Montag 25.07.11, 21:23 Uhr
Die BSZ fragt: Semesterticket ja, Sozialticket nein?

Das Scheitern der Sozialpolitik


In der am kommenden Mittwoch erscheinenden Bochumer Stadt- und Studierenden Zeitung (BSZ) stellt Rolf van Raden einen Vergleich des Erfolgs „Semesterticket für Studierende“ und des Flops „Sozialticket im VRR“ an: »Der öffentliche Personennahverkehr an Rhein und Ruhr ist ein Politikum. Seit Jahren kämpft ein Bündnis aus Gewerkschaften und Sozialverbänden für ein Sozialticket, das sich auch Hartz-IV-EmpfängerInnen leisten können. Auf dem Papier haben sie einen Erfolg erzielt – aber wahrscheinlich nur dort. Studierende betrifft das erstmal weniger – sie fahren mit dem Semesterticket zum sehr günstigen Festpreis. Möglich ist das durch ein ausgeklügeltes Solidaritätsmodell. Weniger als 24 Euro pro Monat für ein Ticket, das in ganz NRW uneingeschränkt im Nahverkehr gilt – wie geht das? Viele gehen davon aus, dass das Ticket durch Steuergelder subventioniert wird. Das ist jedoch falsch. In das Semesterticket fließt kein Cent mehr öffentliches Geld als in jedes teuer erkaufte Ticket aus dem Automaten. Stattdessen ist der Preis das Ergebnis von freien Verhandlungen zwischen den Verkehrsverbünden und den Studierendenvertretungen. Dass die Studierendenschaften so gute Preise aushandeln können, liegt an der Menge der Tickets, um die es geht: In NRW gibt es eine halbe Million Studierende. Dadurch ist das Semesterticket die größte Einnahmequelle der Verkehrsbünde, mit der sie fest kalkulieren können. Würden die Studierendenschaften den Vertrag aufkündigen, wäre das eine Finanzkatastrophe für den VRR.
Die gute Verhandlungsposition ergibt sich dadurch, dass alle Studierende das Günstig-Ticket mitbezahlen. Es kommen also auch diejenigen nicht drumherum, die sich ein Auto leisten können. Dieses Solidarprinzip sorgt für die niedrigen Preise – und auch dafür, dass sich das Ticket selbst für GelegenheitsnutzerInnen lohnt. Eine Einzelfahrt kostet in der VRR-Preisstufe E ab kommenden Januar zum Beispiel ganze 15,50 Euro. Mit dem 24-Euro-Semesterticket kann man weiter fahren – und natürlich nicht nur einmal, sondern den ganzen Monat lang.
Das alles lässt den Sozialticket-Streit noch peinlicher aussehen als sowieso schon. Die Idee hinter dem Fahrschein, den Gewerkschaften und Sozialverbände seit Jahren fordern, ist eigentlich ganz einfach: Weniger als 23 Euro pro Monat sind im Hartz-IV-Regelsatz für Mobilität vorgesehen. Also müsste es für die Betroffenen auch ein Monatsticket zu diesem Preis geben. Bisher bezahlen sie selbst für ein Monatsticket in der Preisstufe A1, mit der man tagsüber noch nicht mal von Bochum nach Essen oder Dortmund kommt, knapp 60 Euro. Trotz eines Beschlusses, ein Sozialticket bereits im Sommer 2010 einzuführen, gibt es das Ticket bis heute nicht. Immer neue Ausreden und Begründungen führten die VRR-Verantwortlichen ins Feld. Jetzt geht die Farce in eine neue Runde: Zwar veröffentlichte der VRR nun Preise und Bedingungen für das Ticket, die im Vergleich zum Semesterticket übrigens überhaupt nicht sozial sind (29,90 Euro pro Monat für ein Ticket nur der Preisstufe A). Aber selbst dieses verschlechterte Angebot wird wohl fast überall ein Papiertiger bleiben: Städte wie Oberhausen, Mülheim und Wuppertal haben bereits wegen der angeblichen Kosten abgewunken. Und auch die Verantwortlichen in Bochum sagen, dass das Ticket nicht kommen könne – wegen einer Formalie. Die Stadt Bochum ist praktisch pleite und befindet sich in einem Nothaushalt. Ihr ist es daher verboten, Aufgaben zu übernehmen, zu denen sie nicht gesetzlich verpflichtet ist. Zwar gibt es für das Sozialticket einen Zuschuss vom Land NRW, aber nicht pauschal für das Sozialticket-Projekt, sondern pro einzelnem Ticket. Auf Mehrkosten bliebe die Stadt sitzen, deswegen schiebt die Bezirksregierung den Riegel vor. LokalpolitikerInnen wollen die Landesregierung deswegen jetzt davon überzeugen, diese Zuteilungsregeln zu ändern. Das ist allerdings ein sehr dünner Strohhalm, an den sich die Hoffnungen klammern.
Das Aktionsbündnis für ein Sozialtickets wird auch von der Studierendenvertretung der Ruhr-Uni, also dem AStA unterstützt. „Es ist ein Armutszeugnis, dass die Politik es nicht schafft, eine solche Mindestform von sozialem Ausgleich zu organisieren“, sagt Jan Keitsch vom AStA. „Unter Hartz-IV-EmpfängerInnen gibt es keine Wohlhabenden, die das Ticket solidarisch mitfinanzieren könnten. Deswegen ist es richtig, dass dafür im Gegensatz zum Semesterticket auch Steuergelder eingesetzt werden. Langfristig wäre es aber aus sozial-, verkehrs- und klimapolitischen Gründen der richtige Ansatz, die Finanzierung des ÖPNV auf ein Solidarmodell für die gesamte Gesellschaft umzustellen“, sagt Keitsch. Die positiven Erfahrungen mit dem Semesterticket zeigten zumindest, dass solche Modelle auch für hunderttausende Menschen denkbar sind.«