Die nachfolgende Kritik von Eckhard Stratmann-Mertens u.a. auch an bo-alternativ.de
hat weitere Stellungnahmen ausgelöst. In seiner Vorbemerkung bezieht sich Eckhard Stratmann-Mertens auf eine Aktion des Staatsschutzes,
die gleichzeitig zum Eingang seines Schreibens stattfand.
Vorbemerkung:
Das folgende Anschreiben ging heute Nachmittag (vor 15.00 Uhr) an bo-alternativ, bevor ich von der Staatsschutzaktion
beim ASTA Kenntnis
hatte. Heute Abend wurde ich von Martin Budich über diesen Vorgang näher informiert. Unabhängig
davon bin ich aber der Meinung, dass auch eine Kritik von links an dieser Art von Plakatierung geäußert
werden muss, um unter Linken/Antifas eine Sensibilisierung für die möglichen, wenn auch nicht unbedingt
beabsichtigten, Wirkungen zu erreichen.
An die Redaktion von bo-alternativ!
Hiermit möchte ich gegen die Form und den mit ihr verbundenen Inhalt des Aufmachers auf der Seite von bo-alternativ
zur Antifa-Demo am 22. Februar in Bochum protestieren. Ich meine ausdrücklich nicht grundsätzlich den
Aufruf gegen die wiederholte Nazi-Demonstration in Bochum und wo auch immer: dies finde ich notwendig und selbstverständlich.
Der Aufmacher auf der Startseite von bo-alternativ ist allerdings mit einem Plakat zur Gegendemo verbunden: Dieses
Plakat zeigt ein kleines Mädchen, das mit einer Zwille auf -so wird bildlich suggeriert- Nazis zielt oder
solche, die man dafür halten soll. Dieses Plakat halte ich durch die
Instrumentalisierung des Mädchens für perfide und auch ohne diese Nuance für menschenfeindlich.
Es wird offen Gewalt gegen Menschen propagiert. Wer in dieser Weise gegen Nazis vorgehen will, hat sich im Vorfeld
schon mit ihrern Methoden gemein gemacht.
Dass das Plakat beim Asta der Ruhr-Universität bestellt werden kann, wirft einen bezeichnenden Blick auf die
politische Kultur der sog. Linken und Alternativen Listen.
Ich fordere bo-alternativ auf, sich von diesem Plakat zu distanzieren, und alle Demo-Interessierte, dieses Plakat
nicht zu verbreiten.
Eckhard Stratmann-Mertens, 17.2.2003
18.2.:
"Plakat: perfide und menschenfeindlich?
Eckhard Stratmann-Mertens: Ignorant, arrogant und ohne Kenntnis von Jugend-
und Subkultur!
Dies wäre eigentlich die richtige Antwort auf das Rumholzen von E.
Stratmann-Mertens. Denn diesem - obwohl als Lehrer tätig - fehlt offensichtlich jeder Bezug zur Subkultur,"
schreibt Horst Hohmeier, Aktivist im Bochumer Atomplenum zur Stellungnahme von Eckhard Stratmann-Mertens. "So
zeigt das Plakat nicht etwa ein niedliches kleines Mädchen sondern eine bekannte Comicfigur. Das Motiv mit
der Zwille finde ich in Zusammenhang mit der Moblisierung nun auch nicht besonders geschickt, aber es als perfide
und menschenfeindlich zu bezeichnen ist ja wohl völlig neben der Spur. E. Stratmann-Mertens offenbart einen
Humorlevel und ein Verständnis von Ironie, das dem des Staatsschutzes in nichts nachsteht. Dieser sah auch
schon einen Aufruf zur Gewalt in einem Poster, das Jim Knopf und Lukas vor hochgebogenen Eisenbahnschienen zeigte.
Eine Benefizveranstaltung mit dem für eine Feier angemessenem Titel "Entgleisung" fand sogar Eingang
in den Verfassungsschutzbericht.
In einer Diskussion hätte ich die Äußerungen von Eckhard unkommentiert als Standpunkt eines humorlosen
Moralisten stehen gelassen, aber als Diskussionsbeitrag auf Bo-Alternativ muss ich meinen deutlichen Widerspruch
anmelden."
18.2.:
Stellungnahme des AStAs zu E. Stratmann-Mertens Vorwürfen:
"Wir haben uns über die Angriffe gegen den AStA und die AStA-tragenden Listen sehr gewundert. Mir ist
schleierhaft, wie Eckhard Stratmann-Mertens auf die Idee kommt, diese Plakate könnten beim AStA bestellt werden.
