicht erst seit jenem Unfall in Susurluk, der unweigerlich zu einer
Kollision mit der Wahrheit führte, - nicht erst seit jenem Unfall weiß die
Welt, dass in der Türkei die Todesschwadrone des organisierten Verbrechens
in den Regierungspalästen und Kasernen zu Hause sind, und gelegentlich mit
Polizeioffizieren und Parlamentariern im selben Auto umherreisen. Mesut
Yilmaz musste zurücktreten, als seine Verbindungen zum organisierten
Verbrechen international bekannt wurden, als ein von Interpol gesuchter
Auftragskiller und Drogendealer bei seiner Verhaftung in Frankreich angab,
gute Beziehungen zur Regierung Yilmaz unterhalten zu haben, als
Tonbandprotokolle von Gesprächen mit Yilmaz' Vertrautem öffentlich wurden,
und als jener Mafiakiller angab, auch mit Yilmaz selbst zehn Telefongespräche
geführt zu haben.

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, wir fordern die Aufarbeitung und
rechtsstaatliche Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen. Warum tun wir
das? Mesut Yilmaz ist heute kein wichtiger Politiker der Türkei mehr. Seine
Partei, deren Vorsitz er niedergelegt hat, ist nicht mehr im Parlament
vertreten. Ja er ist nicht mal mehr das einflussreiche Mitglied des
europäischen Konvents, als dass ihn die Universität gerne verkauft hätte.
Warum also interessieren wir uns für einen derart unwichtigen Mann? Warum
interessieren wir uns für die Vergangenheit? Liebe Freundinnen und Freunde:
das Vergangene ist nicht tot, ja es ist nicht einmal vergangen.
Vor wenigen Tagen erreichte uns eine eilige Meldung des türkischen
Menschenrechtsvereines IHD, die von einer neuerlichen Erstürmung seiner
Büroräume durch Polizeikräfte berichtet. Während die Repression gegen
MenschenrechtsaktivistInnen in der Türkei nach wie vor zum Alltag gehört,
ist die Menschenrechtsbilanz des Landes weiter verheerend. Allein in den
ersten drei Monaten dieses Jahres, wurden nach Angaben des IHD mehr als 200
Menschen in der Haft gefoltert und misshandelt, 50 weitere in ihrer Wohnung
oder auf der Straße. Immer wieder werden Zeitungen, Radio- und TV-Sender
zeitweise verboten, Bücher beschlagnahmt und allein bis Ende März neun
JournalistInnen festgenommen. Die bekannte Menschenrechtsanwältin Eren
Keskin unterliegt derzeit einem Berufsverbot.
Liebe Freundinnen und Freunde, dass sich die Menschenrechtssituation in der
Türkei seit Jahren nicht verbessert, liegt u.a. auch daran, dass
Verantwortliche für ihre Taten nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Und in
den wenigen Fällen, in denen ausnahmsweise Gerichtsverfahren eröffnet
wurden, gingen die Angeklagten mit kurzen Strafen oder gänzlich straffrei
nach Hause. Dies gilt für die direkten TäterInnen, und erst recht für die
politisch Verantwortlichen.
Einzelne rechtliche Verbesserungen, die als zaghafte Konzession an den
Beitritt zur europäischen Union eingeleitet wurden, täuschen uns nicht
darüber hinweg, dass die Vergangenheit der Türkei auch heute noch ihre
Gegenwart ist.
Liebe Freundinnen und Freunde, in der Türkei ist die Straflosigkeit von
Menschenrechtsverletzungen zur Staatsdoktrin geworden. Doch nur eine
lückenlose Aufarbeitung der Vergangenheit, die Aufklärung, die Anklage und
die Ahndung von Verbrechen kann eine solide Grundlage gesellschaftlicher
Aussöhnung schaffen und zukünftige Verbrechen verhindern helfen.

Weltweit, liebe Freundinnen und Freunde, weltweit wird seit jener legendären
Verhaftung des chilenischen Diktators Pinochet in London 1998 mit großem
Einsatz für die juristische Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen
gestritten. Mit großem Trickreichtum, einem hohen Maß an Akribie und einem
langen Atem versuchen Menschenrechtsorganisationen und Anwaltsvereinigungen
die Schicksale von Opfern aufzuklären, Überlebende zu rehabilitieren und die
Täter ihrer verdienten Strafe zuzuführen. Gleichzeitig wurde mit gewissem
Erfolg die Einführung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit erstritten.
Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sollen sich zukünftige
VerbrecherInnen gegen die Menschlichkeit verantworten müssen. Bisherige
leider nicht.

