Samstag 22.10.16, 16:43 Uhr

Widerstand gestern und heute


Auf einer Gedenkveranstaltung erinnerte die  VVN-BdA gestern im Innenhof des Polizeipräsidiums an die Morde der Gestapo, die vor 80 Jahren im Polizeipräsidium stattfanden. Der Bochumer VVN-Vorsitzende Günter Gleising thematisierte in seiner Begrüßung, dass die Polizei in Bochum im Gegensatz zu anderen Orten, bisher ihre braune Geschichte noch nicht aufgearbeitet hat. In der anschließenden Gedenkrede erinnerte ver.di-Gewerkschaftssekretär Norbert Arndt (Foto) daran, „dass im Oktober 1936 jeder Antifaschistin und jedem Antifaschisten das hohe persönliche Risiko ihres Tuns bewusst war“. Er schlug aber auch den Bogen zur Gegenwart mahnte, dass „der Rechtsextremismus mit der AfD inzwischen über einen politischen Arm verfügt, der bei Wahlen zweistellige Ergebnisse erzielt.{…] Protest und Widerstand lebt nicht von stiller Zustimmung und Abwarten, sondern von deiner aktiven Beteiligung!“ Die mit viel Anerkennung bedachte Rede von Norbert Arndt im Wortlaut: 

 

»Beinahe auf den Tag genau (am 18. und 22. Oktober 1936), also vor exakt 80 Jahren, wurden der Zeitungs-Redakteur Karl Springer und der Bahnarbeiter Benno Klier in diesen Mauern, nach bestialischer Folter von den Faschisten ermordet.
Wir haben uns heute hier getroffen um ihrer zu gedenken und deutlich zu machen, dass sie und die vielen anderen Opfer, die an diesem Ort gemartert und erschlagen, oder von hier den Transport in andere Folterhöllen der Faschisten antraten, nicht vergessen sind.
Wir sind auch hier, an diesem merkwürdigen Ort versammelt, weil das, an das sie glaubten und wofür sie und tausende Andere ihr Leben gaben, in uns und mit uns weiterlebt.
Das sagen wir nicht ohne Stolz, mit einigem Trotz und nicht zuletzt aus aktuellem Anlass. Denn die politische Achse dreht sich in Deutschland und Europa –entgegen allen historischen Erfahrungen- seit längerem wieder gefährlich nach rechts.
Wieder besteht –wenn auch unter ungleich anderen Vorzeichen und Rahmenbedingungen- die Notwendigkeit,

  • aufzuklären, zu mobilisieren,

  • Kräfte zu sammeln und gegen rechts zu bündeln,

  • Widerstand zu leisten und diesen

  • zu verbreitern und zu intensivieren.

 