Der AStA ist nicht Herausgeber dieser Plakate. Es ist vielmehr der Fall, dass der AStA-Flur als öffentlicher
Raum von einer Initiative (wie von vielen anderen auch) als zentraler und bekannter Anlaufpunkt dafür genutzt
wurde, anderen Gruppen und Personen ihr Plakat zugänglich zu machen. Nach der Aktion des Staatsschutzes (durch
die ich überhaupt erst erfahren
habe, dass die Plakate dort ausliegen) haben wir die Plakate entfernt. Unabhängig davon, wie Einzelpersonen
das Motiv des Plakats bewerten, (welches im übrigen offensichtlich aus einem bekannten und erfolgreichen Kinderbuch*
stammt,) möchte ich dazu aufrufen, dass wir alle die verbleibenden fünf Tage bis zum 22. Februar dazu
nutzen, möglichst viele Leute für die Demonstrationen gegen den Naziaufmarsch zu mobilisieren. Für
solidarische Kritik haben natürlich auch wir ein offenes Ohr, solange sie a) an die richtigen gerichtet und
b) begründet ist. Mit solidarischen Grüßen, Rolf van Raden, AStA-Vorsitzender der Ruhr-Universität
Bochum"
19.2.:
Liebe BO-Alternativ-Redaktion,
auch wir finden das Plakatmotiv unpassend. Wir haben es gestern Abend zum ersten Mal gesehen und es ähnlich
interpretiert wie Eckhard Stratmann-Mertens.
Leider passt es in das Bild, das wir auch von der ersten Veranstaltung bei verdi bekommen haben. Der Wille zum
wünschenswerten friedlichen Widerstand wurde von einigen Anwesenden dazu genutzt, zu gesetzeswidrigen Handlungen
aufzurufen. Dann muss man sich aber nicht wundern, wenn die Polizei eingreift und sich "auf die Seite der
Rechten" stellen muss. Im übrigen schreckt man viele Menschen ab, die sich sonst gerne an einer Demo
gegen Rechts beteiligen würden.
Demokratie bedeutet, dass auch die ein Recht auf Meinungsäußerung haben, von denen wir uns wünschen,
dass sie es nicht ausüben.
Deswegen:
friedlicher Widerstand und Protest ja, Aufruf zu Gewalt und Rechtsbruch oder menschenverachtendes Vokabular nein.
Wir sollten uns nicht auf eine Stufe mit denen begeben, die wir aus Bochum fern halten wollen.
Viele Grüße
Christian Michalak
Sprecher der Grünen Jugend Bochum
20.2.:
Liebes Bündnis und andere Interessierte,
ich frage mich, wie es das besagte Plakat schaffte so viel Staub aufzuwirbeln. Zunächst der Staatsanwalt und
seine Staatsschützer, die im
AStA, einer wichtigen Infrastruktur des Bündnisses, auftauchten und in einer grauzone agierten. Einen richterlichen
Beschluss hat es nie gegeben. Doch Stratmann und die Jungen Grünen distanzieren sich im vorauseilendem Gehorsam.
Stratmann müsste wissen, was seine Stellungnahme bewirken könnte. Eine Spaltung des Bündnisses.
Die Jungen Grünen haben es ausformuliert: "friedlicher Widerstand und Protest ja, Aufruf zu Gewalt und
Rechtsbruch oder menschenverachtendes Vokabular nein. Wir sollten uns nicht auf eine Stufe mit denen begeben, die
wir aus Bochum fern halten wollen." Schwer einzuschätzen, ob sich die Urheber der Tragweite ihrer Argumentation
bewußt sind. Was bewegt die Verfasser zudem das Schlagwort "menschenfeindlich" zu gebrauchen?
Zum einem sollen diejenigen denunziert werden, die schon bei den ersten Aufmärschen auf der Straße waren
und auch jetzt noch einen wichtigen Faktor darstellen. Hier sei nur der AStA genannt, dessen "politische Kultur"
unverschämterweise von Stratmann-Merten massiv angegangen wurde. Zum anderen werden Ängste geschaffen,
die fern jeglicher Realität sind. Wahrscheinlich hatten Stratmann und seine Fürredner schon immer ein
ungutes Gefühl im Bauch: Werden vermummte Autonome anreisen, um sich im Schutze Bündnisses mal richtig
auszutoben? Da kam wohl das Mädchen mit der Zwille gerade recht. Gar nicht auszudenken, was sich da alles
in der Phantasie von Stratmann-Merten, der Staatsanwaltschaft und den Jungen Grünen abspielte? Hörten
sie schon die abgeschossenden Stahlkugeln pfeifen? Anders ist der Ausdruck "menschfeindlich" nicht zu
erklären.
Sicherlich geben Symbole, wie die Zwille, einen gewissen Interpretationsspielraum. Dies liegt in der Natur von
Symbolen. Bezeichnenderweise lösen die Reaktionen von Stratmann-Merten und Konsorten, bei der Zielgruppe des
Plakats nur Kopfschütteln aus. Wer nur ein wenig die
Demokultur im Ruhrgebiet kennt, weiß dass es totaler Quatsch ist, dass mit diesem Plakat zum Gebrauch von
Zwillen aufgerufen wird. Doch abgesehen davon, dass das befürchtete Szenario völlig an der Realität
vorbei geht, ist es noch nötig nach weiteren Interpretationen des als "menschfeindlich" denunzierten
Symbols zu fragen. Vielleicht überforderte die Kritiker des Motivs die Abbildung eines Mädchens. Denn
in der Regel sind es, wenn es sich um Kinder mit Zwillen handelt, Jungen, die abgebildet werden. Denken wir zum
Beispiel an Calvin, der mit seinem Tiger Hobbes auf seine Art und Weise gegen die Welt der Erwachsenen rebelliert.
