Dienstag 02.08.16, 14:32 Uhr

Bochumer Linke: „Wir für Sahra!“ 8


Die Bochumer Linkspartei schreibt: »Linke-Mitglieder rufen auf, die Kampagne gegen Sahra Wagenknecht zu beenden. Was in den vergangenen Tagen an diffamierenden Angriffen gegen die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag in die Welt gesetzt worden sei, habe „mit einer fairen Auseinandersetzung nichts zu tun“ heißt es in einem im Internet verbreiteten Aufruf. „Die Resonanz ist überwältigend“, erklärt Amid Rabieh, Kreisvorsitzender der Partei Die Linke in Bochum und Initiator des Appells „Wir für Sahra“. Rabieh weiter: „Binnen 24 Stunden haben mehr als 3000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner aus dem gesamten Bundesgebiet und den verschiedensten Gliederungen der Partei unsere Initiative unterstützt. Und es werden stündlich mehr.“ Das sei in kürzester Zeit ein Vielfaches an Unterstützern im Vergleich zu der aus Parteikreisen heraus initiierten Internetkampagne gegen Sahra Wagenknecht, über die alle großen Medien des Landes ausführlich berichtet haben.
Eine demokratische Streitkultur gehöre zu jeder demokratischen Partei, heißt es in dem Solidaritätsaufruf „Wir für Sahra“. Mit den Versuchen, Sahra Wagenknecht AfD-Nähe und Nationalismus zu unterstellen, seien aber „die Grenzen des Erträglichen überschritten“. Er werde deutlich, „dass es nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung geht, sondern darum, innerparteiliche Rechnungen zu begleichen und Sahra als Fraktionsvorsitzende zu demontieren“.
Die Unterstützer fordern dazu auf, die Diffamierungskampagne gegen Sahra Wagenknecht einzustellen. „Es schwächt Die Linke, wenn eine der populärsten Politikerinnen in verleumderischer Weise herabgesetzt wird. Wir wollen weiter mit Sahra konsequent gegen Krieg und Kapitalismus streiten!“
Aufruf und Liste der Unterzeichner: www.wir-für-sahra.de«


8 Gedanken zu “Bochumer Linke: „Wir für Sahra!“

  • Ralf Feldmann

    Der Landesvorstand der Linken in NRW hielt die Erklärung Sahra Wagenknechts für falsch. Die breite Kritikwelle gegen sie in der Linkspartei – auf allen Parteiebenen und aus den unterschiedlichsten Parteiströmungen und Landesverbänden – richtet sich nicht gegen ihre banale Feststellung, „dass die Aufnahme und Integration einer großen Anzahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen“ verbunden ist. Diese Probleme, ihre Ursachen und Lösungen konkret zu benennen, ist Aufgabe auch der Opposition, die es besser machen will als die Kanzlerin, die kniefällig Erdogan hofiert, damit die gemeinsame Absperrungspolitik nicht gefährdet wird. Und die zum Beispiel trotz voller Bundeskasse viel zu wenig Bereitschaft zeigt, armen Gemeinden bei der Lösung der vielfältigen Probleme an der Basis zu helfen. Die Kehrtwende vom Willkommen zur Aussperrung und zur fortgesetzten Vergrämung der Flüchtlinge muss in all ihren Aspekten scharf kritisiert werden. Dazu finde ich in der zugespitzten Erklärung der Fraktionssprecherin nichts Konkretes.

    Aber Merkels „Wir schaffen das“, das sie uns, so Sahra Wagenknecht, „im letzten Herbst einreden wollte“ war nicht „leichtfertig“, sondern menschlich, solidarisch, notwendig. Sollten und sollen denn weiter Tausende im Mittelmeer ertrinken, Hunderttausende in den armen Ländern des Balkans stranden oder gar in den Kerkern Orbans enden? Dagegen mit „Refugees welcome“ und „Wir schaffen das“ zu reagieren, war und ist vielen ein Herzensbedürfnis, das sie sich nicht „einreden lassen“ müssen. Sie werden sich hoffentlich auch von Sahra Wagenknecht und anderen nicht einreden lassen: Wir schaffen es nicht und können es deshalb gar nicht wollen. Die Linke gäbe ihre Identität auf, wenn sie so den Anschluss zu Seehofer und der AfD suchen würde.