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, heute will die Universität ihren neuen
Gastprofessor im "Haus der Geschichte" in der Clemensstraße, hier am
Schauspielhaus, sprechen lassen. Wir haben die Vorwürfe gegen Mesut Yilmaz
genauestens recherchiert und in einem Dossier detailliert zusammengetragen.
Die Universität ließ sich davon nicht beeindrucken. Wir werden gleich zum
"Haus der Geschichte" ziehen und erneut demonstrieren, dass wir den Mangel
an moralischem Urteilsvermögen seitens der Universitätsleitung nicht
akzeptieren können.

Schon gestern haben wir mit Plakaten an diejenigen erinnert, die verschleppt
wurden, und deren Schicksale bis heute nicht aufgeklärt sind.
Und Herrn Yilmaz fällt dazu nicht mehr ein, als gestern im Radio zu
behaupten, wir seien sogenannte "Terroristen" und "Sprachrohre der
Kurdischen Arbeiterpartei PKK". Aha, da ist er wieder, der altbekannte
Vorwurf, der mir unter Yilmaz 1997 in der Abwandlung "Friedensterrorist"
schon einmal angehängt wurde! Ist das der universitäre Dialog, zu dem uns
die Universitätsleitung und Dekanin Ilse Lenz einladen möchten?
Liebe Freundinnen, liebe Freunde, wir fordern die Universität erneut auf,
ihren Ruf nicht weiter zu ruinieren. Der abgestandene Vorwurf von der
"PKK-Connection" wird auch durch ewige Wiederholungen nicht wahrer. Nicht
nur, dass die PKK als Sympathieträger schon alleine deshalb nicht infrage
kommt, weil sie seit ein paar Jahren nur noch einen einzigen politischen
Gefangenen kennt. Es gibt noch zahlreiche andere Gründe, warum der Vorwurf
schlichtweg falsch ist. Diese gehören jedoch heute nicht hier her. So hält
man uns also mal wieder für sogenannte "Terroristen". Wir befinden uns dabei
nicht in schlechter Gesellschaft.
Der Generalstab der Türkei veröffentlichte Mitte April eine schwarze Liste
von 33 ausländischen Organisationen, die angeblich "unter dem Deckmantel
'Humanitäre Hilfe' der PKK logistische Hilfe geleistet" hätten, darunter das
Alfred Nobel Institut, Amnesty International, die Ärzte gegen Folter, Human
Rights Watch, die Internationalen ÄrztInnen gegen Atomkrieg (IPPNW), das
Rehabilitationszentrum für Folteropfer Berlin und eine Gliederung von ATTAC.
Und wir befinden uns in der ehrenhaften Gesellschaft türkischer und
kurdischer MenschenrechtlerInnen, die tagtäglich als sogenannte
"Terroristen" diffamiert werden. Einige von ihnen haben diese Diffamierungen
mit ihrem Leben oder ihrer Gesundheit bezahlt. Mesut Yilmaz weiß dies, und er
hat sich auch zu diesem Teil seiner Regierungspolitik bekannt. Im Dezember
1998 - nur wenige Monate nach den Schüssen auf den weltweit geachteten
Menschenrechtler Akin Birdal - erklärte Yilmaz auf einer Kundgebung: "Wir
führen den Kampf ja nicht nur gegen die Terroristen auf den Bergen, sondern
auch gegen die mit den Krawatten in den Städten."

Bravo Herr Yilmaz, heute hier in Bochum zeigen die terroristischen Krawatten
Ihrer Opfer auf Sie!
Sie sind hier unerwünscht! Dies dürfte doch wohl mehr als deutlich geworden
sein. Aber Sie besitzen nicht einmal genug Anstand und Ehre, Ihre Koffer zu
packen und dieser Stadt und ihrer Universität den Rücken zu kehren!
Verschanzen Sie sich doch hinter polizeilich bewachten Hörsälen, so, wie Sie
regiert haben, werden Sie in diesem Land nicht lehren können.