Dienstag 29.06.10, 19:00 Uhr
"Was machen wir, wenn der Krieg zu Ende ist?"

Erinnerungen von Rolf Abrahamsohn


In Anwesenheit von Rolf Abrahamsohn wurde heute sein Erinnerungsbuch Was machen wir, wenn der Krieg zu Ende ist?“ Lebensstationen 1925-2010 den Medien vorgestellt. Rolf Abrahamsohn gehört zu den wenigen deutschen Juden, die noch selbst über die Gewalterfahrungen der NS-Zeit berichten können. Der ihm aufgezwungene Weg führte von seiner Geburtsstadt Marl aus über die Judenhäuser in Recklinghausen in das Ghetto und Konzentrationslager nach Riga. Von dort wurde er 1944 über Stutthof und Buchenwald in das Außenlager des KZ Buchenwald in Bochum verbracht, wo er schwerste Zwangsarbeit für den „Bochumer Verein“ verrichten musste. Er überlebte und wurde schließlich in Theresienstadt von der Roten Armee befreit.
Rolf Abrahamsohn kehrte nach Marl zurück. In den Nachkriegsjahren war er maßgeblich am Aufbau der jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Recklinghausen beteiligt, deren Vorsitz er von 1978 bis 1992 inne hatte. Anlässlich seines 85. Geburtstags, den er im März dieses Jahres feiern konnte, legen das Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte und das Jüdische Museum Westfalen in Dorsten Rolf Abrahamsohns Lebenserinnerungen vor.
Die Leiterin des Stadtarchivs, Ingrid Wölk und Norbert Reichling, Leiter des Jüdischen Museums präsentierten heute zusammen mit Ludger Claßen vom Klartext-Verlag das Buch.
Sehr eindrucksvoll ergänzte dabei Rolf Abrahamsohns seine, über die Darstellung im Buch hinausgehende, Sicht der Dinge. So versucht er schließlich auch seit Jahren in seiner Erinnerungsarbeit mit Jugendlichen, den Schrecken der Shoa und die Gräuel der NS Zeit zu vermitteln, ohne alle grausamen Details auszubreiten. Das Buch ist so verfasst, dass es ohne tiefer gehende Geschichtskenntnisse und ohne Auseinandersetzung mit dem historischen Kontext verstanden werden kann. Es ist ein sehr lebendiges Zeitdokument, das aus Erzählungen des Autors und Interviews mit ihm zusammengestellt ist.
Welche Qualen die detaillierte Erinnerung dem Autor bereitet, ist dem Buch nicht anzumerken. Erst wenn man ihm gegenüber sitzt und ihm immer weitere Einzelheiten des Leidens einfallen, merkt man, warum Rolf Abrahamson erst 1978 anfangen konnte, über diese Erfahrungen zu berichten und warum er nicht mehr als zwei bis drei Vorträge und Diskussionen über die Vergangenheit mit Jugendlichen pro Jahr ertragen kann.
Gerade für die im Ruhrgebiet lebenden Menschen ist dieses Buch nicht nur zu empfehlen sondern geradezu Pflichtlektüre, um nicht nur die Vergangenheit sondern auch die Gegenwart zu verstehen.
Die auch in Bochum heftig geführte Auseinandersetzung mit den Nachfolgefirmen der NS-Industrie um die „Entschädigung“ der ZwangsarbeiterInnen, sowie die Tatsache, dass ein Mensch, dem so viel Leid zugefügt wurde, der über Jahre in Gettos und Konzentrationslagern in ganz Europa war und der nur durch einen Zufall überlebt hat, nach über 50 Jahren eine „Entschädigung“ von € 7500 bekam, mag dafür ein Beispiel sein.