    Wenn Sahra Wagenknecht die Kanzlerin im Kontext der Anschläge auffordert, wieder dafür zu sorgen, dass sich „Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können“, stellt sie Flüchtlinge unter Generalverdacht, die schrecklichen Taten Einzelner zu fördern und für sie mitverantwortlich zu sein. Gerade die Anschläge der letzten Zeit zeigen aber, wie viel wichtiger die individuelle und soziale Analyse der Taten ist – gegen reflexhafte Ressentiments derer, die sowieso alles immer schon besser wussten. Warum sagte Sahra Wagenknecht nicht, die Kanzlerin solle dafür sorgen, dass sich Flüchtlinge in unserem Land willkommen fühlen können? Das wäre zugleich ein Beitrag zur allseitigen Sicherheit.

    Sahra Wagenknecht fühlt sich nun fehlinterpretiert und missverstanden. Nein: Sie kalkuliert bewusst im Fortsetzungszusammenhang. Im Anschluss an ihre Forderung von Flüchtlingsobergrenzen – Obergrenzen der Menschlichkeit – im Anschluss auch an ihre platte, undifferenzierte Schlussfolgerung aus den Silvesterausschreitungen, „kriminelle Asylsuchende“ hätten automatisch „ihr Gastrecht verwirkt“. Immer wieder trübe Blinkzeichen nach rechts, um Abwanderungen nach rechts zu verhindern. Das wird erfolglos bleiben: die Leute werden nach solchen Parolen nicht sie und die Linke, sondern das rechte Original wählen.

    Amid Rabieh, Kreissprecher der Linken, beurteilt solche Kritik als Diffamierung und Verleumdung. Ist sie das? Eine Diskussion und Beschlussfassung des Kreisverbandes der Linken mit diesem Ergebnis ist mir nicht bekannt. Demokratische Streitkultur?

    Gut, dass wenigstens der Kampf gegen den Kapitalismus konsequent weiter geht. Ich freue mich schon darauf, wenn wir alle am Ende des Kampfes regelmäßig im Sterne-Restaurant speisen und Sahra Wagenknecht solidarisch hinzukommt.

  • Ernst-W. Belter

    Um es möglichst kurz zu machen, hier nur 2 von vielen möglichen Aspekten des Briefs von Ralf F.:
    1. Wer aus Sahras Beitrag folgert, dass sie Blinkzeichen nach rechts sendet, hat den „Fortsetzungszusammenhang“, wie Ralf F. schreibt, also den Kontext, in dem Sahra sich geäußert hat, offensichtlich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und folgt lediglich der Hetzpropaganda des rechten Mainstreams, dem kein Konstrukt zu blöde ist um es nicht gegen eine überzeugte und dazu noch äußerst populäre Vertreterin der Linken zu wenden. Was soll denn rechts an der Aussage sein, dass „die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte“? Das ist doch genau das, was wir in den letzten Monaten jeden Tag beobachten können und letztlich eine Trivialität. Die gegenteilige Aussage wäre doch, dass Aufnahme und Integration von Flüchtlingen völlig problemlos über die Bühne gehen. Dann hätte sie sich doch gleich im Merkel-Fan Club anmelden können – absurd. Absurd ist es auch zu fordern, was sie in dem Statement noch alles hätte sagen sollen. Wer ihr politisches Wirken in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt hat, kann keinen Zweifel an Sahras politischer Gesinnung haben. Um sich mit platten Äußerungen dem rechten Rand anzuschließen, dazu ist sie viel zu klug. Das schützt leider nicht davor, dass Äußerungen von ihr aus dem Zusammenhang gerissen und so verdreht werden, dass sie zur Diffamierung taugen. Wünschenswert wäre, dass der Mainstream sich auch einmal inhaltlich mit ihren Positionen auseinandersetzen würde. Das findet aber nie statt. Berichtet wird nur, wenn Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden und sich eine Gelegenheit zur Diffamierung bietet. Schade nur, dass auch Linke darauf hereinfallen.
    2. Merkels „Wir schaffen das“ vom letzten Jahr hatte mit allem was zu tun, aber bestimmt nicht mit Menschlichkeit und Solidarität. Diese waren nämlich schlagartig beendet, sobald der Deal mit der Türkei unter Dach und Fach war. Oder gab es danach etwa keine Flüchtlinge mehr? Meine Interpretation ihrer plötzlichen Menschlichkeit ist die, dass die deutsche Regierung ihre internationale Reputation nach der von ihr angeordneten Erpressung Griechenlands dringend aufbessern musste und die Flüchtlinge dazu willkommenes Vehikel waren. Dass man die Flüchtlinge danach am liebsten wieder loswerden wollte, haben doch die nachfolgenden Verschärfungen des Asylrechts gezeigt bis hin zum Deal mit Erdogan, so dass heute das grundgesetzlich garantierte Recht auf Asyl faktisch abgeschafft ist.

