Donnerstag 09.11.17, 09:53 Uhr
Hartz IV-EmpfängerInnen sollen schlechter wohnen

„Absurd und nicht hinnehmbar“


Die Stadt Bochum versucht seit mehreren Jahren, bei der Erstattung von Wohnungskosten von Hartz-IV-EmpfängerInnen Leistungen zu kürzen. Geld für externe Gutachten wurden ausgegeben, um nun dem Sozialausschuss ein „schlüssiges Konzept des Grundsicherungsträgers zur Angemesenheit* von Unterkunftskosten in Bochum“ vorzulegen. Der Geschäftsführer des Mietervereins Michael Wenzel zeigt in einer Stellungnahme an mehreren Beispielen auf, wie wenig schlüssig und angemessen das Konzept ist. Obwohl die Grünen die für das Konzept verantwortliche Sozialdezernentin stellen, pflücken sie das Konzept ebenfalls in einer Anfrage auseinander. Sie versprechen in ihrer Pressemitteilung: „Bis die Fragen der Grünen geklärt sind, wird die Verwaltung das neue Konzept nicht umsetzen.“

Die Stellungnahme des Bochumer Mietervereins: »Die Verwaltung hat dem Sozialausschuss auf seiner gestrigen Sitzung ein neues „schlüssiges Konzept“ zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern vorgelegt. Diese weisen für alle Haushaltsgrößen außer den 1-Personen-Haushalten zum Teil deutlich niedrigere Angemessenheitsgrenzen auf. Am stärksten betroffen sind 7-Personen-Haushalte, deren Miete 156,80 € niedriger sein müsste als bisher, um noch als angemessen zu gelten. Der Mieterverein sieht erhebliche Schwachstellen in dem Konzept und fordert Nachbesserungen.

„Es soll künftig drei Haushaltsgrößen geben, in denen die Angemessenheitsgrenze nettokalt unterhalb der Bewilligungsmiete des Sozialen Wohnungsbaus liegt“, moniert Geschäftsführer Michael Wenzel. „Die Folge wäre, dass 4-, 6- und 7-Personen-Haushalte keine Sozialwohnung mehr neu anmieten dürften. Das ist absurd und nicht hinnehmbar, denn für wen sonst sollen Sozialwohnungen eigentlich sein? In Dortmund gibt es dafür eine Ausnahmeregelung, die festlegt, dass jede Sozialwohnung angemessen ist. In Bochum stellte sich das Problem bisher nicht, da die niedrigste Nettokaltgrenze 5,26 € war.“

Aber auch bei den Betriebskosten gibt es Probleme. Hier wurde früher der Betriebskostenspiegel NRW, den der Deutsche Mieterbund erstellt, angewendet und pauschal 1,92 € pro qm anerkannt. Nunmehr liegen eigene Daten vor, die mit dem Mietspiegel erhoben worden sind. Dabei wurde aber nach den monatlichen Abschlägen gefragt. Diese Abschläge geben die Höhe der Vorauszahlungen an und sind nicht zu verwechseln mit den tatsächlichen Betriebskosten. In den allermeisten Fällen bekommen die Mieter mit der jährlichen Betriebskostenabrechnung eine Nachzahlung, keine Rückerstattung. Sie zahlen also unterm Strich deutlich mehr Betriebskosten, als bei der Datenerhebung erfasst worden sind. Die Folge: Die angesetzten Werte für Betriebskosten im schlüssigen Konzept sind völlig unrealistisch und viel zu niedrig.

Außerdem schwanken sie auch noch je nach Haushaltsgröße.  Wenzel: „Es ist überhaupt nicht plausibel, warum ein 5-Personen-Haushalt 1,52 € / qm Betriebskosten haben darf, ein 6-Personen-Haushalt dagegen nur 1,03 €. Das kann man natürlich statistisch so ausrechnen, es ist aber sachlich falsch. Betriebskosten werden in den allermeisten Fällen nach qm umgelegt, nicht nach Personenzahl. Das ist sogar der gesetzlich vorgesehene Normalfall.“

Der Mieterverein sieht große Probleme auf die Betroffenen, aber auch auf ihre Sachbearbeiter im Jobcenter oder im Sozialamt zukommen, sollte das Konzept so zur Anwendung kommen: „Wohnungsgesellschaften, die bestimmte Bestände gerne an Hartz-IV-Bezieher vermieten, bilden die Miete nicht nach dem Mietspiegel, sondern nach den definierten Angemessenheitsgrenzen. Da diese in bruttokalt ausgewiesen werden, kann man also eine Miete verlangen, wie man sie braucht, und dann die Betriebskosten unrealistisch niedrig ansetzen, um die Angemessenheitsgrenze einzuhalten. Nach einem Jahr kommt dann die Betriebskostenabrechnung mit 1.000 € Nachforderung. Und die muss das Jobcenter dann übernehmen, denn es hat die Wohnung ja als angemessen anerkannt. So werden keine Einsparungen erreicht.“«

Die Stellungnahme der Grünen Ratsfraktion: »In der Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 7. November hat die Verwaltung die Neufassung des sogenannten schlüssigen Konzepts des Grundsicherungsträgers zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft vorgestellt. Stadt und Jobcenter sind als Träger der Grundsicherung rechtlich verpflichtet, ein solches Konzept auf Grundlage der lokalen Verhältnisse am Wohnungsmarkt zu erstellen. Damit wird auf einer einheitlichen Grundlage entschieden, welche Wohnkosten von Leistungsempfängern als angemessen betrachtet und übernommen werden. Mit der Erstellung war ein externer Sachverständiger beauftragt worden. Dieser hat Teile der Daten verwendet, die für die Erstellung des Mietspiegels herangezogen werden.

Dabei sind Fragen aufgetaucht, die die Grünen an der Schlüssigkeit des vorgelegten Konzepts zweifeln lassen. Katharina Schubert-Loy, die sozialpolitische Sprecherin der grünen Ratsfraktion, befürchtet sogar, dass eine ganze Reihe von Familien aus bestehenden Wohnungen ausziehen müsste und ihre Chancen, neue Wohnungen zu finden gleichzeitig verschlechtert würden. Außerdem scheint die statistische Berechnung der Angemessenheitsgrenzen zu teilweise lebensfernen und damit die Betroffenen schikanierenden Wirkungen zu führen, vor allem bei den Betriebskosten.

Bis die Fragen der Grünen geklärt sind, wird die Verwaltung das neue Konzept nicht umsetzen.«

*Eine Fachkraft in der Verwaltung hatte offensichtlich erkannt, dass das Konzept alles andere als angemessen ist, und zu diesem feinsinnigen Mittel der sprachlichen Verfremdung gegriffen.