Donnerstag 30.10.14, 13:45 Uhr

Kulturpolitik sucks


von Rainer Midlaszewski
Die geplanten Einschnitte bei der Förderung der freien Kulturszene in Bochum sind empörend. Besonders angesichts der Tatsache, dass von den rund 51 Millionen Euro städtischer Kulturförderung nur magere 3,4 % der Off-Kultur zugute kommen. Fast der gesamte Kulturetat fließt in das Schauspielhaus, das Kunstmuseum und die Bochumer Symphoniker. Werden den „Armen“, d. h. den Akteuren und Akteurinnen der Off-Kultur-Szene, nun auch noch die Krümel genommen, hat dies natürlich andere Auswirkungen als ein Verzicht bei den „Reichen“; auch wenn die etablierten Kulturinstitutionen, ausgestattet mit Tarifverträgen und Hausmeistern, nicht müde werden zu beklagen, dass unterhalb einer bestimmten Etathöhe die künstlerische Qualität auf der Strecke bleibt.
Die Kulturschaffenden der freien Szene können hierüber eigentlich nur lachen, wird doch die Qualität ihrer Produktionen gerade durch ihre prekären Arbeits- und Lebensverhältnisse erkauft. Die wenigsten von ihnen besitzen das Privileg einer dauerhaft gesicherten Existenz im Angestellten- oder Beamtenverhältnis; so wie z. B. der Bochumer Kulturdezernent Michael Townsend, der Ende Oktober beim Streitgespräch der Bochumer Kulturszene in den Kunsthallen an der Rottstraße erklärte, wie der Kämmerer der Pleitestadt Bochum angesichts der Haushaltssperre von jedem Ressort seinen Tribut einfordert. Der Kämmerer ist also schuld oder besser der nackte Sachzwang, den er exekutiert. Entscheidungen, die nur noch mit alternativlosen Sachzwängen begründet werden, sind eine politische Bankrotterklärung und Kulturdezernenten, die politisch gestalten sollen, braucht dann eigentlich auch keiner mehr. Das Jahresgehalt eines Michael Townsend wäre bestimmt auch eine Position, dich sich einzusparen lohnen würde. Politiker wie Michael Townsend verstecken sich heute gerne hinter sogenannten Sachzwängen.
Auch in Zeiten kommunaler Finanzkrisen bleiben die Städte aber Gemeinwesen mit öffentlichen Haushalt. Und es sind politische Entscheidungen, welche Ressourcen wofür eingesetzt werden, besonders wenn die Ressourcen knapp sind. Und strategische Priorität hat die Hochkultur. Sie soll als Leuchtturm funktionieren, als Standortvorteil im kannibalistischen Wettbewerb der Ruhrgebietsstädte gegeneinander. Kultur wird in diesem Denken zum Instrument der Wirtschaftsförderung degradiert. Aber welche Schiffe sollen Leuchttürme wie das neue Musikzentrum eigentlich anlocken? Ist es nicht Aufgabe des Gemeinwesens Stadt, alle Bewohnerinnen und Bewohner gleichermaßen an ihren Ressourcen partizipieren zu lassen? Eine Untersuchung der Freien Kulturszene in Essen kam zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2009 rund 375.000 Menschen die 910 Aufführungen und Konzerte der hochsubventionierten Theater und der Philharmonie besuchten. Demgegenüber standen 2.800 Veranstaltungen der Freien Szene mit 403.000 Besucherinnen und Besuchern. Eine vergleichbare Untersuchung in Bochum würde vermutlich zu ähnlichen Ergebnissen führen.
Doch: Darf man freie Kulturproduktion gegen subventionierte Hochkultur-Institutionen stellen? Hat nicht beides seine Berechtigung? Die kommunale Förderpolitik gibt hier eine eindeutige Antwort: Die Off-Kultur ist es nicht wert gefördert zu werden! Und deshalb ist es legitim die Großen Kulturinstitutionen und ihre Anteile an einer hoch-kulturellen Produktion in Frage zu stellen. Gerne wird an dieser Stelle immer auf die besondere Bedeutung des Schauspielhauses oder der Bochumer Symphoniker verwiesen, deren Aufgabe darin bestehen würde, Menschen an Kultur heranzuführen. Als ob diese Art der Kultur ein Wert an sich sei. Etwas das für alle erstrebenswert sei. Dieser paternalistische Erziehungsgedanke ist ekelhaft. Ein solches elitäres Kulturverständnis blickt von oben herab auf die „Ungebildeten“. Was als kulturell wertvoll gilt, ist immer gesellschaftlich bestimmt und wird von Machtverhältnissen strukturiert. Die Zeiten, in denen eine Institution wie das Bochumer Schauspielhaus genau das reflektierte und aus dieser Reflektion spannendes Theater machte, sind lange vorbei.
Und das liegt nicht nur am fehlenden Geld. Wenn das Schauspielhaus mehr sein will als eine reine Projektionsfläche des Stadtmarketings oder eine Erbauungs- und Selbstvergewisserungsanstalt für das Bildungsbürgertum – über das Musikzentrum und die Bochumer Symphoniker möchte ich hier gar nicht sprechen – dann darf es sich nicht darauf beschränken, sich gegenüber der Freien Szene künstlerisch zu öffnen, sondern muss sich auch politisch eindeutig für diesen Teil der Bochumer Kulturproduktion positionieren. Das selbstgefällige Jammern auf hohem Niveau sollte gegen echte Solidarität eingetauscht werden. Dass die Bochumer Freie Szene angesichts der angekündigten Kürzungen bisher eher sachlich und zurückhaltend reagiert ist verständlich, wenn es ihr taktisch darum geht Kommunikationskanäle nicht zu verstopfen oder mögliche Kooperationen nicht zu gefährden. Geld übt immer eine ganz besondere Magie aus. Erinnert sei hier an die anbiedernde Selbstpreisung, mit der sich einige soziokulturelle Zentren des Ruhrgebiets im Vorfeld der Kulturhauptstadt 2010 als „Inkubatoren der Kreativwirtschaft“ für die Wirtschaftsförderung empfahlen. Schwamm drüber. Warum tritt die Freie Szene nicht sehr viel selbstbewusster, frecher, fordernder und konfrontativer auf? Georg Malitz von den Kunsthallen Rottstraße hat jedenfalls beim Streitgespräch der Kulturszene neulich sehr schön gezeigt, dass es auch anders geht.
Rainer Midlaszewski war Mitglied der „AG Kritische Kulturhauptstadt“ und ist aktiv im Netzwerk „Recht auf Stadt – Ruhr“