Mittwoch 09.03.11, 13:51 Uhr

Sonntagsöffnungen konsequent ablehnen!


Gudrun Müller, Geschäftsführerin von ver.di Bochum-Herne hat in einer Stellungnahme recht deutliche Worte zu der Fülle von SPD und CDU geplanten verkaufsoffenen Sonntagen in Bochum gefunden. Sie erinnert an den gestrigen internationalen Frauentag und dass in erster Linie Frauen als Beschäftigte Opfer der Sonntagsverkäufe sind: „Wenn die schönen Reden der Politik für Gleichberechtigung und gerechte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft ernst gemeint sind, dann können die Ratsmitglieder am 9. März 2011 in der Ratssitzung die Vorlage zu den Sonntagsöffnungen konsequenterweise nur ablehnen.“ Der ganze Brief im Wortlaut:
„In den Ruhr-Nachrichten v. 03.03.11 war zu lesen, dass u.a. die Gewerkschaften aufgefordert sind, zu den geplanten „Sonntagsöffnungen“ der Stadt Bochum Stellung zu nehmen. Dieser Aufforderung komme ich gerne nach. Die Stadt Bochum plant für das laufende Jahr an 13 Sonntagen die Freigabe der Ladenöffnungszeiten. In der Konsequenz der aktuellen Ratsvorlage werden die Ratsmitglieder über mehr als 30 Ausnahmegenehmigungen – verteilt über einzelne Stadtteile – zu entscheiden haben.
Ich erspare mir an dieser Stelle eine umfassende rechtliche Bewertung – diese hat eigentlich die Verwaltung bzw. die Bochumer Politik im Vorfeld zu leisten. Ich weise lediglich auf zwei offenkundige Widersprüche hin: 1. Das Ladenöffnungsgesetz (LÖG NRW) erlaubt die Ladenöffnung an „… jährlich höchstens 4 Sonn- oder Feiertagen …“. – Die Ratsvorlage sieht dagegen 13 Sonntage vor.
2. Das Ladenöffnungsgesetz formuliert in § 6(3): „Die Freigabe kann auf bestimmte Ortsteile beschränkt werden.“ – Die Ratsvorlage enthält dagegen eine extreme Ausweitung.
Neben der rechtlichen Betrachtung halte ich den Blick auf die Arbeitsbedingungen der im Einzelhandel Beschäftigten für unverzichtbar und entscheidungsrelevant. Nach meinem Eindruck spielten in der Vergangenheit die Arbeits- und Lebensbedingungen der Kolleginnen und Kollegen des Einzelhandels bei den politischen Beschlüssen vor Ort leider kaum eine Rolle. Scheinbare ökonomische Interessen wurden und werden vorrangig bedient. Der Glaube, dass durch Sonntagsöffnungen sich mehr Umsatz generieren ließe, dass dadurch mehr Arbeitsplätze geschaffen oder zumindest gesichert würden, hat sich längst als Trugschluss herausgestellt.
Der deutsche Einzelhandel ist gekennzeichnet durch beispiellosen Wettbewerb, der in der Folge zu unvorstellbarer Konzentration, zu Insolvenzen und Betriebsschließungen in der Branche führt.
Untersuchungen belegen, dass die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten zu keinem positiven Beschäftigungseffekt geführt hat. Ganz im Gegenteil: Die unbegrenzt mögliche Ladenöffnung führt zwangsläufig zu extrem veränderter und auch abgeforderter Flexibilität der im Einzelhandel arbeitenden Menschen. Mittlerweile sind hier weniger als 42 % der Beschäftigten in Vollzeit. Dagegen überwiegen Zwangsteilzeit, geringfügige Beschäftigung (400-Euro-Kräfte) sowie befristete Arbeitsverhältnisse – und das oftmals bei untertariflicher Bezahlung zu Dumpinglöhnen. Verstärkt werden inzwischen auch Leiharbeitnehmer im Einzelhandel eingesetzt. Dies alles führt regelrecht zur Verarmung großer Teile der Einzelhandelsbeschäftigten.
Die wenigsten Betriebe haben Betriebsräte, sodass der Willkür kaum Grenzen gesetzt werden können. Von den Beschäftigten wird erwartet, alles Private zurückzustellen. Unter dem Druck und der Sorge um den Arbeitsplatz und um den Verlust des Einkommens funktionieren die Beschäftigten „bereitwillig“. Die Sonntagsarbeit im Einzelhandel verstärkt zusätzlich unverhältnismäßig die Belastungen.
An dieser Stelle muss kritisch hinterfragt werden, welches öffentliche Interesse die Vielzahl der geplanten Sonntagsöffnungen rechtfertigen könnte. Die Versorgung der Bevölkerung mit Waren kann es sicher nicht sein! Ich kann somit anlässlich eines Frühlingsfestes, einer Frühlingskirmes, eines Wein- oder Herbstfestes usw. das öffentliche Interesse absolut nicht erkennen. Beschäftigte im Einzelhandel haben auch keine Unterhaltungsfunktion für die Bevölkerung zu erfüllen. Das Erlebnisbedürfnis der Bochumerinnen und Bochumer kann und muss durch das Fest als solches befriedigt werden.
Vereinzelt haben Ratsmitglieder in der Vergangenheit bemerkt, dass Sonntagsöffnungen eigentlich keinen Sinn machen. Auch Einzelhändler stellen fest, dass erhöhte Kosten in keinem Verhältnis zu den realisierten Umsätzen stehen. Trotzdem machen diese Betriebe mit. „Wenn wir nicht mitmachen, gehen die Kunden in die Nachbarstadt.“ wird als Begründung angeführt. Diese Konkurrenz wird aber auf Dauer nur den Großen nutzen. Die können trotz geringerer Wirtschaftlichkeit und aufgrund anderer Kalkulationen viel länger durchhalten und schöpfen am Ende auch mehr Kaufkraft ab. Das gilt auch für ganze Städte. Ob der Bochumer innerstädtische Einzelhandel – in Konkurrenz zum Ruhrpark einerseits und in Konkurrenz zu den Nachbarstädten Dortmund und Essen andererseits – auf Dauer hier gewinnen kann, darf bezweifelt werden. Insofern stellt sich die Frage, wie sich Bochum alternativ aufstellt, um die Attraktivität der Innenstadt und des Einzelhandels zu stärken. Hier sind mutige Entscheidungen gefordert.
Auch in Bochum sind mehr als 75 % der Beschäftigten im Einzelhandel Frauen. Nach wie vor ist es gesellschaftliche Realität, dass Frauen weitgehend zuständig sind für die Funktionsfähigkeit der Familien. Die Frauen im Einzelhandel sind angesichts der ungünstigen (grenzenlosen) Arbeitszeiten ganz besonders hart von Doppel- und Mehrfachbelastung betroffen. Für viele ist der Sonntag der einzige freie Wochentag.
Dieser darf nicht den wirtschaftlichen Interessen Weniger und dem Wunsch nach unbeschwertem Vergnügen der Bevölkerung geopfert werden. Am 8. März 2011 feiern wir den 100. Internationalen Frauentag. Wenn die schönen Reden der Politik für Gleichberechtigung und gerechte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft ernst gemeint sind, dann können die Ratsmitglieder am 9. März 2011 in der Ratssitzung die Vorlage zu den Sonntagsöffnungen konsequenterweise nur ablehnen. In diesem Sinne bitte ich herzlich um umfassende und sachgerechte Überprüfung der Vorlage der Verwaltung.“