Samstag 10.12.16, 07:00 Uhr

Innenminister Jäger lügt nachweislich 7


Am 19. Juni ereignete sich in Bochum nach einer Nazi-Demonstration ein äußerst brutaler Polizeiübergriff auf BürgerInnen, die diese Demonstration kritisch begleitet hatten. Eine anschließend geplante Demonstration von Geflüchteten wurde wegen der Aggressivität der Polizei abgesagt. Siehe Bericht „Übelster Polizei-Übergriff„. Das Bündnis gegen Rechts hat daraufhin zusammen mit etlichen anderen Organisationen einen offenen Brief an die Ministerpräsidentin und den Oberbürgermeister geschrieben: Schützen Sie uns vor dieser Polizei. Innenminister Jäger hat im Auftrag der Ministerpräsidentin mit einem Brief voller Floskeln und Unwahrheiten geantwortet. Uli Borchers nimmt als Sprecher des Bündnisses gegen Rechts dazu Stellung: »Diese Antwort des Innenministers kann nicht unkommentiert bleiben und muss vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen vom 19.6.2016 bewertet werden. Der erste Teil des Briefes beinhaltet eine allgemeine Information über polizeiliche Aufgaben, das Recht auf Ausübung der Versammlungsfreiheit, das Recht auf aktive Teilnahme am Meinungs- und Willensbildungsprozess und dem Auftrag der Polizei, einen friedlichen Verlauf zu garantieren. Schön und gut: Das ist nichts Neues und -bis dahin gelesen – ist die Frage erlaubt: Was soll dieser „Nachhilfeunterricht“ oder diese Art der „staatsbürgerlichen Aufklärung“?
Verständlich wird diese Einleitung erst dann, wenn im zweiten Teil des Briefes auf  konkrete Vorwürfe aus dem „Offenen Brief“ eingegangen wird.
Tatsächlich haben wir einen „gewalttätigen Angriff der Polizei“ beschrieben. Viele, die am Protest gegen „DaSKut“ beteiligt waren, werden den Ablauf so erlebt haben, wie es im „Offenen Brief“ beschrieben wurde. Innenminister Jäger dreht den tatsächlichen Ablauf um, behauptet seinerseits einen „Angriff“ auf einen Polizisten und rechtfertigt den „Einsatz unmittelbaren Zwanges“ gegen die „angreifende Person“. Immerhin wird zugegeben, dass diese Person verletzt wurde und im Krankenhaus behandelt werden musste.
Um den Charakter und die Stoßrichtung der Antwort von Innenminister Jäger richtig einschätzen zu können, muss die Chronologie der Ereignisse beachtet werden. Der am 27.Juli 2016 von der Polizei gestellte Strafantrag (gegen die o.a. „angreifende Person“) wird am 11.August 2016 von der Staatsanwaltschaft so beurteilt, dass diese beabsichtige „das Verfahren einzustellen“. Diese geplante Verfahrenseinstellung wird
am 26.September 2016 vom Polizeipräsidium Bochum zur Kenntnis genommen und der Leitende Polizeidirektor erklärt, er „sei mit dieser Verfahrensweise einverstanden“. D.h. die Einstellung des Verfahrens erhält die Zustimmung der Polizei! Damit sind alle vorher erhobenen Vorwürfe der „gefährlichen Körperverletzung“ vom Tisch und auch das polizeiliche Vorgehen nachträglich nicht zu legitimieren. Trotzdem wird in der Antwort von Innenminister Jäger vom 25.Oktober 2016 so getan, als hätte es diesen „Angriff auf Polizeibeamte“ tatsächlich gegeben.
Ernüchternd ist: Der Innenminister beschreibt in seiner Antwort einen Ablauf, der nicht nur unseren Beobachtungen widerspricht, sondern auch den staatsanwaltlichen Beurteilungen und Entscheidungen, und zwar in der Art, dass nur wiedergegeben wird, was in polizeilichen Berichten steht.
Auch die „Einschüchterung des Versammlungsleiters“ hat es (wohl) nicht gegeben. Stattdessen wurde nach Ansicht von Jäger der Versammlungsleiter von Teilnehmern der geplanten „Refugees-Kundgebung bedroht. Wer so die tatsächlichen Abläufe verdreht, will auch nicht zugeben, dass auf dem Dr. Ruer-Platz die Reiterstaffel nicht nur die versammelten TeilnehmerInnen in zwei Gruppen geteilt hat, sondern damit zusätzlich eine äußerst bedrohliche Situation schaffen wollte.
Wir können nicht erwarten, dass ein Innenminister unsere Positionen teilt. Wir können aber erwarten, dass gründlich untersucht wird und nicht Inhalte von Polizeiakten als unumstößliche Tatsachen angesehen werden. So hat die Antwort von Innenminister Jäger nur das einzige Ziel, das gesamte polizeiliche Vorgehen am 19.Juni 2016 abzusichern und zu legitimieren. Dass er dabei schwere Fehler in seinen Beschreibungen gemacht hat, wollen wir mit unserer Stellungnahme belegen. Auch die Antwort von Jäger beweist, dass der Titel unseres Offenen Briefes unbedingt richtig war. Wir können ihn jetzt ergänzen und erweitern:
„Schützen wir uns vor diesem Innenminister und seiner Polizei!“«