Im Herbst 1936 saßen die Nazis bereits relativ fest im Sattel. Mit Hitler war bereits 3 Jahre zuvor die Konterrevolution an die Macht gekommen, die ja seit 1918/19 niemals aufgehört hatte, die Ergebnisse der Novemberrevolution anzugreifen.
Die Arbeiter-und Gewerkschaftsbewegung musste zunächst ausgeschaltet werden, um das strategische Ziel, die Rückgängigmachung der russischen Revolution, mittels eines Angriffskrieges gegen Sowjetrussland ins Werk setzen zu können.
Dies wurde von den bürgerlichen Demokratien in Europa und den USA über mehrere Jahre mit klammheimlichem Wohlwollen begleitet. Zumindest bis es ihnen 1939/40 selbst an den Kragen ging.
Anders ist die –mehr oder wenige, offene-Billigung des Einmarsches der Wehrmacht ins entmilitarisierte Rheinland, im März 1936 oder die völkerrechtswidrige Intervention von Deutschland und Italien im Herbst des gleichen Jahres in Volksfrontspanien, wie auch später (1938) die Annexion von Österreich und großer Teile der Tschechoslowakei, nicht zu deuten.
Dem kommunistischen Redakteur Karl Springer und seinen Genossen, waren diese Zusammenhänge klar. Sie hatten in Zeitungen und auf Flugblättern darüber geschrieben und in Versammlungen darüber gesprochen und aufgeklärt. Bereits anlässlich der Reichspräsidentenwahl 1932 haben sie darauf hingewiesen:
„Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler und wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“
Just zu der Zeit, als Karl Springer, Benno Klier und andere Antifaschisten, hier im Bochumer Polizeigefängnis und in vielen anderen Folterhöllen gefangen waren und bestialisch misshandelt wurden, bildeten sich im spanischen Albacete die Internationalen Brigaden zur Unterstützung der Volksfront in Spanien.
Allen Nazigegnern, ob hier im Lande, in der Emigration oder in Spanien war im Herbst 1936 klar: Der faschistische Bürger- und Interventionskrieg in Spanien ist die Generalprobe und das letzte Hindernis für den seit 1933 vorbereiteten Weltkrieg.
Nach ersten Verhaftungswellen im Frühjahr 1933 hatte sich die illegale Bochumer Gebietsorganisation der KPD bis Ende 1935 wieder einigermaßen konsolidiert.
Ein reger illegaler Literaturvertrieb, (u.a. durch Rheinschiffer über den Rhein-Herne-Kanal bzw. dem Hafen in Wanne-Eickel) regelmäßige Geldsammlungen für politisch Verfolgte und das heimliche Abhören verbotener Rundfunksendungen aus Moskau und Spanien sorgten immer noch für ein eng verflochtenes und über die Stadtgrenzen wirkendes Organisationsnetz.
Man stand in Kontakt mit der Abschnittsleitung West der KPD in Amsterdam und die lokalen und betrieblichen Widerstandsgruppen stützten sich auf prominente Kommunisten, wie den Reichstagsabgeordneten Walter Frank, den Gewerkschafter Alfred Jurke oder auf den Redakteur des „Ruhr-Echo“ und Stadtverordneten, Karl Springer.
Im Rückblick müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass im Oktober 1936 jeder Antifaschistin und jedem Antifaschisten das hohe persönliche Risiko ihres Tuns bewusst war. Viele Genossen, Freunde und Familienangehörige befanden sich bereits im Gefängnis, Zuchthaus, in KZ-Haft, waren ermordet oder auf der Flucht. Nicht nur Karl Springer hatte bereits 1933 seine blutigen Erfahrungen mit der faschistischen Mörderbande und dann im KZ-Esterwegen gemacht. Und dennoch ließen er sich und viele Andere im Widerstand gegen die Nazi-Barbarei nicht beugen und brechen.
Sie setzten ihren Kampf trotz des hohen Risikos konsequent und entschlossen fort.
Als dann anlässlich der Reichstagswahlen vom März 1936 und des folgenden 1.Mai in größerem Umfang Flugschriften in Bochum und umliegenden Revier-Städten verbreitet wurden, griff die Gestapo erneut zu. Es folgte eine größere Verhaftungswelle von der viele Illegale in Bochum, Herne und Umgebung erfasst wurden.
Wahrscheinlich im Ergebnis der hier erpressten Informationen kam es dann im Oktober 1936, vor genau 80 Jahren, im mittleren Ruhrgebiet zu weiteren Razzien und Festnahmen, die in die verbliebenen Widerstandszirkel erneut empfindliche Lücken rissen, den illegalen Widerstand zurückwarfen, zeitweilig unterbrach, aber zu keinem Zeitpunkt gänzlich auszulöschen vermochten.
Wir denken und erinnern heute an Karl Springer, Benno Klier und die anderen etwa 50 Antifaschisten, die in dieser einen Verhaftungswelle im Herbst vor 80 Jahren zunächst an diesem Ort eingekerkert und bestialisch von der Gestapo misshandelt wurden.
In dieses Erinnern und Gedenken schließen wir all jene ein, die vorher oder nachher, in den Jahren 1933 bis 1945 hier einsaßen, grausam gequält, ermordet wurden oder die von hier oder der späteren Gestapo-Zentrale am Stadtpark ihren Golgatha-Weg antreten mussten, von dem viele als Krüppel oder gar nicht mehr heimkehrten.
Wir denken an:

Richard Greschok, Herne, 1936 von der Gestapo wahnsinnig geschlagen und verstorben.
Emil Skeris, DMV-Mitglied, Herne, 1936 nach grausamer Folter von den Gestapo-Beamten Heimann und Bönig, hier in diesen Mauern, am Zellengitter erhängt,
Hermann Hinz, Herne, 1934 wahnsinnig geschlagen und verstorben,
Julius Hoffmann, Herne, 1933 wahnsinnig geschlagen und verstorben,
Paul Slosallo, Herne, durch die Gestapo ermordet,
Karl Kirsch, Bochum, Bibelforscher, 1938 an diesem Ort ermordet,
Karl Nieswandt, Bochum, Sozialdemokrat und DMV-Mitglied, 1944 ermordet,
Stefan Spichalski, Gevelsberg, 1944 ermordet,
Otto Wachhorst, 1944 ermordet,
Wilhelm Wischermann, Niederbonsfeld, im November 1933 von Gestapo ermordet,
Wilhelm Hüser, Eduard Japs und Adolf Straube aus Castrop-Rauxel, die zu Ostern 1945 ermordet wurden,
Julius Eversberg, Karl Schröter, Hugo Wiegold aus Bochum,
Franz Knie aus Hattingen und Wilhelm Schrage aus Wanne-Eickel,die von der Gestapo-Zentrale am Stadtpark nach Dortmund transportiert und dort in der Bittermark, mit vielen anderen Antifaschisten, in den letzten Kriegstagen von den Nazis erschossen und in Bombentrichtern verscharrt wurden.
Wir denken an die leider vielfach namenlosen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die hier, am Stadtpark und andernorts von den Faschisten, fern ihrer Heimat um ihr Leben gebracht wurden.
Jede dieser aufrechten Frauen und Männer aus der Arbeiterklasse haben es verdient, dass ihr Schicksal aufgeklärt und die Erinnerung an sie und ihren Kampf für alle Zeiten wach gehalten wird.
Aber dieses Erinnern, diese Beschäftigung mit ihrer Geschichte, die zu unserer Geschichte, der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung gehört, wäre sinnlos, würden wir, die auf ihren Schultern stehen, daraus keine Schlussfolgerungen und Lehren ziehen.
Dazu zählt sicherlich, gegen alle Spielarten des Geschichtsrevisionismus, der Verharmlosung oder Bagatellisierung des antifaschistischen Widerstands vorzugehen.
Es ist doch ein unerträglicher Skandal, dass das Andenken an Karl Springer im Griesenbruch durch geschichtsvergessene Gastronomen wie einem gewissen Herrn Niggemann derart besudelt wird, dass dieser auf dem Springer-Platz sein kommerzielles Treiben nach dem preußischen General und Blutsauger Helmuth-von-Moltke umbenennen kann.
Wenn Erinnerung und Gedenken sich nicht in historisierenden und folgenlosen Betroffenheitsübungen erschöpfen sollen, dann ist nach den Wirkungen und Lehren für heute zu fragen. Historisches Gedenken muss zum Nachdenken anhalten und zum Handeln führen, sonst macht es keinen Sinn.
Vor zwei Tagen berichteten die Medien darüber, dass das Bundeskriminalamt allein im laufenden Jahr 797 Straftaten gegen Flüchtlingslingsuntekünfte registriert hätte.
Für 740 Delikte seien „rechtsmotivierte Täter“ verantwortlich. Die Rede ist von Brandanschlägen, Sachbeschädigungen, Vergehen gegen das Sprengstoffgesetz, mehre versuchte Morde und Totschlagdelikte. Insgesamt ist in den zurückliegenden drei Jahren ein starker Anstieg von Angriffen auf Flüchtlingsheime und einzelne Migranten zu verzeichnen. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den NSU-Komplex, der mindestens 10 Jahre mordend durchs Land zog, tun sich immer neue Abgründe auf.
Und da sprechen die Verantwortlichen verharmlosend immer noch von „rechtsmotivierten Straftätern“ von „Wutbürgern“ und „Rechtspopulisten“.
Obwohl es immer offenkundiger wird, dass sich hier längst eine rechtsterroristische und offen faschistische Szene entwickelt hat, die europäisch vernetzt und offenbar auch mit Verbindungen zu diversen Geheimdiensten ihr Unwesen treiben konnten und können.
Verfassungsschutz und andere Geheimdienste scheinen die Gefahren für die Demokratie immer noch nicht in rechtsextremen Hetz- und Mordorganisationen zu sehen.
Stattdessen wird die ganze Aufmerksamkeit, mit Hilfe der Medien auf den „islamistischen Terrorismus“ (der hier auch Terrorismus genannt wird) gelenkt. Warum wohl? – Kann es sein, dass auch damit die Legitimation und Billigung von Hochrüstung und Kriegsbeteiligung im sogenannten Anti-Terror-Krieg geschaffen werden soll?!
Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Jede Form des menschenverachtenden Terrorismus, auch der religiös verbrämte, ist entschieden abzulehnen und zu bekämpfen!
Wir sollten aber gelegentlich zur Kenntnis nehmen, dass durch rechtsterroristische Anschläge in den letzten Jahren mehr Menschen zu Schaden und ums Leben gekommen sind, als durch anders motivierte Angriffe. Uns sollte zu denken geben, dass das Gift des Nationalismus und Rassismus inzwischen tief in die Gesellschaft und in ihre Institutionen eingesickert ist und der Rechtsextremismus mit der AfD inzwischen über einen politischen Arm verfügt, der bei Wahlen zweistellige Ergebnisse erzielt.
Dabei sprechen wir hier nicht über die Ursachen sondern die Ergebnisse und Auswirkungen einer Politik, der politischen Eliten und der etablierten Parteien, die diese Entwicklungen, die diesen Rechtsdrift in der Gesellschaft ausgelöst und erst ermöglicht haben.
Wie in den 1930er Jahren bilden die Weltwirtschafts-und Finanzkrise unserer Tage sowie die Abwälzung der Krisenlasten auf die Gesellschaften, bilden Sozialstaats- und Demokratieabbau und die wachsende Kriegsgefahr den Humus für Nationalismus, Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit.
Die galoppierende Militarisierung Deutschlands nach innen und außen verstößt gegen alle Lehren aus der Kriegsverbrecher-Geschichte unseres Landes. Waren nicht 1945 fast alle einig in dem Willen „Nie wieder Krieg!“? Heute werden deutsche Waffen an alle „verlässlichen“ undemokratischen Partner geliefert und vermeintliche deutsche Interessen auf zahlreichen Kriegsschauplätzen in der Welt verteidigt.
Der uneingeschränkte Einsatz der Bundeswehr im Innern, wird grundgesetzwidrig im Zeichen des Antiterrorkampfes vorbereitet.
Hier ist noch nicht die AfD am Werk, diese Politik wird von jenen Politikern exekutiert, die etwa an Holocoust-Gedanktagen vor geordneten Sitzreihen feierliche aber folgenlose Gedenkreden halten. Ihr Gerede von sozialer Gerechtigkeit, vom Sozialstaat, von Demokratie und unseren „europäischen Werten“ ist ein Hohn auf die anhaltende Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben, auf grassierende Armut und real existierender Bedienung und Selbstbedienung einer relativ kleinen Gruppe von Milliardärsfamilien.
Die Lehren aus der opferreichen Geschichte der Arbeiterbewegung ziehen kann nur bedeuten:

