Dienstag 05.05.15, 12:33 Uhr

OB Scholz fordert eine
noch schärfere Abschiebepraxis


Der Flüchtlingsrat NRW hat eine Stellungnahme veröffentlicht, in dem er einen Brief von Ottilie Scholz und anderen OberbürgermeisterInnen und LandrätInnen an die Ministerpräsidentin in NRW kritisiert. In dem unsäglichen Brief listen die KommunalpolitikerInnen Probleme auf, die sie angeblich bei der Umsetzung einer „gelingenden Integrationspolitik“ haben und leiten daraus Forderungen an die Landesregierung ab. Die Stellungnahme des Flüchtlingsrates: » „Kontraproduktiv“ nennen die Oberbürgermeister und Landräte Erlasse der Landesregierung NRW, die „darauf abzielen, im Nachgang zu bestandskräftig festgestellten Ausreiseverpflichtungen noch einmal in Einzelfallprüfungen einzutreten und Familienverbünde nicht auseinanderzuziehen“. Gemeint sind damit beispielsweise die Erlasse vom 22.12.2014 und vom 21.09.2010. Der erstgenannte Erlass soll an dieser Stelle kurz zusammengefasst werden. Er weist auf die schwierigen Lebensbedingungen von Angehörigen der Volksgruppen der Roma, Ashkali und Ägypter bei ihrer Rückkehr in den Kosovo, in die Republiken Albanien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Serbien hin und fordert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörden dazu auf, bei besonders schutzbedürftigen Personen eine sorgfältige Einzelfallprüfung vorzunehmen, um unzumutbare Härten zu vermeiden.
Der Flüchtlingsrat NRW e.V. ist erfreut zu lesen, dass der Erlass von den Mitarbeitenden der Ausländerbehörden tatsächlich ernst genommen wird und Einzelfallprüfungen durchgeführt werden. Andere Erlasse wurden bedauerlicherweise in der Vergangenheit weniger beachtet. Dass jedoch gerade dieser Erlass von den Oberbürgermeistern und Landräten kritisiert wird, stößt beim Flüchtlingsrat NRW e.V. auf Unverständnis. Der Erlass weist im Grunde nur auf die sowieso gegebene gesetzliche Verpflichtung der Ausländerbehörden hin, vor einer Abschiebung die rechtlichen und tatsächlichen Vollstreckungshindernisse zu prüfen. Erkrankungen und familiäre Bindungen können solche Hindernisse bei der Vollstreckung einer Abschiebung sein und müssen demnach Berücksichtigung finden,  denn natürlich haben auch abgelehnte Asylsuchende Rechte, die ihnen zustehen. Die so genannten ‚Duldungen‘, bzw. die „vorübergehende Aussetzung einer Abschiebung“, werden von den Ausländerbehörden oft über einen langen Zeitraum hinweg, immer wieder nur kurzfristig, erteilt. Für die Betroffenen ist dieser Zustand der Ungewissheit über die weitere Zukunft sehr belastend. Auch die rechtlichen Einschränkungen, die sich durch eine Duldung ergeben, erschweren ihre Situation. Somit sollte die Forderung nicht lauten Abschiebungen noch zu erleichtern, sondern den rechtlichen Schutzstatus von langjährig in Deutschland Geduldeten zu verbessern.
Erstaunlich ist zudem, dass andere Bundesländer Ende letzten Jahres die Kommunen nicht nur aufgefordert haben, ihre Arbeit bei den oben genannten Volksgruppen sorgfältig durchzuführen, sondern noch einen Schritt weiter gingen und Winterabschiebestopps erließen. Daher kann der von den Oberbürgermeistern und Landräten genannte Erlass der NRW-Regierung sogar bereits als abgeschwächt angesehen werden.
Ebenfalls bemerkenswert ist, dass der Leser an keiner Stelle des Briefes einen Hinweis darauf findet, dass Abschiebungen für die Betroffenen häufig traumatisierende Ereignisse sind und sie daher nicht voreilig durchgeführt werden sollten.
Die Bundesregierung begrüßt Modellprojekte, die Ausländerbehörden zu „Willkommensbehörden“ werden lassen und auch die Oberbürgermeister und Landräte nennen als gemeinsames, langfristiges Ziel den Erhalt und den Ausbau einer „Willkommenskultur“. Den genannten Erlass müssten sie demnach eher befürworten, da er der Verfestigung solcher Willkommensstrukturen dient. Die Oberbürgermeister und Landräte monieren jedoch, dass ‚Rückführungen‘ in NRW nicht „unnötig erschwert werden“ sollen. Gleichzeitig beteuern sie aber „zu ihrer humanitären Verpflichtung zur Unterbringung von Flüchtlingen“ zu stehen. Dies gelte insbesondere für die ‚richtigen‘ Flüchtlinge aus „Kriegs- und Krisenregionen“, für die schließlich der Platz in den Unterbringungseinrichtungen dringender benötigt würde.
Die Ausdrucksweise der Oberbürgermeister und Landräte erweckt schnell den Eindruck, dass hier eine Unterscheidung in ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Flüchtlinge vorgenommen wird und legt die Frage nahe, ob diese Unterscheidung Folgen für das ihnen entgegengebrachte Maß an Fairness und Freundlichkeit oder die Form der Unterbringung hat. Es handelt sich bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen, nach Ansicht des Flüchtlingsrates NRW e.V., jedoch nicht nur um eine rechtliche „Verpflichtung“, sondern auch um eine humanitäre Verantwortung, die es zu übernehmen gilt.
Wenig hilfreich ist es zudem, in dem gemeinsamen Brief, der das Thema Flüchtlinge, deren Unterbringung und Rückführung behandelt, zusätzlich die EU-Binnenmigration ins Spiel zu bringen. Auch im öffentlichen Diskurs werden diese Themengebiete gern verwechselt und fördern nicht selten Ressentiments in der Bevölkerung.
Besonders die von den Oberbürgermeistern und Landräten angeführte Kernforderung des Briefes nach einer Korrektur von Erlassen, bzw. schnelleren Abschiebungen, erachtet der Flüchtlingsrat NRW e.V. als unsachlich und irreführend, denn die derzeitigen Probleme der Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung werden dadurch nicht gelöst. Die in dem Brief formulierten Forderungen  zeigen bedauerlicherweise so gut wie keine konstruktiven Lösungsansätze auf. Vielmehr wird die derzeit überall deutlich zu Tage tretende Überforderung der Kommunen sichtbar. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt deutlich auf der Abwälzung von Verantwortung auf andere Regierungsebenen. Hauptaufgabe der Oberbürgermeister und Landräte sollte jedoch die Integration von Flüchtlingen in die kommunalen Strukturen sein.
Der Flüchtlingsrat NRW e.V. appelliert sowohl an die Oberbürgermeister und Landräte als auch an die Landesregierung in NRW, jeden Flüchtling als gleichwertig zu betrachten und zu behandeln und keine polemische Unterscheidung von ‚guten‘ und ‚schlechten‘ Flüchtlingen vorzunehmen. Diese Unterscheidung ist höchst gefährlich. Sie kann zu Ablehnung und Rassismus in der Bevölkerung mit schwerwiegenden Konsequenzen führen.«