Sonntag 22.10.17, 17:11 Uhr
Wohnungslose in Bochum:

Im Untergrund


von Norbert Hermann, Bochum Prekär

Durch die Initiative der FDP/Stadtgestalter im Frühjahr (1) ist endlich die Lage der Wohnungs- und Obdachlosen in Bochum auf die Tagesordnung gekommen. Die Unterkunft „Fliednerhaus“ am Stadion muss wegen hochtoxischen Schimmelbefalls geschlossen werden, ein Neubau steht an. Hier bestehen aber noch erhebliche Planungsmängel. Zunehmende Wohnungslosigkeit ist ein Symptom von Krise und Verarmung. Im kommenden Jahr dürfte bundesweit die Marke von einer halben Million geknackt werden. In Bochum sind – bei weiter Auslegung des Begriffs – mehrere tausend Menschen betroffen. Ganz ohne Obdach („Platte machen“) dürften allerdings nur einige Dutzend sein.

Als wohnungslos gilt, wer nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügt. Das sind in Bochum neben den offiziell gemeldeten 400 Betroffenen und einer womöglich ebenso hohen Dunkelziffer auch an die tausend Geflüchtete in (teils mobilen) Übergangsunterkünften und eine bald ebenso hohe Zahl in verdichteter „heimähnlicher“ Unterbringung in Privatgebäuden. Seit 2011 werden derart Untergebrachte allerdings nicht mehr als „wohnungslos“ gerechnet. Auch die vielen Menschen, die notdürftig irgendwo Unterschlupf gefunden haben, tauchen in keiner Statistik auf, ebenso wenig die Menschen „Ohne Papiere“. Zahlen gibt es hier natürlich gar nicht, es wird spekuliert über eine Anzahl von mehreren hundert Betroffenen in Bochum, die natürlich versuchen, in keiner Weise aufzufallen. Einige Dutzende wohnungslose Jugendliche und junge Menschen dürfte es auch in Bochum geben, darunter auch solche, die ohne Genehmigung des Jobcenters aus der elterlichen Wohnung ausgezogen sind und anschließend keine Wohnungskosten und einen um 20% reduzierten Regelsatz erhalten.

Dringende Not herrscht bei den obdachlosen Menschen. Zwar wird versucht, sie in Wohnungen oder den Übergangseinrichtungen unterzubringen, wodurch sie aus der Statistik herausfallen. Aber der Wohnungsmarkt gibt es nicht her, oder die zu akzeptierende eigene Lebensgestaltung passt nicht zum festen Wohnsitz. Sie haben ein Recht auf menschenwürdige Unterbringung, die erlaubt, elementare menschliche Lebensbedürfnisse, einschließlich eines Ehe- und Familienlebens zu erfüllen. Personenzentriert muss der Heterogenität ihrer Lebensbedürfnisse Rechnung getragen werden. Dabei ist das allgemeine zivilisatorische Niveau zu berücksichtigen. Die Kommune ist verpflichtet, das zu gewährleisten, und zwar letztlich ohne Ansehen der Person, ihrer Herkunft und der Gründe der Obdachlosigkeit. Soweit die Rechtstheorie, die Praxis weicht weit davon ab, auch in Bochum.

Die geplante Neuordnung der Obdachlosenversorgung in Bochum könnte die Lage verbessern, stößt aber auch auf Kritik des Vereins „BODO“ (2). Diese Kritik ist nur zu berechtigt, tatsächlich aber noch zu bescheiden. Moderne Wohnungslosenpolitik geht durchaus darüber hinaus. So ist obergerichtlich geklärt, dass wohnungslose Menschen nicht nur eine Übernachtungsmöglichkeit brauchen, sondern auch einen geschützten ganztägigen Tagesaufenthalt. Der muss nicht unbedingt am gleichen Ort sein, muss aber innerhalb einer angemessenen Zeit (30 Minuten – 1,8 km) erreichbar sein. Der geplante Neubau einer Unterkunft am Stadion und der geplante Tagesaufenthalt mit Beratungsstelle und BODO-Anlaufstelle an der Bessemer Str. sind aber doppelt so weit voneinander entfernt. Unvorstellbar zu leisten für Menschen in generell schlechtem Gesundheitszustand und vielleicht sogar akuter grippaler Erkrankung. Wenn dann auch noch der Mittagstisch wiederum an der Übernachtungsstelle angeboten wird geht das gar nicht mehr. Zudem ist in solchen Fällen ein abschließbarer Stauraum für das bisschen Hab und Gut zu gewährleisten, idealerweise zum Schutz der Privatsphäre sogar eine eigene kleine Kammer. Die Unterbringung muss auch so gestaltet sein, dass den Menschen auch eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wird. Wichtiges Element der Wohnungslosenunterstützung ist Empowerment auf dem Weg zu Selbstbefähigung und Selbstermächtigung. Hier ist noch viel fachliches „Nachsitzen“ der Kommune angesagt. Auch könnte die (grundsätzlich gute) Arbeit der städtischen Stelle zur Vermeidung / Überwindung von Obdachlosigkeit verbessert werden, auch durch aufsuchende Hilfen.

