Neujahrsempfang der sozialen Bewegung 2016
Sonntag 24.01.16, 21:53 Uhr

Rede von Jochen Bauer, GEW


Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde der Bochum Initiativen,

zunächst möchte ich mich für die Einladung zum Neujahrsempfang bedanken.

In meinem Grußwort möchte ich einen persönlichen Rückblick auf das Jahr 2015 geben und auch über die Aufgaben reden, die uns 2016 erwarten – denn einfacher wird es nicht!

Um es vorneweg zu sagen: Für mich war 2015 ein ausgesprochen miserables Jahr. Noch nie habe ich ein Jahr mit derartigem Demokratieabbau, Militarisierung der Gesellschaft oder Hetze gegen Andersdenkende, die kritisch dem politischen Mainstream gegenüberstehen, erlebt. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass wir an einem Scheideweg stehen: entweder schaffen wir die Wende, d.h. die Abkehr vom Neoliberalismus oder wir werden die Fortschreibung der gesellschaftlichen Spaltung, wenn nicht gar Krieg miterleben. Ein ‚weiter so’ kann es nicht geben.

Meine Einschätzung möchte ich an einigen Beispielen deutlich machen:

Noch nie wurde die demokratische Wahlentscheidung eines Volkes wie die Wahl von Syriza in Griechenland so missachtet und bekämpft. Bundeskanzlerin Merkel sowie ihre Minister Schäuble und Gabriel haben Griechenland in ein unmenschliches Spardiktat getrieben. Die griechische Regierung wurde nach dem Motto „Friss oder stirb“ u.a. gezwungen die sozialen Sicherungssysteme und die Tarifautonomie zu zerstören, um die Kredite gegen zu finanzieren, die notwendig sind, um deutsche und französische Banken zu retten, die sich in Griechenland verspekuliert haben. Die angeblichen Privatisierungen, die Griechenland bei der Bewältigung ihrer Krise helfen sollen, zeigen sich bei näherem Hinsehen als nichts anderes als Produkte des deutschen Wirtschaftsimperialismus. Denn anders ist der Ausverkauf der profitablen griechischen Regionalflughäfen an den deutschen Staatskonzern Fraport nicht zu erklären.

Eine Lektion muss Frau Merkel und ihre Steigbügelhalter aber gerade lernen: wer keine Solidarität gibt, erhält auch keine!

Am 10. Oktober 2015 sind nach Veranstalterangaben 250.000 Menschen in Berlin auf die Straße gegangen, um gegen das Freihandelsabkommen TTIP zu demonstrieren. Das war die größte Demonstration in Deutschland der letzten 25 Jahre. Der zugleich einsetzende Beißreflex der transatlantisch gleichgeschalteten Presse lässt tief blicken. Kommentare nannten die Demonstranten „nationalistisch, fundamentalistisch und hysterisch“. Auf Spiegel Online wurde die Demo als „Schauermärchen vom rechten Rand“ diskreditiert und „Die Welt“ wittert eine Querfront von Linken und Rechten. Wer so einen Unsinn verbreitet, der will die wahren Hintergründe, die hinter TTIP stecken vertuschen. Im Kampf gegen TTIP geht es darum, sich der Diktatur des Großkapitals zu widersetzen. Der demokratische Rechtsstaat darf nicht zu Hinterzimmerdemokratie verkommen, bei der es demokratische Entscheidungen nur noch zum Schein gibt, die richtungweisenden Beschlüsse aber in geheimen technokratischen Zirkeln unter Einflussnahme der Kapitalinteressen gefällt werden.

