Dienstag 16.02.16, 16:36 Uhr

Flüchtlinge als billige Arbeitskräfte?


Der Bochumer DGB hat heute „scharfen Widerspruch“ gegen „die Überlegungen der CDU, den Mindestlohn für Flüchtlinge auszuhebeln“, angemeldet. Die Bochum Bundestagsabgeordnete der Linken Sevim Dagdelen hatte zuvor den Vorschlag von SPD-Ministerin Nahles kritisiert, „100.000 Arbeitsgelegenheiten wie etwa Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge zu schaffen“. Die örtliche IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) fordert schließlich: „Flüchtlinge in Bochum sollen gute Chancen im Handwerk bekommen – und dabei nicht nur als Handlanger eingesetzt werden.“ Die Stellungnahmen im Wortlaut:

DGB Bochum: Gegen Ausnahmen bei Mindestlohn für Flüchtlinge
Auf scharfen Widerspruch treffen die Überlegungen der CDU den Mindestlohn für Flüchtlinge auszuhebeln. Der DGB in Bochum wünscht sich eine deutliche Absage aus der örtlichen Ebene der Christdemokraten und entschiedenen Widerspruch durch den Bundestagsabgeordneten Prof. Dr. Norbert Lammert. Für Eva Kerkemeier vom DGB ist der Versuch, eine weitere Ausnahmesituation zu schaffen, eine grundlegend falsche Entscheidung. „Bereits die jetzigen Ausnahmetatbestände sind für uns falsch. Der aktuelle Versuch der CDU birgt zusätzlich auch noch die Gefahr, Gruppen von Arbeitssuchenden gegeneinander auszuspielen und eine weitere „Billiglohnvariante“ zu schaffen. Das ist unverantwortlich und wir hoffen darauf, dass sich der Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Norbert Lammert und die Bochumer CDU deutlich dagegen positionieren.“ Für den DGB wird die Situation besonders absurd, da sich keinerlei Prophezeiungen des Arbeitsplatzabbaus bewahrheitet haben. Im Gegenteil: die Zahl der Erwerbstätigen ist gestiegen und hat zu einem wichtigen Kaufkraftzuwachs beigetragen. Der DGB wartet mit Interesse auf eine Stellungnahme der CDU-Bochum.

Sevim Dagdelen: Keine prekäre Beschäftigung, auch nicht für Flüchtlinge
„Arbeit für Flüchtlinge ja, aber nicht auf ‚Teufel komm raus‘. Flüchtlinge dürfen nicht als billige Reservearmee gegenüber Arbeitslosen oder Arbeitern benutzt werden. Das schürt Konkurrenzdenken und ist Gift für ein friedliches Miteinander.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Planlosigkeit und der Aktionismus das Handeln von Bundesministerin Nahles getreu dem Motto folgt ‚es muss irgendetwas passieren‘. Der Vorschlag 100.000 Arbeitsgelegenheiten wie etwa Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge zu schaffen ist jedoch ein zweischneidiges Schwert. Viele Flüchtlinge werden sich über das Ende der Beschäftigungslosigkeit genauso freuen wie einzelne Kommunen und Unternehmen, die auf ein Arbeitskräftepotential zurückgreifen können, das sie nicht vernünftig bezahlen müssen. Doch damit werden Ängsten vor einer Lohnspirale nach unten und rassistischen Ressentiments Vorschub geleistet.
DIE LINKE fordert, dass Flüchtlinge die Möglichkeit haben sollen, zügig in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Dazu braucht es statt Ein-Euro-Jobs sozialversicherungspflichtige und rechtlich abgesicherte Arbeitsverträge. Sie dürfen nicht unterhalb eines gesetzlichen Mindestlohns vergütet werden. Prekäre Beschäftigung kommt weder deutschen Arbeitnehmern noch Flüchtlingen zugute, sondern allein der Arbeitgeberseite.“

IG BAU: Flüchtlinge in Bochum für Ausbildung im Handwerk gewinnen:
Ordentliches Handwerk statt Hilfsarbeit: Flüchtlinge in Bochum sollen gute Chancen im Handwerk bekommen – und dabei nicht nur als Handlanger eingesetzt werden. Das fordert die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Die Gewerkschaft ruft die heimische Politik und Wirtschaft auf, alles zu tun, um Zuwanderer leichter in die Berufsausbildung im Handwerk zu integrieren. Hierfür sei nicht nur der Abbau bürokratischer Hürden notwendig, sondern auch Überzeugungsarbeit unter den Flüchtlingen selbst.

„Viele Menschen, die nach einer langen Flucht jetzt in Bochum leben, sind darauf angewiesen, ihre Familien in der Heimat finanziell zu unterstützen. Sie nehmen dabei aber oft schlecht bezahlte Jobs und Hilfstätigkeiten in Kauf“, sagt Heinz Wessendorf von der IG BAU Bochum-Dortmund. Dagegen böten solide Berufe im Handwerk eine viel bessere Perspektive – und viel höhere Löhne. Es sei daher wichtig, die Flüchtlinge über die Vorteile der dualen Ausbildung zu informieren, so der IG BAU-Bezirksvorsitzende. Ein Großteil von ihnen sei genau im richtigen Alter, um eine Lehre zu beginnen.

„Die Chancen sind enorm – für die, die zu uns kommen, aber auch für die Wirtschaft in Bochum“, ist sich Wessendorf sicher. Und auf dem heimischen Ausbildungsmarkt gebe es „noch deutlich Luft nach oben“. So waren nach Angaben der Arbeitsagentur selbst nach Ablauf des letzten Ausbildungsjahrs in Bochum noch 173 Lehrstellen unbesetzt – viele davon im Handwerk. „Um hier einer Nachwuchskrise vorzubeugen, ist das Handwerk gut beraten, die Zuwanderer als Chance zu begreifen“, betont der Gewerkschafter.

Für die Flüchtlinge lohne sich eine Ausbildung auf dem Bau, im Maler-Handwerk oder in der Gebäudereinigung dabei mindestens genauso wie für die Betriebe, sagt Wessendorf. Während etwa ein gelernter Straßenbauer 18,64 Euro in der Stunde bekommt, sind es beim ungelernten Helfer nur 11,15 Euro. Und schon ein Bau-Azubi kommt im Schnitt auf 1.057 Euro im Monat.

Eine Ausbildung zahle sich gerade langfristig aus: Beschäftigte mit einer abgeschlossenen Lehre verdienen in ihrem Leben rund 250.000 Euro mehr als ungelernte Kräfte, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ermittelt hat. „Wir müssen den Geflüchteten deutlich machen, dass eine Berufsausbildung eine Perspektive fürs Leben ist“, unterstreicht Wessendorf. „Und dass das Handwerk nach wie vor goldenen Boden hat.“