Von Wohnungslosen wird berichtet, dass sie sich gegenüber der Versorgung Geflüchteter benachteiligt fühlen. Das wird nur allzu gerne von AFD usw. aufgegriffen. Hier von linker Seite nur mit dem Rassismus-Vorwurf draufzuhauen führt zur Spaltung zwischen neu Angekommenen und schon länger hier Lebenden. Die Versorgung von Obdachlosen entspricht nicht den Mindeststandards für die Unterbringung Geflüchteter. „Gleiches Recht für alle“ wird von Flüchtlingsinitiativen gefordert. Das ist natürlich – so oder so – völlig richtig. Wobei vergessen wird, dass es sich allerdings um schlechtes Recht handelt, was gründlich für alle verbessert werden muss. Denn unter all dem leiden Arm („deutsch“) und Arm („nicht-deutsch“) gleichermaßen und sollten daher tunlichst Hand in Hand Widerstand leisten. Nicht als „Opfer“, sondern als Akteure ihres Lebens. Für diese wie für jene macht es Sinn, sich mit anderen Menschen zusammenzuschließen, die in einer ebenso schlechten oder noch schlechteren Lage sind.

Es ist auch anzuerkennen, dass sich die Lage des großen armen Teils der schon länger hier Lebenden durch den großen Zuzug verschlechtert hat, sowohl am Wohnungsmarkt wie auch am Arbeitskräftemarkt. Die „Wir-schaffen-das“-Parolen von Angela Merkel waren nicht nur unglaubwürdig, sondern geradezu zynisch, weil sie den Worten keine infrastrukturellen Taten folgen ließ. Die Last der Zuwanderung tragen die Geflüchteten, der arme Teil der schon länger hier Lebenden und die „Ehrenamtlichen“. Wozu Geflüchtete noch gut sind, zeigen Berichte von Kolleg*innen bei Amazon: sie befinden sich seit langer Zeit im Kampf gegen das Unternehmen um einen korrekten Tarifvertrag. Bei Streiks werden seit einem Jahr Geflüchtete als Streikbrecher eingesetzt. Sie müssen das tun, weil sie sonst mit Hartz IV-Sanktionen (30% Kürzung) zu rechnen haben.

Damit will ich keineswegs die einen gegen die anderen ausspielen, sondern sie gerade zusammenbringen, wie es schon immer die Politik der BAG Prekäre Lebenslagen ist. Nicht zuletzt findet sich unter Obdachlosen wie bei den Erwerbslosen und im Knast ein übermäßig hoher Anteil an Zugewanderten. Alltagsrassismus pur. Und wer mich kennt, der weiß dass ich schon immer vertrete, dass in dieser Welt jeder Mensch überall jedes Recht hat nach Mitteleuropa zu kommen und sich hier seine/ihre Existenzsicherung abzuholen.

(1) Anfrage FDP/Stadtgestalter vom 21. März 2017:
Gesundheitsgefährdenden Zustand in der Obdachlosenschlafstelle Fliednerhaus
https://session.bochum.de/bi/getfile.asp?id=383463&type=do&

(2) http://www.bodoev.de/artikel/wohnungslosenhilfe.html

https://www.waz.de/staedte/bochum/kritik-an-neuorganisation-der-obdachlosenarbeit-id212300655.html

Adressen:

Zentrale Anlaufstelle: Stühmeyerstraße 33, 44787 Bochum,
mit folgenden Einrichtungen:

bodo-Anlaufstelle, Tel. 0234 – 680772

Tagesaufenthalt der Inneren Mission, Tel. 0234 – 6405618

Bochumer Suppenküche e.V., Tel. 0234 – 640 5323

Medizinische Wohnungslosenhilfe: Mo. + Fr. 12.00 – 13.30 Uhr (auch Sprechstunden im Sprungbrett und in Wattenscheid – http://www.medizinische-hilfe-bochum.de/)

Stadt Bochum – Amt für Soziales: Vermeidung / Überwindung von Obdachlosigkeit
Tel. 910 17 46

Beratungsstelle der Diakonie für wohnungslose Menschen, Frau Christiane Caldow, 44787 Bochum, Westring 28, Telefon: 0234 / 96 47 10
Mail: wohnungslosenhilfe@diakonie-ruhr.de

Beratungsstelle der Diakonie „Frauen in Not“:

Hans-Böckler-Straße 28, 44787 Bochum, Tel. 0234 – 9133120

Christophorushaus – stationäre Einrichtung für wohnungslose Männer-
44789 Bochum, Lohbergstraße 2. Tel. 0234 / 30 70 50
Mail: christophorushaus@caritas-bochum.de

Diakoniewerk Gelsenkirchen und Wattenscheid
Tagesaufenthalt mit Mittagstisch, Beratung, Duschen, Waschmaschinen, Postadresse … , keine Übernachtungsmöglichkeit

Sommerdellenstr. 26 a, 44866 Bochum, Telefon: 02327 / 23 862

Notschlafstelle „SchlafamZug“
Castroper Straße 1a, 44789 Bochum, Tel: 9 04 19 82
E-Mail: overdyck.schlafamzug@diakonie-bochum.de

Aufnahmealter 14 bis einschl. 20 Jahre
Öffnungszeiten: 20.00 Uhr bis zum nächsten Tag 09.00 Uhr
Offene Sprechstunde: Jeden Donnerstag von 10.00- 13.00 Uhr
Telefonische Absprachen für Sondertermine immer möglich

Nur neun Schlafplätze, nur kurzfristig. Das ist zu wenig.
Sprungbrett – Anlauf- u. Clearingstelle für Jugendliche u. junge Erwachsene
Ferdinandstraße 36, 44789 Bochum, Telefon: 0234 5167610
Nur stundenweise tagsüber geöffnet – das ist zu wenig. Medizinische Sprechstunde.

Übernachtungsstelle („Fliednerhaus“)
Am Stadion 5a, 44791 Bochum, Tel.: 950 78 08
Öffnungszeiten: 20.00-8.00 Uhr

Überregiona

Berber-Info
www.berber-info.de/

Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.

http://www.bagw.de/

Atlas für Zugewanderte aus Ost- und Südosteuropa
http://osoe-atlas.de/