Donnerstag 29.09.11, 13:13 Uhr
Rote Karte für SPD, CDU, Grüne und BOGESTRA

Roter Punkt für ein bisschen Mobilität


Der Bochumer Rat wird heute die Einführung eines neuen VRR-Tickets im Bochumer Stadtgebiet beschließen, das Menschen mit geringstem Einkommen ermöglicht, für 29.90 Euro im Monat in Bochum die Angebote des Naheverkehrs zu nutzen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Dreist ist allerdings, dieses Angebot Sozialticket zu nennen. Denn mit dem Begriff Sozialticket ist die Idee verbunden, Menschen, die materiell in unserer Gesellschaft ausgegrenzt sind, wenigstens die Chance zu eröffnen, mit ein bisschen Mobilität am sozialen Leben unseres Gemeinwesens teilnehmen zu können. Mit 29.90 Euro bleibt Mobilität für diese gesellschaftliche Gruppe aber Luxus. Die Sozialen Bewegungen im VRR werden auf das vorläufige Scheitern des Sozialtickets mit einer Rote-Punkt-Aktion reagieren. Menschen, die ein Monatsticket des VRR abonniert haben, das es erlaubt, nach 19.00 Uhr und am Wochenende andere Fahrgäste kostenlos mitzunehmen, sollen einen roten Button tragen. Sie werden damit signalisieren, dass sie sich für ein Sozialticket einsetzen und in der erlaubten Zeit andere Menschen einladen, kostenlos mit ihnen zu fahren.
Diese Aktion soll die Verkehrsbetriebe ökonomisch schädigen. Unternehmen wie die BOGESTRA mit ihrem Chef Rüberg an der Spitze waren in den letzten Monaten schließlich die übelsten GegnerInnen eines Sozialtickets. Sie sollen merken, dass ihre soziale Ausgrenzungsstrategie nicht den materiellen Erfolg bringt, den sie sich mit ihrem weitgehend unredlich geführten Kampf gegen das Sozialticket erhofft haben.
Die Rote-Punkt-Kampagne soll aber auch den politisch Verantwortlichen aufzeigen, dass es teuer sein kann, Wahlversprechen zu brechen. SPD und Grüne hatten vor der Kommunal- und Landtagswahl versprochen, ein Sozialticket einzuführen, das diesen Namen auch verdient. Als auf Landes- und VVR-Ebene die Signale Richtung VRR-Ticket gestellt wurden, versagten SPD und Grüne in Bochum auf ganzer Linie. Weder in der SPD noch bei den Grünen gab es eine einzige Stimme, die Rüberg in die Schranken verwies und daran erinnerte, dass der Rat der Stadt sich für ein Sozialticket auf VRR-Ebene ausgesprochen hat. Die BOGESTRA ist schließlich ein Tochterunternehmen der Städte Bochum und Gelsenkirchen. SPD und Grüne in Bochum machten überdeutlich, dass sie sich nicht ernsthaft für ein Sozialticket engagieren.
PolitikerInnen, die ein Sozialticket wirklich wollen, hätten Rüberg einfach in Rente geschickt. Der Mann wird schließlich noch in diesem Jahr 65.
Bochum spielt allerdings beim vorläufigen Scheitern des Sozialtickets nur eine kleine Rolle. Hauptakteure waren zwei ausgewiesene Machtpolitiker aus Dortmund. Mario Krüger (Grüne) und Ernst Prüsse (SPD). Die beiden sind gleichzeitig Fraktionsvorsitzende im Rat der Stadt Dortmund und im VRR. In Dortmund haben sie in der vergangenen Legislaturperiode als rot-grüne Koalition ein Sozialticket für 15 Euro eingeführt. Nach der Kommunalwahl hat die SPD die Grüne in Dortmund ziemlich ausgetrickst und eine Koalition mit der CDU vereinbart. Das Sozialticket wurde faktisch abgeschafft, d. h. es kostet seit letztem Jahr mehr als 30 Euro. Die AbonnentInnen-Zahl sank von über 24.000 auf 7.700.
Im VRR bestimmte vor der Kommunalwahl eine schwarz-gelbe Mehrheit die Politik. Nach der Wahl gab es rechnerisch eine rot-grüne Mehrheit in der Verbandsversammlung des VRR. Doch Krüger und Prüsse, das ging halt nicht zusammen. Es kam schwarz-grün. Die Grünen versprachen der CDU, dass sie ihre Posten behalten dürfen und die CDU versprach ein Sozialticket mitzutragen. Es sollte am 1. 8. 2010 in seiner günstigsten Variante für 15 Euro eingeführt werden. So steht es in der Koalitionsvereinbarung vom Januar 2010. Dieser schwarz-grüne Deal sollte auch ein Signal für die Landtagswahl im Mai letzten Jahres sein.
Doch es kam anders als geplant: Die CDU konnte das Sozialticket in ihren eigenen Reihen nicht durchsetzen. Überraschender Weise führte die Landtagswahl zu einer rot-grünen Landesregierung. Ein unglaublicher Eiertanz im VRR begann.
