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Bochum, den 02.01.2000 Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Stüber, haben Sie vielen Dank für Ihren Brief vom 25. Oktober d. J. Wir bedauern jedoch außerordentlich, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Ihr Brief in seiner Eigenschaft als Antwortschreiben auf unseren Brief vom 20.9. d. J. uns inhaltlich sehr enttäuscht hat. Nicht nur uns, auch der Öffentlichkeit wurden wesentliche Informationen zu den von uns aufgeworfenen Fragen und praktischen Vorschlägen bezüglich der konkreten Umsetzung humanitärer Hilfe, der wissenschaftlichen Aufarbeitung von NS-Zwangsarbeit wie in der Resolution vom 27.1.2000 beschlossen, vorenthalten. In ihrem 12zeiligen Antwortschreiben wird lediglich auf die Behandlung des Themas bei der Ratssitzung am 16.11.2000 verwiesen und in Aussicht gestellt, daß Sie „ggf. gern wieder" auf unsere „Vorschläge und das erneute Angebot zur Mitarbeit" zurückkommen würden. Letztere Aussage stellt leider keinerlei Teminierung in Ausssicht. Die einstimmige Verabschiedung der Resolution „Humanitäre Hilfen für Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen der ehemaligen Städte Bochum und Wattenscheid" durch den Rat der Stadt Bochum am 27.1.2000 war eine hochpolitische Entscheidung. Sie erfolgte zudem an dem Tag, den der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog zum Tag des Gedenkens an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft proklamiert hat. Wir bekennen uns mit Nachdruck zu den Forderungen und Zielen der Resolution. Besonders enttäuschend aber wurde von uns der Stil des Umgangs mit den nicht nur von unserer Bürgerinitiative aufgeworfenen Fragen und Perspektiven empfunden. Statt einer lebendigen politischen Aussprache im Rat über kommunale Perspektiven humanitärer Hilfe für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erfolgte am 16. November zu unserem Entsetzen einzig ein karger schriftlicher, noch dazu in etlichen Punkten unpräziser Verwaltungsbericht. Diese Substitution transparenter demokratischer Öffentlichkeit durch im Detail nicht mehr nachvollziehbare Verwaltungsakte wurde von manchen der im Besucherraum Anwesenden, wie zu hören war, als ein Lehrbeispiel in Sachen „Transformation der Demokratie" erlebt. Zu lebendigen demokratischen Strukturen gehört freilich auch, wie wir ja alle wissen, unabdingbar die Dimension „Glasnost". Unsere Bürgerinitiative „Entschädigung jetzt!" wurde gegründet als ein breitgefächertes Bündnis von verschiedensten Organisationen und Einzelpersonen und bewegt sich in überregionalen Kontakten und Arbeitszusammenhängen. Wir vermerken nochmals, daß durch unsere Aktivitäten u. a. vier namhafte Bochumer Firmen dazu bewegt werden konnten, dem Stiftungsfonds der deutschen Wirtschaft beizutreten. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, zum einen den noch lebenden Opfern faschistischer Zwangsarbeit durch unsere politische Arbeit Unterstützung zukommen zu lassen, zum anderen dazu beizutragen, die Geschichte der Zwangsarbeit in Bochum und Wattenscheid wissenschaftlich aufzuarbeiten. Es fällt uns nicht leicht, Herr Oberbürgerneister, uns zuzugestehen, daß die leider völlig unbefriedigende Behandlung des von uns aufgeworfenen Themas der Schwelle zur Brüskierung recht nahe gekommen ist. Wie erwarten immer noch hoffnungsvoll vom Rat, der Stadtverwaltung und von Ihnen: - einen unmißverständlichen Aufruf an alle Bochumer und Wattenscheider Firmen, sich an dem Stiftungsfonds der deutschen Wirtschaft zu beteiligen - die Initiierung eines „Runden Tisches" mit allen engagierten und interessierten Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen zur umfassenden Aufarbeitung der NS-Zwangsarbeit in Bochum und Wattenscheid - die Förderung von Projekten an Schulen zur Untersuchung von lokaler NS-Geschichte, insbesondere zur Recherche nach Stätten von Zwangsarbeit. Unabhängig von dem o. g. Bericht der Verwaltung würden wir uns nach wie vor über eine Antwort von Ihnen, die sich inhaltlich mit unserem Brief vom 20.9.2000 auseinandersetzt, sehr freuen. Zugleich möchten wir Sie auch nochmals um einen persönlichen Gesprächstermin mit Vertretern unserer Initiative ersuchen, der nach einer sachlichen Disputation der oben aufgeführten Dissenspunkte mit Sicherheit sehr konstruktiv verlaufen würde. Mit freundlichen Grüßen
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