  • Ralf Feldmann

    Schön, dass bo-alternativ in der innerparteilichen Kontroverse um Sahra Wagenknecht auch in Waltrop gelesen wird, lieber Ernst W. Belter. Den Vorwurf, gegen Sahra Wagenknecht rechter Hetzpropaganda des politischen Mainstreams zu folgen, möchte ich aber nicht stehen lassen. Die Kritik kam aus allen Teilen der Linkspartei, aus Bundes- und Landesvorständen und den verschiedensten Strömungen. Das ist gut und notwendig. Wäre sie für ihre Erklärung allseitig gelobt worden, wäre für mich das linke Fass übergelaufen.

    Natürlich muss man Probleme und Schwierigkeiten mit der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen auch dann benennen, wenn andere daraus Abwehr, Hass und Feindschaft entwickeln. Die Linke darf dabei nie mit oberflächlichen Parolen argumentieren. Das Ziel „Wir schaffen das“ und die grundsätzliche Bereitschaft „Refugees welcome“, dürfen nicht aufgegeben oder diskreditiert werden, gerade wenn viele inzwischen
    sagen: Wir wollen es nicht schaffen, weil wir die Flüchtlinge nicht wollen. Stets und immer sind die Gründe der Schwierigkeiten zu analysieren und als politische Forderungen die Voraussetzungen zu formulieren, mit denen wir es schaffen.

    Sahra Wagenknecht hat demgegenüber wiederholt verkürzt sprachlich und inhaltlich in öffentlichen Erklärungen rechte Argumentationsmuster übernommen; den Fortsetzungszusammenhang habe ich oben geschildert. Natürlich findet sie dafür in der Gesellschaft, so wie sie ist, Zustimmung. Wahrlich kein Grund, darüber in Begeisterung auszubrechen. Immerhin rudert sie regelmäßig zurück. Wenn sie dies ehrlich meint, sollte sie in Zukunft besser vorher überlegen, was und wie sie etwas sagt und wem sie Wind in die Segel bläst.

