Dienstag 05.01.10, 17:00 Uhr

Entgleisung im Bochumer Bahnhof


Wer häufiger Zug fährt, schaut im Internet vor der Abfahrt nach, wie die Züge so laufen – oder auch nicht. Heute war klar: Nichts geht nach Bielefeld. Ein Güterzug war hinter Hamm entgleist. Ob die Züge über Osnabrück oder über Paderborn umgeleitet werden, war im Internet nicht zu erfahren. Auch nicht welche Anschlüsse es dort evtl. gibt. Die einschlägigen Hotlines waren nicht erreichbar. Also auf zum Bahnhof, um dort an die Infos zu kommen. Auf die Frage, wie man denn jetzt am günstigsten nach Kirchlengern (25 Kilometer nördlich von Bielefeld) komme, sucht die Dame am DB-Schalter eine ganz normale Verbindung über Bielefeld raus. Auf die Mitteilung, dass die Strecke nach Bielefeld doch gesperrt sei, reagiert die DB-Bedienstete überrascht. Das wisse sie nicht. Sie könne auch keine weiteren Auskünfte geben, weil „das System nicht funktioniere“. Aber die Kollegen mit den roten Mützen auf den Bahnsteigen, die wüssten Bescheid.
Auf keinem Bahnsteig ist ein rot-bemützter Informierter zu finden. Zurück in die Bahnhofshalle. Im Durchgang zum Kino Metropolis versteckt sich eine Rotmütze. Er weiß immerhin, dass die Züge über Münster und Osnabrück umgeleitet werden. Ob sie in Osnabrück oder Minden halten, kann er nicht sagen. Er sieht sich auch nicht in der Lage, dies telefonisch in Erfahrung zu bringen. Der Mann steht offensichtlich kurz vor der Pensionierung und hat keine Vorstellung davon, welche Kommunikationsmöglichkeiten heute eigentlich normal sein sollten. Auf sechs verschiedene Fragen antwortet er: „Ich weiß nur, dass wir alle über Münster umleiten sollen.“ Er versichert glaubhaft, dass er kein Mobiltelefon hat.
Zurück zum Schalterbereich. Rechts neben den Schaltern wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass hier kein Durchgang ist. Ein Eindringen wird erwartet schwierig und nach wenigen Metern verwehrt. Der Wunsch, das Bahnhofsmanagement zu sprechen, wird aber akzeptiert. Aus dem Bahnhof raus, dann links um das Gebäude – vor dem Eingang zur Bundespolizei – dort ginge es zum Bahnhofsmanagement. In der Tat: eine Klingel mit der Aufschrift Bahnhofsmanagement ist hier angebracht. Die Tür ist verschlossen. Einmal…fünf Mal… nichts rührt sich. Dann öffnet sich die Tür und ein freundlicher Mensch verlässt das Gebäude. Das Management sei im zweiten Geschoss. So ist es auch ausgeschildert. Alle Bürotüren des Bahnhofsmanagements sind verschlossen. Alles macht den Eindruck, dass wirklich niemand da ist. Auch der Raum nebenan, der für die „Hygieneuntersuchung“ ausgewiesen ist, sowie die dazugehörigen Umkleidekabinen sind verwaist.
Zurück in die Bahnhofshalle. Die große Anzeigetafel lügt immer noch, dass es Züge gäbe, die über Bielefeld fahren. Vor einigen Jahren geisterte die Frage durchs Internet, ob es Bielefeld wirklich gibt. Die Frage ist inzwischen deutlich dahingehenden beantwortet, dass alles für die Existenz von Bielefeld spricht. Fraglich ist nur, ob im Bochumer Bahnhof jemand weiß, wie der Zug dahin fährt.
Mittlerweile meldet die Bahn auch auf ihrer Webseite, dass alle umgeleiteten Züge in Löhne halten und dass von dort aus Anschlusszüge bereit gestellt werden. Ich gehe noch einmal zum Schalter und frage den Kollegen rechts neben der Dame von vorhin, wie ich wohl jetzt am günstigsten nach Kirchlengern komme. Ich bekomme eine Fahrt über Hamm nach Bielefeld angeboten. Unser Dialog endet mit seiner sehr glaubwürdigen Versicherung, dass das System defekt sei und er leider nichts wisse.