Ein Überblick von Meldungen zu dem Thema bei bo-alternativ.de


7 Gedanken zu “Innenminister Jäger lügt nachweislich

  • Wolfgang vom Ubu

    Weder die Presse lügt noch die Politiker. Die sind schon im Postfaktischen angekommen und wir noch nicht.

  • Norbert Hermann

    IMI Jäger sagt zwar die Unwahrheit, aber er lügt nicht. Hier Absicht zu unterstellen wäre verwegen.
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    Berichte/Stellungnahmen sind ja immer „post faktum“. Damit offen für Manipulation und Meinungsmache. Das wusste schon die KPD, als der Volksempfänger eingeführt wurde, und die Studierenden, die Ende der 1960er Jahre die Mickey Maus analysierten.
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    Heute bringt telepolis einen „Zwischenruf zur medialen Konstruktion von Wirklichkeit“:
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    Wider die Rede vom „Postfaktischen“
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    https://www.heise.de/tp/features/Wider-die-Rede-vom-Postfaktischen-3562756.html

  • Martin Budich Autor des Beitrags

    Wenn Jäger nicht bewusst die Unwahrheit gesagt haben soll, dann müssten ihm seine MitarbeiterInnen sehr böse zugesetzt haben und ihn gezielt falsch informiert haben.
    Er hat die Lügengeschichten der Polizei nicht als Zitat wiedergegeben, sondern als Tatsachenbehauptung persönlich unterschrieben. Das ist für einen Minister äußerst ungewöhnlich. Normalerweise zitiert er den Polizeibericht.
    Als der offene Brief bei ihm einging, waren die Behauptungen der Polizei durch die Staatsanwaltschaft bereits als unglaubwürdig eingestuft worden und der zuständige Polizeidirektor hatte der Einstellung des Verfahrens zugestimmt.
    Ich halte es für ausgeschlossen, dass ihm seine MitarbeiterInnen diese Information vorenthalten. Er hat sich politisch dazu entschlossen, sich bedingungslos vor seine Polizei zu stellen, auch wenn er weiß, dass er eine Lügengeschichte übernimmt.
    Ich habe den brutalen Polizeiübergriff selber gesehen. Mehrere Polizeikameras haben das ganze gefilmt. Die Polizeiführung hätte nie einer Einstellung des Verfahrens zugestimmt, wenn die „Geschichte vom Würger“ auch nur ein Körnchen wahr wäre.
    Ein langjährige Innenminister kann nicht so naiv sein, dass er nicht weiß, dass er lügt.
    Die Geschichte, dass die anschließend geplante Demonstration wegen der Gewaltbereitschaft von Demonstrationsteilnehmerinnen abgesagt wurde, ist völlig absurd. Der Versammlungsleiter hat dem auch öffentlich entschieden widersprochen. Auch hier ist es völlig unglaubwürdig, dass ihn seine MitarbeiterInnen nicht darüber informiert haben. Auch hier unterschreibt er wissentlich eine Unwahrheit.
    Der Brief ist eine Solidaritätsadresse an die Polizei. Deshalb hat er ihn auch persönlich unterschrieben und nicht wie üblich unterschreiben lassen.