Auch aus gewerkschaftlicher Sicht war das Jahr 2015 ein miserables Jahr. Das Tarifeinheitsgesetz untergräbt die gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit und stellt die Tarifautonomie in Frage. Eine Schande ist es, dass diese Entwicklung durch eine Partei mitgetragen wird, die sich einst sozialdemokratisch nannte. Wir erleben gerade einen erbitterten Verteilungskampf, der vor allem im Öffentlichen Dienst und in den ehemaligen Staatsbetrieben, an denen der Staat noch große Anteile besitzt, u.a. Bahn und Post, geführt wird. Selbst immense wirtschaftliche Verluste führen nicht zum Einlenken der Arbeitgeberseite, sondern es wird von oben ein Klassenkampf mit allen Mitteln gegen die abhängig Beschäftigten geführt, die sich als gut organisiert und kampffähig erweisen.

Eine Schande ist es auch, dass Erzieherinnen, denen die Zukunft der Gesellschaft, die Kinder, anvertraut werden, so schlecht bezahlt werden, dass sie teilweise nach Feierabend an der Supermarktkasse sitzen müssen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Am Beispiel des Kollegen Weselsky (GdL) haben wir erlebt, wie ein Gewerkschafter, der sich den Interessen seiner Mitglieder mehr verpflichtet fühlt und als denen des Kapitals, öffentlich diskreditiert wurde und Teile der Presse noch nicht einmal davor zurückschreckte schmutzige Wäsche aus seinem Privatleben zu waschen.

2015 war auch das Jahr, in dem die Militarisierung der Gesellschaft weiter vorangetrieben und die Bundeswehr in immer mehr Kampfeinsätze verwickelt wurde. Um Europa zieht sich ein Ring von sich weiter verschärfenden Krisen, die in Kriege und Vertreibung münden. Schuld daran sind die westliche Bündnisse und ihre geostrategischen Pläne, die den Nahen Osten destabilisiert und die Ukraine und gegenwärtig auch die Türkei, in einen Bürgerkrieg getrieben haben. In erster Reihe mit dabei die Bundeswehr. Es erfolgt eine Politik nach dem Motto: „nie wieder Krieg – ohne Deutschland“.

Im letzten Jahr sind 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen, die vor dem Krieg und den Krisen geflohen sind, die ihre Heimatländer verlassen haben und eine lebensgefährliche Flucht auf sich genommen haben, weil sie sich ein Leben ohne Krieg und in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen erhoffen. Diese Menschen gilt es in unsere Gesellschaft aufzunehmen. Das Engagement der freiwilligen Helferinnen und Helfer kann nicht genug gelobt werden. Aber in der gegenwärtigen Situation zeigt sich auch das Staatsversagen, das durch Privatisierung, Deregulierung, Liberalisierung und unsinnigen Spardiktate verursacht wurde:

Es fehlt an günstigem Wohnraum. Die Kommunen sind zur Konsolidierung ihrer maroden Haushalte gezwungen, öffentlichen Wohnraum an Mietspekulanten zu verkaufen.

Wir haben zu wenig Personal im Öffentlichen Dienst, der nach der Wiedervereinigung kaputt gespart wurde. Entsprechend gibt es zu wenige Verwaltungskräfte, Polizei zum Schutz des Rechtsstaates, Sozialarbeiter und Lehrkräfte zur Beschulung der neu ankommenden Kinder.

Es fehlt an Schulen und Schulraum. Auch in Bochum wurden unter dem Vorzeichen der Haushaltskonsolidierung Schulen geschlossen. Besonders im Bildungsbereich mangelt es an Investitionen – die Bausubstanz der Schulen ist teilweise miserabel, so auch die anderer öffentlicher Gebäude.