Mario Krüger hatte sich verzockt. Die CDU hatte ihre Posten im VRR behalten und die Grünen standen leer da. Die SPD freute sich hämisch, wie die schwarz-grüne Koalition am Sozialticket scheiterte. Prüsse und andere GegnerInnen des Sozialtickets puschten die Kampagne der Verkehrsbetriebe gegen das Sozialticket.
Um Zeit zu gewinnen gab schwarz-grün im VRR ein Gefälligkeitsgutachten bei dem einschlägig bekannten Institut IVV in Aachen in Auftrag. Diese Firma hatte auch schon die geschönten Verkehrsprognosen geliefert, um den Weiterbau der DüBoDo in Bochum durchzusetzen. Auch dieses Mal lieferte IVV das gewünschte Ergebnis ab: Ein Sozialticket ist unbezahlbar! Dass die Ergebnisse der Studie im eklatanten Widerspruch zu allen Erfahrungen mit bereits funktionierenden Sozialtickets stehen, kümmerte die Aachener ExpertInnen nicht. IVV und VRR weigerten sich, die vollständige Studie zu veröffentlichen und sie damit einer wissenschaftlichen Kritik zugänglich zu machen. Eigentlich war das Thema Sozialticket im VRR damit erledigt.
Doch es gab ja jetzt eine rot-grüne Minderheitsregierung in Düsseldorf und die hatte sich darauf geeinigt, die Einführung von Sozialtickets zu fördern. 30 Millionen Euro wird es hierfür jährlich in NRW geben. Für RuhrgebietskommunalpolitikerInnen ist es ziemlich unvorstellbar, dass es Geld aus Düsseldorf geben kann und man das nicht abgreift. Naheliegend wäre jetzt gewesen, dass schwarz-grün nun auf die Koalitionsvereinbarung vom Januar 2010 zurückgreift und erklärt, mit den inzwischen zusätzlich zur Verfügung stehenden Millionen aus der Landeskasse sei ein Sozialticket jetzt finanzierbar.
Allerdings hatten die Verantwortlichen in CDU, SPD und Verkehrsbetrieben die angeblich entstehenden Kosten für das Sozialticket in so schwindelerregende Höhen gerechnet, dass sie kaum noch zu einer realistischen Betrachtungsweise zurück konnten. Und wie häufig bei solchen politischen Machtkämpfen tritt nun die denkbar schlechteste Lösung in Kraft: Das 30-Euro-Ticket ist betriebswirtschaftlich für die Verkehrsbetriebe eine Katastrophe. Die ursprünglich mit dem Sozialticket beabsichtigte Wirkung, Menschen mit wenig Geld zu etwas mehr Mobilität zu verhelfen, wird so gut wie gar nicht erreicht.
Das Beispiel Dortmund hat gezeigt, dass ein Ticket für 30 Euro im wesentlichen nur für diejenigen Menschen interessant ist, die bereits ein VRR-Ticket im Abo nutzen. Dies sind in erster Linie AufstockerInnen, also Beschäftigte, die so wenig verdienen, dass sie zusätzlich Hartz IV bekommen und das Ticket benötigen, um zur Arbeit zu kommen. Schließlich gibt es auch viele Menschen, die sich ein Ticket eigentlich gar nicht leisten können, aber es abonnieren, um z. B. Angehörige betreuen zu können. Sie werden häufig von den Angehörigen finanziell unterstützt, um den Weg zu ihnen zu ermöglichen. Diese Ticket-UmsteigerInnen bedeuten für die Verkehrsbetriebe fast 20 Euro Verlust pro 30 Euro-Ticket im Monat. Dies wird durch die Landeszuschüsse bei weitem nicht ausgeglichen.
Betriebswirtschaftlich wird ein Sozialticket dann interessant, wenn es neue KundInnen als AbonnentInnen bringt. Wenn also zusätzliche Einnahmen erzielt werden, für die keine zusätzlichen Ausgaben entstehen. Dies ist mit einem 30-Euro-Ticket aber ausgeschlossen. Ein Preis von mehr als 15 Euro ist für Menschen, die von Hartz IV leben müssen, schlicht und ergreifend Luxus.
Die Bosse in den Verkehrsbetrieben wissen natürlich ganz genau, welches finanzielle Desaster das 30 Euro-Ticket für sie bedeutet. Das nehmen sie aber lächelnd in Kauf. In 15 Monaten können sie sich schließlich hinstellen und vorrechnen, dass das, was sie dreist ein Sozialticket nennen, nicht bezahlbar ist.
Dass PolitikerInnen in 15 Monaten so viel lernen und begreifen, dass sie die Konsequenz ziehen, ein Sozialticket einzuführen, das den Namen auch verdient, ist unwahrscheinlich. Es sei denn, mehrere Millionen VRR-KundInnen tragen dann den roten Buttons. Der Rote Punkt könnte auch an Japan erinnern, an Fukushima und dass plötzliche Lernprozesse auch in der Politik passieren können…