Widerstand zu leisten, auch aber nicht nur gegen die Folgen und Erscheinungen der Gesellschaftsspaltung, des Sozialstaatsabbaus und des Militarismus unserer Tage. Sondern auch gegen die Ursachen.
Aufklären über die fatalen Folgen von Massenverblödung, von Untertänigkeit und gedankenlose Mitläuferei.
Heute die Lehren ziehen aus den geschichtlichen Erfahrungen bedeutet ganz aktuell:
Nicht bei der bücherfüllenden Analyse stehen zu bleiben, sondern Gegenmacht konkret organisieren, die demokratischen und linken Kräfte sammeln und dem sich formierenden Rechtsblock ein linksdemokratisches Lager entgegenstellen.
Es gibt Zeiten, in denen muss man sich entscheiden: für Würde oder Niedertracht, für Anpassung oder Widerstand. In solchen Zeiten, in so einer Entscheidungssituation befinden wir uns.
Viele sagen jetzt, es müsste etwas geschehen, es müsste eigentlich etwas getan werden, dabei käme es jetzt darauf an zu sagen, i c h muss etwas tun, gemeinsam mit Anderen!
Und denen müssen wir sagen:
Der Aufbruch zu gemeinsamen Handeln und zum Widerstand beginnt mit d i r!
Protest und Widerstand lebt nicht von stiller Zustimmung und Abwarten, sondern von deiner aktiven Beteiligung!
Darum sollten jetzt unsere Gedanken kreisen, darauf müssen jetzt unsere Bemühungen und Aktivitäten zielen.

Wie bekommen wir, zunächst hier im Ruhrgebiet ein solches Bündnis hin?
Was ist die zündende Leitidee, um die man sich versammeln und die Kräfte bündeln kann?
Was können wir, jeder in seinen Zusammenhängen und mit seinem Umfeld beitragen?
Wen sprechen wir konkret an?

Auf einen römischen Philosophen geht der Satz zurück:
„Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer!“
Nun, wir wollen am 17. November im IGM-Bildungszentrum in Sprockhövel einen ersten Versuch wagen und dann gleich am 15. Dezember in Bochum im ver.di-Haus über eine konkrete Handlungsorientierung beraten.
Ich glaube, wenn es in diese Richtung ginge, bliebe unser Gedenken an den Widerstand von gestern nicht folgenlos für den so dringend nötigen Widerstand von heute …«