  • Ralf Feldmann

    Der Innenminister wird uns sicher noch darüber aufklären, dass die Bochumer Polizei ihn über den aus Sicht der Staatsanwaltschaft haltlosen „Würgevorwurf“ bis zur Absendung seiner Fake-Antwort mindestens einem Monat lang hat dumm sterben lassen. Denn ein Innenminister lügt aus solchen kleinen Anlässen nicht bewusst, sondern sagt allenfalls grob fahrlässig die Unwahrheit, weil er nicht auf die Idee kommen wollte, einfach mal nachzufragen, wie die Staatsanwaltschaft die Sache sieht. Die fehlende Plausibilität des Bochumer Polizeiberichts ins Ministerium lag doch auf der Hand: Ein älterer 61-jähriger Mann soll umringt von jungen durchtrainierten Polizeibeamten einen von ihnen schwer gewürgt haben. Dem Minister und seiner polizeierfahrenen Umgebung scheint schlicht Lebenserfahrung zu fehlen. Ein Defizit, kaum weniger schlimm als es eine bewusste Lüge wäre.

  • Uli Borchers

    Wer die Antwort von Innenminster Jäger noch einmal ganz genau liest, wird feststellen, dass diverse Fakten verdreht werden. Das bezieht sich erstens auf die bis zur Veröffentlichung der Antwort aufrechterhaltene Behauptung des „Angriffs“ auf einen Polizeibeamten und die daraus angeblich resultierende „gefährliche Körperverletzung“. Zweitens werden die umfassenden Filmaufnahmen gerechtfertigt mit der Anwesenheit „Vermummter“. Mag es so sein, aber abgefilmt werden auch alle anderen TeilnehmerInnen, die am Protest gegen „DaSKuT“ teilgenommen haben. Strittig bis nicht erlaubt sind diese Aufnahmen und keiner weiß, ob sie jemals gelöscht werden.Die tatsächlichen Abläufe auf dem Dr.Ruer-Platz werden in der Antwort von Innenminister Jäger extrem verdreht (verfälscht!), weil z.B.das Bedrohungsszenario mit der Reiterstaffel gar nicht erwähnt wird.Die polizeilichen Auflagen für die geplante „Refugees“-Kundgebung waren so extensiv ausformuliert, dass kein Versammlungsleiter in der Lage gewesen wäre für die Einhaltung dieser Auflagen zu sorgen:die Polizei hatte somit viele Gründe zum Eingreifen selber geschaffen. Es bleibt eine Lüge,dass Innenminister Jäger die Absage der „Refugees“-Kundgebung mit dem „Verhalten potentieller Teilnehmerinnen und Teilnehmer“ erklärt.

  • Norbert Hermann

    Viel Lärm um nichts
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    Alles klar – selbst die WAZ unterstützt – zumindest „zwischen den Zeilen“ – dass das Schreiben von IMI Jäger nicht der Wahrheit entspricht:
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    http://www.waz.de/staedte/bochum/bochumer-buendnis-gegen-rechts-minister-verdreht-tatsachen-id208936155.html
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    Eine „Lüge“ setzt allerdings eine bewusste Täuschungsabsicht voraus. Das lässt sich wohl für die Polizei Bochum annehmen – sie wussten es definitiv besser. Jäger wird den ganzen Vorgang nicht zu Gesicht bekommen haben, dass machen die Hiwis. In bekannter Manier die Position der Polizei vertreten.
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    Die Bezeichnung „Lüge“ kann zu einer Beleidigungsklage führen, wenn die Absicht nicht nachgewiesen werden kann. Es sei denn der/die Richter*in qualifiziert es als „Meinungsäusserung“. Egal.

  • Ralf Feldmann

    Der Minister sagt die Unwahrheit. Die meisten nennen das Lüge. Eine Beleidigung ist das nicht, sondern Wahrheit. Jäger wird weder klagen noch sich entschuldigen. Als Friedenszeichen wird er anordnen, den Polizeipferden ein Beruhigungsmittel ins Futter zu streuen. Oder den Führern der Bereitschaftspolizei?

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