Freitag 02.07.10, 07:00 Uhr
Die strafrechtliche Relevanz einer Backware oder auch ...

…das Gewaltpotential einer Torte 1


Das Bochumer Friedensplenum schreibt: „Am 21. Juli hat die politische Strafjustiz in Bochum erneut über die strafrechtliche Relevanz einer Backware zu entscheiden. Das Amtsgericht verhandelt im sogenannten Tortenprozess ein zweites Mal über ein Plakat, mit dem im Oktober 2008 in Bochum hundertfach zum Widerstand gegen einen volksverhetzenden Aufmarsch der NPD „gegen Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität“ aufgerufen wurde. Bo-alternativ.de dokumentierte das Plakat – ein mit einer Torte einherstolperndes Strichmännchen mit der Unterschrift „Kein Zuckerschlecken für Nazis, 25.10.08, Naziaufmarsch verhindern“. Die Anklage der Staatsanwaltschaft, die in der Karikatur die Comicfigur Bomberman erkannte und dem verantwortlichen Redakteuer von bo-alternativ.de deshalb umstandslos vorwarf, er rufe damit öffentlich zur Gewalt und zur gewaltsamen Verhinderung der Nazidemonstration auf, fiel in der ersten Runde vor dem Amtsgericht Bochum in sich zusammen: Selbst der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft mochte in der Karikatur weder objektiv noch subjektiv einen Gewaltaufruf sehen und auch auf seinen Antrag sprach der Richter frei. Anders als ihr Vertreter in der Strafverhandlung fand die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft in dieser Kopfsache den Freispruch gar nicht gut, war sich aber nicht sicher, bei einer Berufung zum Landgericht dort ein anderes Ergebnis zu erzielen und legte deshalb gleich Sprungrevision zum Oberlandesgericht ein. Der Strafsenat entschied, das Urteil des Amtsgerichts sei zu knapp begründet und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts, ohne für die 2. Runde einen erneuten Freispruch auszuschließen. Martin Budich hätte in Hamm auch eine Verfahrenseinstellung haben können, hätte dann jedoch seine Verfahrenskosten tragen müssen.
Politische Strafverfahren – so auch dieses – offenbaren gelegentlich mehr über den Zustand der Justiz, als dass sie der Wiederherstellung gesellschaftlichen Friedens mit dem scharfen Schwert des Strafrechts dienen würden. Dieselbe Staatsanwaltschaft, die mit possenhafter Beharrlichkeit durch mehrere Instanzen das Gewaltpotential einer Torte auslotet, nimmt es widerspruchslos hin, dass das seinerzeit zur Schau gestellte volksverhetzende Nazitransparent „Multikulti ist Völkermord“ als legitimer Beitrag im politischen Meinungskampf bewertet wird.
Mehrere tausend Menschen unterschrieben damals den Aufruf „Wir sind Bochum: Nazis sind es nicht“, 3000 versammelten sich auf dem Dr.-Ruer-Platz und in der Innenstadt, um den Nazis klarzumachen, dass sie und ihre verbrecherischen Ziele in Bochum unerwünscht sind. Zusammen mit dem Bochumer Friedensplenum und einem halben hundert Bochumer Organisationen: Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Jugendgruppen, hat Martin Budich auf bo-alternativ den Widerstand des demokratischen Bochum gegen die rechten Volksverhetzer kommunikativ mitgestaltet. Wie nicht anders beabsichtigt waren die Gegendemonstrationen entschlossen, gewaltfrei und friedlich. Das Bochumer Friedensplenum bekräftigt deshalb erneut: Wir in Bochum möchten in einer Stadt leben, in der Widerstand gegen Nazis selbstverständlich bleibt und nicht kriminalisiert wird. Das endlose Strafverfahren gegen Martin Budich ist auch ein Affront gegen den Protest des demokratischen Bochum. Damit muss am 21. Juli endlich Schluss sein: mit einer Bestätigung des Freispruchs!


Ein Gedanke zu “…das Gewaltpotential einer Torte

  • Jakob Spatz

    Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang die über zehn Jahre, seit dem „Aufstand der Anständigen“, hinweg durchgehaltene Praxis des Bundesverfassungsgerichts, zum einen polizeiliche Verbote von Naziaufmärschen aufzuheben und zum anderen der Polizei als Pflicht aufzuerlegen, Naziaufmärsche immer und unter allen Umständen und mit nahezu allen Mitteln, in jedem Fall jedoch zu jedem Preis durchzusetzten. Finanzieller Aufwand, die Rechte der AnwohnerInnen und GegendemonstrantInnen seien dem angeblichen Recht der Nazis auf Zusammenrottung unterzuordnen.

    Faktisch hat das oberste Gericht damit über Jahre hinweg ein Recht auf Rassismus und Antisemitismus etabliert. Es ist konsequent, in den auf Naziaufmärschen vertretenen Positionen nichts volksverhetzendes zu erkennen.

    Und die Polizei hat dieses angebliche Recht über Jahre hinweg öffentlich in Szene gesetzt. Warum sollte jemand Rassismus und Antisemitismus für verwerflich halten, der gesehen hat, wie die Polizei sich für Naziaufmärsche einsetzt und gegen GegendemonstrantInnen vorgeht? Wie würde ein politisch unbedarfter Mensch denn seine Frage, auf welcher Seite die Polizei denn steht, beantwortet finden?

    Dem gegenüber bleibt festzuhalten: Es gibt kein Recht auf Rassismus und Antisemitismus. Vielmehr ist es dem Staat auferlegt, gegen Rassimus und Antisemitismus vorzugehen.

    Vielleicht sollten Nazis ja einfach mal berechtigterweise damit rechnen müssen, von Herren und Damen mit weisser Mütze nach Hause geschickt zu werden statt von StaatsanwältInnen unberechtigter Weise Angst vor Strichmännchen eingeredet zu bekommen.

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