Mittwoch 25.02.09, 14:00 Uhr

ARGE verschickte 2008 mehr als 1.500 fehlerhafte Bescheide


Die Unabhängige Sozialberatung schreibt: »In mehr als 1.500 Fällen hat die Bochumer ARGE im vergangenen Jahr Bescheide verschickt, die offensichtlich falsch waren. In einer Mitteilung an die Unabhängige Sozialberatung musste der Leiter der ARGE Withake einräumen, dass Widersprüche gegen Bescheide seiner Einrichtung in 423 Fällen teilweise und in 1084 Fällen sogar vollständig erfolgreich waren. Insgesamt waren damit fast die Hälfte (45 Prozent) der Widersprüche ganz oder teilweise erfolgreich. Die Anzahl der Klagen vor dem Dortmunder Sozialgericht lag in 2008 mit 886 um 14 % höher als im Vorjahr. Norbert Hermann von der Unabhängigen Sozialberatung ist davon überzeugt, dass die Zahl der fehlerhaften Bescheide erheblich höher liegt: „Viele Menschen haben natürlich Angst vor einem Konflikt mit der ARGE, die schließlich ihre Existenz sichern soll.“ Es gibt sogar eine Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit, mit der die MitarbeiterInnen der ARGE gezwungen werden, Druck auf Menschen auszuüben, die Widersprüche einlegen. Den Betroffenen soll die „Aussichtslosigkeit eines beabsichtigten Widerspruchs“ suggeriert werden.
Zwar versichert die ARGE, es gebe ihrerseits keine Bestrebungen, den verfassungsrechtlich eingeräumten Rechtsschutz zu beschneiden. Gleichwohl will sie darüber informieren, ob ein Rechtsstreit aus ihrer Sicht sinnvoll erscheint. „Dabei wird aber häufig gleich mit der Keule der sofortigen Einstellung aller Leistungen gedroht“ empört sich Norbert Hermann. „Auch haben wir in den mehr als vier Jahren unserer Arbeit immer wieder systematisches und vorsätzlich rechtsbrüchiges Verhalten seitens der ARGE erlebt. Wir fordern, dass vor Rücknahme eines Widerspruchs die Betroffenen auf die Möglichkeit einer Unabhängigen Beratung hingewiesen werden und dazu eine Frist von 14 Tagen eingeräumt wird. Dabei sind wir bemüht, alle Fragen zunächst durch eine einfache Beschwerde oder sogar nur ein Telefonat zu klären, wobei ein vorläufiger Widerspruch oftmals zur Rechtsabsicherung nötig ist.“«
Materialien der Unabhängigen Sozialberatung:
Die Zahlen im Einzelnen (Quelle: ARGE Bochum):
Anzahl der erhobenen Widersprüche: 3311
Anzahl der endgültig erledigten Widersprüche: 3653
Davon (von den erledigten Widersprüchen):
– vollumfängliche Stattgaben (ca. 30 %): 1084
– teilweise Stattgaben (ca. 12 %): 423
– Ablehnungen (ca. 54 %): 1961
auf andere Weise erledigt: 185

Anzahl der erhobenen Klagen (inkl. der Antrage auf einstweiligen Rechtschutz): 886
Anzahl der endgültig erledigten Klagen (inkl. der Anträge auf einstweiligen Rechtschutz): 704
Davon:

– durch Urteil oder Gerichtsbescheid vollumfänglich stattgegeben (ca. 3 %): 23
– durch Urteil oder Gerichtsbescheid teilweise stattgegeben: (ca. 2 %) 12
– durch Urteil oder Gerichtsbescheid abgewiesen (ca. 15 %): 104
– auf andere Weise erledigt: 565
davon
FäIle, in denen die ARGE zum Teil oder ganz nachgegeben hat (ca. 47 %): 333

Weitere Informationen:
ARGE teilt Zahlen mit (Übersicht ganz unten)

Auf unsere Anfrage hat die ARGE jetzt eine differenzierte Aufstellung der Widersprüche und Klagen mitsamt Erfolgsquoten für 2008 mitgeteilt. Dabei ist bei unverändert steigenden Zahlen mit einer Erfolgsquote um die 50 % zu rechnen.
Über mögliche Ursachen dieser Klageflut ist bereits vielfach berichtet worden. Nach einer unlängst veröffentlichten Befragung aller RichterInnen an Sozialgerichten und Landessozialgerichten halten 42 % der RichterInnen Bescheide im Verwaltungsverfahren für wenig sorgfältig und Widerspruchsbescheide für sachlich oder rechtlich unzulänglich. Des Weiteren merken sie an, dass die Träger der Hartz IV-Leistungen (ARGEn, „Jobcenter“…) „weder Organe der sozialen noch der kommunalen Selbstverwaltung zugeordnet sind“ und somit ein „bewährtes Korrektiv für eine Bürgerorientierung fehlt“.

(1) So hat sich zwischenzeitlich der Slogan gebildet: „Richtige Bescheide erhält man nur durch Widerspruch“.