In der Frage Integration der geflüchteten Menschen liegt eine Chance, wir stehen hier vor gewaltigen Aufgaben, die u.a. durch den Bildungsbereich zu stemmen sind. Die GEW fordert daher u.a.:

Die Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache/ Deutsch als Zweitsprache

Einstellung von Lehrkräften zur Beschulung der geflüchteten Kinder und Stopp des Stellenabbaus in den Schulen

Ausbau der Schulsozialarbeit

Die Erweiterung des Rechts auf Schulbesuch für Geflüchtete bis zum 25. Lebensjahr

Die Ausweitung berufsbegleitender Hilfen in der beruflichen Bildung

Ich habe viel über Negatives gesprochen – es gibt aber auch viel Positives, was ich im letzten Jahr erlebt habe:

Die Friedensdemonstration der Gewerkschafterinnen für Frieden und Solidarität war eine der wenigen Friedensdemos in der Bundesrepublik. Gäbe es mehr solcher Initiativen, könnte die Bundesregierung ihre Machtpolitik nicht so ungehindert durchführen.

Dass sich Engagement für Frieden auch auszahlen kann, erlebte die Willy-Brandt-Gesamtschule, die sich zur bundeswehrfreien Schule erklärt hat. Sie hat den Friedenspreis des ev. Kirchenkreises Oberhausen erhalten. Dass so ein Engagement nicht überall gut ankommt, beweist eine Weihnachtspost der Militärpfarrerin Susanne Schart, die an die Schule schreibt: Ein Soldat meiner Gemeinde hat sich fassungslos und entsetzt über die Verleihung des Oberhausener Preises 2015 an mich als Militärpfarrerin gewandt: Ob der politische Verteidigungsauftrag an die Soldaten wohl nicht für die Lehrer und Schüler der Willy-Brandt-Gesamtschule Bochum gilt? Man muss diese Sätze nicht weiter kommentieren. Die Schüler und Kollegen der WBG lassen sich nicht beirren und führen ihr friedenspädagogisches Engagement fort und haben im Stadtteil Werne jüngst den dritten Stolperstein, der an die jüdischen Opfer des NS-Faschismus erinnert, verlegt.

Es hat sich die Gruppe „Hellas-Solidarität“ gegründet, die u.a. die soziale Arztpraxis in Arta an der griechischen Westküste unterstützt. Das ist gelebte Solidarität.

Faschisten und rechtspopulistischen Kräften wird in Bochum kein Raum gewährt. Versuche von AfD oder Pro NRW in Bochum ihre braune Suppe zu kochen, wurden durch Gegendemonstrationen im Keim erstickt. Aber unser Kampf darf nicht nur gegen Rechtsextreme gehen, sondern auch gegen diejenigen, die ihn ermöglichen. Das sind die Eliten in Wirtschaft und Politik, die Menschen ausschließlich nach ihrer ökonomischen Verwendbarkeit bewerten und diejenigen ausgrenzen, die nicht leistungsfähig sind.

Diese Beispiele zeigen, dass wir in Bochum auf einem guten Weg sind und beispielhafte Initiativen erfolgen.

Wir stehen, wie ich bereits gesagt habe, gegenwärtig an einem Scheidepunkt. Die Frage ist: wie wollen wir unsere zukünftige Gesellschaft gestalten? Wollen wir eine Gesellschaft in Frieden und sozialer Gerechtigkeit? Oder soll unsere Gesellschaft weiter verunsichert werden, um die Erfordernisse Märkte zu befriedigen? Der Preis dafür wäre die fortschreitende Pegidaisierung der Gesellschaft, wachsender Hass und Nationalismus und weitere Kriege.

Letztlich geht es um die Verteilungsfrage. Wir brauchen Reformen. Aber nicht die, der letzten 20 Jahre, sondern wir brauchen die höhere Besteuerung von Erbschaften und Reichtum. Dieses Geld muss benutzt werden, um soziale Sicherheit, das Gesundheitssystem, ein gerechtes Bildungssystem und eine öffentliche Infrastruktur zu schaffen, die ihren Namen verdient hat.

Wir brauchen einen Politikwechsel und das geht nur mit Engagement. Wenn wir das Ziel einer besseren, gerechten Gesellschaft und Wahrung der Demokratie erreichen wollen, dann geht das nur, wenn wir zusammenhalten und für diese Ziele gemeinsam kämpfen.

Glück auf