  • Ernst-W. Belter

    Über die prompte Antwort auf meinen Brief, lieber Ralf Feldmann, habe ich mich sehr gefreut. Für eine fruchtbare inhaltliche Diskussion bin ich immer gerne zu haben. Ich stimme auch sehr überein, dass die Linke nicht mit oberflächlichen Parolen argumentieren sollte. Ich sehe aber überhaupt nicht, dass Sahra das gemacht hat. Sie hat lediglich einen Tatbestand beschrieben, der von niemandem ernsthaft geleugnet werden kann. Die entscheidende Frage ist doch, wie dieser Sachverhalt interpretiert wird. In dieser Interpretation unterscheiden sich Sahra und die Vertreter der rechten Fraktionen diametral. Schaut man sich ihre letzten Äußerungen zu diesem Thema an, z.B. die Bundestagsdebatten, kann das doch überhaupt nicht bezweifelt werden. Die Gemeinheit der Wortverdreher besteht doch gerade darin, dass ihr mit der Benennung des Tatbestandes auch gleich die Interpretationsmuster der Rechten untergeschoben werden, und das ist in höchstem Maße infam. Das ist das gleiche Muster, das auch bei den anderen Beispielen, die angeblich als „rechte Argumentationsmuster“ von der Mainstreampresse, allen voran die „pseudolinke“ taz, vorgeführt wurden. Falls das nicht so ist, bitte ich darum mir eines zu nennen. An keiner Stelle kann ich bei Sahra erkennen, dass sie das Ziel „Refugees welcome“ aufgegeben hat.
    Sahra Wagenknecht ist doch gerade wegen ihrer überzeugenden Analysen ein leuchtendes Ausnahmebeispiel in der gesamten Politiklandschaft. Dass auch andere in der Linkspartei der rechten Diffamierungsstrategie auf den Leim gekrochen sind, habe ich auch mitbekommen, kann aber doch kein sachliches Argument sein.
    Tatsache ist doch, dass die herrschende neoliberale Elite gerade gegen Sahra so massiv mobilisiert, weil sie bis in CDU-Kreise hinein eine starke Überzeugungskraft hat und dadurch potentiell gefährlich werden könnte.

  • werner müller

    in erster linie bin ich verwirrt.

    mensch kann der linkspartei bochum nicht vorwerfen sich nicht gegen rassismus und für flüchtlinge einzusetzen. umso irritierter ist nun die unterstützung von frau wagenknecht. diese hat nun zum wiederholten male gegen die politik linker antirassistische initiativen, die geflüchtete ausnahmslos willkommen heißt, stellung genommen. mensch muss das also als ernsthafte positionierung der linkspartei fraktionsvorsitzenden wahrnehmen.

    vielleicht kenne ich den innerparteiliche debatte zu wenig, aber antirassist*innen sollten gegen kritik von frau wagenknecht doch stellung beziehen können dürfen. wie soll ich den aufruf nun verstehen, keine debatte mehr führen, weil das frau wagenknecht beschädigt?

  • Monika Lammers-Goebel

    bei Werner müller wird das problem deutlich, wenn er fragt, ob man „keine debatte mehr führen“ solle,“weil das frau Wagenknecht beschädigt?“. der aufruf betont ausdrücklich die Notwendigkeit von inhaltlicher Auseinandersetzung und demokratischer streitkultur; und sahra Wagenknecht geht z. b. auf ihrer facebook-seite mit großer Diskussionsbereitschaft selbst auf unqualifizierte beiträge argumentativ ein. was ist dagegen davon zu halten, wenn Überschriften in den Zeitungen lauten:“Linke fallen über Sahra Wagenknecht her“ und allen Ernstes eine Unterschriftensammlung gegen die eigene fraktionsvorsitzende veranstaltet wird? wenn Werner müller das für eine angemessene art des miteinander-umgehens hält, dann bestätigt das meinen eindruck, dass gerade unter politisch aktiven, die sich selbst als „antirassisten“ bezeichnen, eine beunruhigende kälte gegenüber allen existiert, die nicht haargenau die gleiche Meinung haben wie man selbst, eine ungeheure denunziatorische distinktionswut,die dazu führt, dass tatsächlich über andere „hergefallen“ wird!

  • werner müller

    also für eine andere fraktionsvorsitzende zu sein, also eine andere kandidatin zu befürworten ist, jenseits des legitimen in einer demokratischen debatte. wenn dich monika richtig verstehe, ist eine kampagne „wir für sahra“ legitim, eine kampagne „wir gegen sahra“ oder „wir für dietmar“… aber nicht. hm…find ich komisch.

    dürfte ich sagen „die von sahra wagenknecht geäußerte poistion finde ich falsch. wenn sie eine solche position, die sich von den beschlüssen des parteiprogramm abhebt, weiter äußert, sollte sie nicht mehr an zentrale stelle die partei vertreten“?

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