Samstag 04.03.17, 08:02 Uhr

„Vandalismus mit dem Segen der Kirche“ 4


Die Ankündigung der heutigen Radtour des Netzwerks „Stadt für Alle!“, mit der der Leerstandmelder bekannter gemacht werden soll, hat einen Leser von bo-alternativ.de motiviert, darauf hinzuweisen, dass die Kirchengemeinde Harpen am 10. März zu einer Abrissparty eines erhaltenswerten Gebäude einlädt. Der Hntergrund: In der ev. Kirchengemeinde Harpen wurde Ende Januar 2017 neben der historischen St. Vinzentius-Kirche ein neues Gemeindehaus in der Kattenstraße 1 eingeweiht. Insbesondere ältere Gemeindeglieder waren mit dem Neubau nicht einverstanden, weil ein altes zwar sanierungsbedürftiges aber insgesamt völlig intaktes Gemeindehaus in der Kattenstraße 5 steht. Dieses Gemeindehaus war 1972 quasi als Einheit zusammen mit einem Pfarrhaus in der Kattenstraße 7 erbaut worden.
Während dieses Pfarrhaus vor ca. drei Jahren aufwändig energetisch und ökologisch nachhaltig saniert und mit einem Schrägdach versehen wurde, wurde der kirchlichen Öffentlichkeit erklärt, dass eine solche Sanierung sich beim Gemeindehaus wirtschaftlich nicht rechnen würde. Für den Bau des neuen Gemeindehauses war zuvor das dort stehende ‚Herrenhaus‘ abgerissen worden. Dieses große massive Wohnhaus hatte die Kirchengemeinde vor einigen Jahrzehnten gekauft. Es war bis zum Abriss an mehrere Parteien vermietet.
Das alte Gemeindehaus wird nun abgerissen und die Kirchengemeinde hat zu einer „Abriss-Party“ am 10. März um 19 Uhr eingeladen: „Die Tage des alten Gemeindezentrums sind gezählt. Darum werden wir die Zeit nutzen und dort noch einmal heftig und dankbar feiern. Wir machen eine Abrissparty! Es ist alles erlaubt: Wände besprühen, bemalen und einreißen! Wenn ihr Lust habt dabei zu sein, dann kommt vorbei!“ Ein engagiertes Kirchenmitglied nennt das „Vandalismus mit dem Segen der Kirche“.
Für dieses Neubau- und Abrissprojekt ist maßgeblich der ehemalige Pfarrer der Kirchengemeinde Harpen und jetzige Superintendent der evangelischen Kirche in Bochum Gerald Hagmann verantwortlich. Er hat das Projekt bis zu seinem Ausscheiden aus dem Gemeindedienst vorangetrieben.
Die KritikerInnen des Projektes räumen ein, dass das gesamte Projekt formal korrekt zustande gekommen ist. Es wurde von Gemeindeversammlungen, durch Presbyteriumsbeschlüsse und Genehmigungen von Stadt und Kichenleitung abgesegnet. Der harte Kern der Kirchengemeinde hat das Projekt zweifellos befürwortet. Erstaunlich ist, dass die kritischen Stimmen nicht an die Öffentlichkeit gelangten. Politik und Presse haben an keiner Stelle hinterfragt, warum eines der letzten historischen Gebäude in Harpen, das sogenannte ‚Herrenhaus‘ abgerissen werden durfte und warum ein bis dato problemlos genutztes Gemeindehaus nicht wie das mit ihm baulich verbundene Pfarrhaus hätte saniert werden können.
Eine Erklärung für diese ‚Geräuschlosigkeit‘ ist sicherlich, dass sich die KritikerInnen nicht organisiert haben. Entmutigend für sie war die Entschlossenheit der Gemeindeführung, das Projekt durchzuziehen, wobei der wortführende Presbyter ein einflussreicher Beamter in der Stadtverwaltung mit sehr guten Beziehungen zu den Medien war.
Einer der Kritiker stellt fest: „Die Einladung der Gemeinde zur Abrissparty macht deutlich, wie Leute in der Kirche völlig unsensibel sein können für gesellschaftspolitische Probleme, auf die die ‚Leerstand‘-Bewegung aufmerksam macht.“ Seine Anregung: „Vielleicht sind die Leute interessiert daran, das leerstehende Gebäude in der Kattenstr.5 zu besichtigen und mit den Initiatoren der Abrissparty zu diskutieren.“


4 Gedanken zu “„Vandalismus mit dem Segen der Kirche“

  • Rosie

    „Leerstands“ – Bewegung?
    Ist mit Leerstand der Leergang des Herrenrads und mit Bewegung das Radeln gemeint?
    Framt sich gerade hier jemand selber?

    Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer!

  • Dora

    Viele Kirchenkritiker weisen immer wieder gerne darauf hin, in der Kirche gebe es – wenn überhaupt – zu wenig demokratische Entscheidungsprozesse. In dem hier dargestellten Fall verhält es sich aber genau umgekehrt: Alles wurde in den zuständigen (gewählten) Gremien frei und mit eindeutigen Mehrheiten entschieden. Wenn darauf hingewiesen wird, dass weniger engagierte Gemeindemitglieder dies anders sehen bzw. sich übergangen oder nicht ernstgenommen fühlen – so wäre dies sehr leicht durch eine aktivere Teilnahme möglich gewesen. In der Demokratie wird nach Mehrheitsbeschluss verfahren – auch in der evangelischen Kirche. Im übrigen gilt – nicht nur in St. Vinzentius in Harpen: „Wer mitmacht erlebt Gemeinde“. Die Chance ‚Mitzumachen‘ wurde niemandem genommen!

  • redaktion Autor des Beitrags

    Dass diese skandalösen Entscheidungen alle formal völlig korrekt getroffen wurden, wird in dem Beitrag betont. Die Frage ist, wie die Kirchengemeinde es geschafft hat, dass Presse und Politik dazu geschwiegen haben.

  • Rike

    Liebe Dora,

    in dieser Demokratie fallen Entscheidungen zu Gunsten der Atomenergie, der Waffentransporte an Diktatoren, der negativen Änderungen des Asylgesetzes §16a, der ALG-Regelungen und vieles mehr.
    Es ist ein formale Demokratie, die Partizipation und Teilnahme verspricht, aber nicht hält. Dies über administrative Regelungen und die Verfügungsgewalt über Eigentum.
    Ich war früher bei den Grünen und dann in diversen Basis-Initiativen, die sich Augenhöhe und Mitbestimmung auf die Fahnen geschrieben hatten. Wie das ausgehebelt wurde war erschreckend, abstoßend und alles andere als emanzipativ. Menschen und ihre Positionen wurden ausgegrenzt auf die verschiedensten Arten.
    Das das bei der Gemeinde ebenso verlief ist zu befürchten.

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