In einigen Nachbarstädten finden regelmäßig Treffen von Arge-Verantwortlichen mit VetreterInnen der Stadt, von Wohlfahrtsverbänden und unterschiedlichen Beratungsstellen statt. Die Problem sind ähnlich wie bei uns: „Keine verbindlichen Aussagen, Zuständigkeits-Chaos, Ansprüche, die verneint werden, immer wieder werden (junge und alte) Menschen „Ohne Alles“ gelassen“ klagt Norbert Hermann von der Unabhängigen Sozialberatung. Dabei muss es – sozialstaatlich gedacht – immer kurzfristig eine Hilfe für jeden Menschen geben.
Große Sorge macht den Aktiven der „Unabhängigen Sozialberatung“ eine zwingend verbindliche Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit vom Herbst vergangenen Jahres (2):
Demnach sollen „organisatorische und fachliche Voraussetzungen“ geschaffen werden, die Betroffenen „nicht (mehr) … auf die Möglichkeit des Widerspruchs zu verweisen“. Kommt es zu einem Widerspruch, soll bereits vor Aufnahme des Widerspruchverfahrens eine Vorentscheidung getroffen werden, und die Betroffenen die „Aussichtslosigkeit eines beabsichtigten Widerspruchs“ suggeriert werden. Der rechtlich vorgeschriebene Widerspruchsbescheid soll verweigert werden, es sollen hingegen die Betroffenen zu einer Rücknahme des Widerspruchs bewegt werden.

Zwar teilt die ARGE mit, es gebe ihrerseits keine Bestrebungen, den den Hilfebedürftigen verfassungsrechtlich eingeräumten Rechtsschutz zu beschneiden. Gleichwohl will sie darüber informieren, ob ein Rechtsstreit aus ihrer Sicht sinnvoll erscheint. „Dabei wird aber häufig gleich mit der Keule der sofortigen Einstellung aller Leistungen gedroht“ empört sich Norbert Hermann. „Auch haben wir in den mehr als vier Jahren unserer Arbeit immer wieder systematisches und vorsätzlich rechtsbrüchiges Verhalten seitens der ARGE erlebt. Wir fordern, dass vor Rücknahme eines Widerspruchs die Betroffenen auf die Möglichkeit einer Unabhängigen Beratung hingewiesen werden und dazu eine Frist von 14 Tagen eingeräumt wird. Dabei sind wir bemüht, alle Fragen zunächst durch eine einfache Beschwerde oder sogar nur ein Telefonat zu klären, wobei ein vorläufiger Widerspruch oftmals zur Rechtsabsicherung nötig ist.“

„Die ARGE Bochum will´s wissen!“ Diskriminierung von SchülerInnen!

Ein weiteres Ärgernis beklagt Norbert Hermann von der „Unabhängigen Sozialberatung“: Nachdem es in der Vergangenheit schon Ärger gab wegen der Vorladung von Schülerinnen zur ARGE, sogar in der Schulzeit, und obwohl eine „frische“ Schulbescheinigung vorlag, hat die ARGE in diesen Tagen alle SchülerInnen der Abgangsklassen aus Hartz IV-Familien angeschrieben, um zu klären: „Wie geht es nach den Sommerferien weiter?“ (3) Das empfinden wir ebenso wie die Betroffenen als eine ungehörige Diskriminierung. Die SchülerInnen fühlen sich vorgeladen und vorgeführt. Um SchulabgängerInnen muß sich die Arbeitsagentur kümmern (und tut das hoffentlich auch!). Die ARGE hätte da eh nichts zu bieten außer – 1-Euro-Jobs. Mit ihrer Statistik für die unter 25jährigen kann sie nicht glänzen.

Info: Rücknahme von Widersprüchen:
Für die Rücknahme eines Widerspruchs gibt es ganz enge gesetzliche Grenzen. Wer einen Widerspruch zurück nimmt, sorgt dafür, dass der Verwaltungsakt gegen den er sich wehren wollte sofort vollstreckt werden kann. Außerdem verspielt er die Möglichkeit, die Entscheidung der ARGE später gerichtlich überprüfen zu lassen. Er bekommt keinen schriftlichen Widerspruchsbescheid und hat nichts in der Hand. Ob das, was der freundliche Mitarbeiter von der ARGE im Gespräch gesagt hat, auch nur annähernd den gesetzlichen Vorgaben entspricht, kann niemand mehr nachprüfen.
Dem Leistungsberechtigten bringt die Rücknahme also rein gar nichts. Wohl aber der ARGE: Sie muss keinen Widerspruchsbescheid erlassen und kann ihre Statistik schönen, denn zurückgenommene Widersprüche können nicht mehr überprüft werden und können entweder als nicht eingelegt oder als zurückgewiesen in der Statistik deklariert werden.
Das Widerspruchsverfahren ist (noch) kostenlos. Es können im Normalfall keine Nachteile entstehen, wenn jemand den Widerspruch nicht zurücknimmt.

(2) Fortlaufend anwachsende Klageflut in der Sozialgerichtsbarkeit? – Befunde, Erklärungen, Handlungsmöglichkeiten
AutorInnen: Prof. Dr. Armin Höland, Prof. Dr. Felix Welti, Sabine Schmidt
Quelle: Die Sozialgerichtsbarkeit; Erich Schmidt Verlag GmbH & Co., Berlin
Fundstelle: SGb 2008, 689-697

http://www.diesozialgerichtsbarkeit.de/aid/sgb_20081203/inhalt.html

(3) Die ARGE Bochum will´s wissen!
Anschreiben an jugendliche Kundinnen und Kunden
http://www.arge-bochum.de/index.php?id=166&tx_ttnews[tt_news]=212&tx_ttnews[backPid]=164&cHash=acb6f420b5