Freitag 07.10.11, 08:17 Uhr
bsz-Bericht über den Piraten-Stammtisch

Viele ältere Männer


Hanno Jentzsch schreibt in der aktuellen bsz über die Bochumer Piratenpartei: »Wenn ich noch einen weiteren überflüssigen Artikel über die Piratenpartei lesen muss, werd ich politikverdrossen!“, wetterte ich noch unlängst auf Facebook. Dann rief mich die Redaktion der WAZ an: Die Bochumer Piraten machen ihren ersten Stammtisch seit der Berlinwahl, die Presse sei eingeladen, ich solle mir das mal anschauen. Na bravo, dann arbeite ich jetzt also höchstpersönlich an meiner Politikverdrossenheit. Dafür weiß ich jetzt: Die Bochumer Piraten haben mit ihren Berliner ParteifreundInnen wenig gemein. Vom Hype aus der Hauptstadt scheinen sie trotzdem profitieren zu können. Ein Augenzeugenbericht. „Normalerweise sind hier so fünf bis zehn Teilnehmer, in der Sommerzeit sogar noch weniger“, sagt Simone Brand aus dem Bochumer Piratenvorstand mit Blick auf den gut gefüllten Raum in der Studi-Kneipe Am Grunewald. Etwa 30 Menschen sind zum Stammtisch gekommen, zwei Drittel davon Neulinge.
Genau, zum Stammtisch: Die moderne, liberale Netzfreiheit- und Bürgerrechtspartei trifft sich unter dem spießigsten Motto, das in Deutschland möglich ist. „Das ist aber nicht nur bei uns in Bochum so“, sagt Brand. Und es schadet ja wohl auch nicht: In ganz NRW ist der Ansturm nach den Wahlerfolgen in Berlin ähnlich groß wie in Bochum. „Wir haben landesweit schon über 100 Neuanmeldungen“, sagt Monika Pieper, Kreisvorsitzende der Bochumer Piraten. Bundesweit liegt die Partei laut Umfragen bei mehr als sieben Prozent. Und wer kommt da so? „Viele ältere Männer“, so Pieper. Tatsächlich sind die Bochumer Piraten und ihre Neulinge nicht gerade ein Jugendclub. Der jüngste Pirat am Tisch – er ist erst 15 – hat inzwischen seinen Papi zum Stammtisch überredet. Studierende sind deutlich in der Minderheit. Immerhin: Trotz des deutlichen Männerüberschusses sitzen im 5-köpfigen Bochumer Vorstand zwei Frauen.
Heiko Wach und unimatrixzero, der eigentlich Uwe heißt, sind zum ersten Mal da – weil sie sich zwar für Politik interessieren, aber nichts mit der bisherigen Parteienlandschaft anfangen können, sagen sie. Unimatrixzero war sogar mal in der SPD. „Danach wollte ich eigentlich nie wieder was mit Politik am Hut haben.“ Die beiden mittelalten Männer wollen sich engagieren, klar. Aber Avantgarde sieht anders aus.

Berlin ist weit
Die Frage, was der Bochumer Stammtisch mit den Berliner Piraten zu tun habe, beantwortet Monika Pieper einfach: „Eigentlich nicht viel.“ Die programmatischen Grundsätze seien zwar gleich, aber: „Die konkreten Ableitungen aus diesen Grundsätzen können sich je nach Ortsgruppe extrem unterscheiden.“ Die Berliner seien sicher „mehr links“. Bedingungsloses Grundeinkommen, Streichung von Kirchenprivilegien, sexuelle Selbstbestimmung – mit solchen Themen haben die Hauptstadt-Piraten einen sehr offensiven Wahlkampf gemacht. Die Bochumer Piraten hätten wahrscheinlich andere Schwerpunkte gesetzt. Mit dem „extrem linken Spektrum“ habe sie so ihre Probleme, sagt Monika Pieper. Die alte links/rechts-Dichotomie interessiere Piraten ansonsten nicht. Piepers Vision: „Ich will eine Politik, die sich nur an Sachfragen orientiert und offene Koalitionen zulässt.“ Dennoch: Ob der vegane Berliner Café-Chef, für die Berliner Piraten nun im Senat, bei den Bochumer ParteifreundInnen am Grunewald seine politische Heimat finden würde, ist doch sehr fraglich, oder? Monika Pieper trotzig: „Ein Grüner aus Friedrichshain und der Kretschmann aus Baden-Württemberg haben ja auch nicht viel gemein.“
Ebenso trotzig fällt die Reaktion auf den Vorwurf aus, das Piratenprogramm sei „eindimensional“ oder „unausgegoren“. Klar habe man noch nicht viel Konkretes beispielsweise zu ökonomischen Fragen formuliert, aber: „Die Floskeln der etablierten Parteien sind noch allgemeiner als unsere Visionen“, so Christian Lange, der ebenfalls im Bochumer Piraten-Vorstand aktiv ist. Das Programm zur Landtagswahl 2010 sei „stellenweise mit der heißen Nadel genäht“, räumt der Bochumer Vorstand selber ein. Mit der Ausarbeitung des neuen Programms wolle man sich daher mehr Mühe geben. Es geht aber auch schon ganz konkret: In Bochum sind einige Piraten derzeit im so genannten Open-Data-Arbeitskreis aktiv. Ziel ist es, in Absprache mit der Verwaltung und zusammen mit anderen politischen Gruppen ein BürgerInnenportal zu schaffen, auf dem man sich direkter als bisher über die Vorgänge in Stadt und Stadtverwaltung informieren kann.

 Moderne Protestpartei?
Wenn die Bochumer Piraten die Neulinge halten können, die ihnen die Berlinwahl ins Boot gespült hat, dann wohl eher wegen ihres eigenen, konservativeren Profils. Oder ist dies hier die Versammlung einer modernen Protestpartei, frage ich mit Blick auf den Bochumer Stammtisch. „Uns und den Berlinern ist gemein, dass wir die Nase konstruktiv voll haben“, sagt Monika Pieper. Bisher scheint für das sprunghaft angestiegene Interesse an den Bochumer Piraten indes noch zu stimmen, was die taz unlängst in Bezug auf die ganze Partei feststellte: „Die Piraten gelten zunächst deshalb für gut, weil die anderen schlecht sind.“«