Allgemein lässt sich sagen, dass in der Welt der Fiktion, Kinder mit Zwillen als besonders Frech und immer
auf der Suche nach neuen Streichen, charakterisiert werden können. In ein solches Licht gerückt, muss
das Plakat anders bewertet werden: Es ist in keinsterweise "meschenverachtend", sondern symbolisiert
eine gewisse Portion Frechheit und (zivilen) Ungehorsam, welches nötig ist, um das Ziel des Bündnisses
zu erreichen: Den Nazi-Aufmarsch verhindern! Wir werden uns an Polizeiketten vorbeimogeln müssen, da auftauchen
wo wir nicht erwartet werden, Ungehorsam dann sein, wenn uns die Polizei dazu aufruft, die Straße für
die Nazis zu räumen.
Abschließend stellt sich die Frage des solidarischen Umgangs. Dass der Staatsanwalt nicht auf der Seite des
Widerstands steht, ist nicht verwunderlich. Doch Stratmann-Merten & Co. gießen Öl ins Feuer und
unternehmen hiermit einen Spaltungsversuch, der tatsächlich an der
politischen Kultur zweifeln lässt. Ohne nachzudenken, wird der Polizei zu gearbeitet, die kein Interesse daran
hat, das hat sie nun schon zwei Mal
bewiesen, dass die Nazis nicht in Bochum marschieren. Die Jungen Grünen setzen noch einen drauf und bekunden
ihr Verständnis für die Ermittlungen. Es bleibt zu hoffen, dass sie nur eine Minderheit bleiben und die
Mehrheit, die Äußerungen anders bewertet. Denn nur ein breites und solidarisches Bündnis, dessen
Akteure auf billige Profilierungsversuche verzichten, hat das Potential den Nazis die Suppe zu versalzen!
Otto (noch Referent fur Grund- und Freihetsrechte, AStA Bochum)
21.2.:
Meine Güte, liebe Leute, woher nehmt Ihr nur die Energie - inmitten weit größerer Probleme - für
so wilde Spekulationen, Anwürfe und gar "Achsen"-Konstruktionen, für die ich aktuell eigentlich
nur Bush jr. als einfältig genug ansah?
Um mal wieder einen gemeinsamen Boden einzuziehen:
Die Herausgeber des inkriminierten Plakates wollten genauso wenig zur Gewalt aufrufen, wie die kritischen Rezipienten
dieses Antifa-Plakates darin - und gewiß auch nicht in anderen - einen Aufruf zur Gewalt sehen möchten.
In den Erwartungen an Antifa-Plakate und damit auch in grundlegenden humanistischen Setzungen besteht also beidseitig
Einigkeit. Das sollte einmal wieder festgestellt und zwei, drei Minuten sacken gelassen werden.
Grundlegend für die ganze Debatte ist doch offenbar ein Kommunikationsproblem, das zu analysieren spannender
und für jede politische Weiterarbeit hilfreicher ist, als sich in weiteren Spekulationen und m.E. Schein-Polarisierungen
zu verausgaben.
Was im öffentlichen Raum in Erscheinung tritt, muß sich gefallen lassen, muß schon im Vorfeld
damit rechnen, daß es sehr unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert wird. Soweit die Herausgeber ihre
Publikation an ein breites Spektrum richten, von vielen verstanden und angenommen werden wollen, werden sie um
sehr einfache, breit verständliche Sprache und konsensfähige Symbole bemüht sein müssen, ansonsten
kann ihre Kommunikation mit dem Publikum und die Absicht ihrer Kommunikationsaufnahme nicht gelingen.
Rezipienten vorzuwerfen, einen bestimmten Spezialcode nicht zu beherrschen, anders als die Herausgeber sozialisiert
zu sein, und ähnliches mehr, führt bei der eigenen Kommunikationsabsicht nicht weiter - zumal, wenn man
all die Menschen kommunikativ miteinbeziehen möchte, die man gegen den Rassismus von Rechtsextremen verteidigen
will.
Ist die Zielgruppe von vornherein distinkt, sind die Kommunikationsformen in Sprache, Metaphern, Emblematik etc.
mit ihr von vornherein gesichert, mögen solche Problematisierungen nicht erwägenswert erscheinen, wenngleich
es vielleicht dennoch auf eine "Außen"wirkung dieses hermetischen Zirkels mit ankommen mag. Die
Antifa-Gruppen jedoch, jedenfalls nach meiner Einschätzung, zählen nicht nur auf ihren Zusammenhalt,
sondern hoffen auch auf Zuwachs aus allen Gruppierungen der Gesellschaft. Damit aber müßte ihr Anspruch
an eigene wachsende Kommunikationskompetenz, auch via Graphik und Plakat, einhergehen.
Ich wünschte, die nächsten Beiträge zu dieser Debatte, so es noch welche geben sollte, bezögen
sich auf solche konstruktive Weiterarbeit.
Christina Roth