Pressespiegel zu der umstrittenen Lesung "‘S IST LEIDER KRIEG"
Montag 12.11.07, 23:50 Uhr

Zeit-Artikel vom 12.11.2007


DIE ZEIT

Politik trifft Kunst: Lammert liest – die Kritiker schäumen

Bundestagspräsident Norbert Lammert und Theatermacher Jürgen Flimm trugen im Bochumer Schauspielhaus unter dem Titel „’s ist leider Krieg“ Texte vor. Anlass genug für das Bochumer Friedensplenum, den Politiker als „Luzifer der Kultur“, „Paten der Hochrüstung“ und „Friedensheuchler“ zu betiteln.

Bochums Alt-Intendant Frank-Patrick Steckel hatte sich zwei Wochen vor der Lesung von Berlin aus zu Wort gemeldet und an das Theater appelliert, die Veranstaltung abzusagen. „Die Bühnen eines Schauspielhauses sind der Vorstellungskunst der Schauspieler vorbehalten – für die Heuchelei von Berufspolitikern und Kunstfunktionären ist da kein Platz“, hatte Steckel erklärt. In zwei offenen Briefen hatte er beide Vortragende zudem als „zweifelhafte Existenzen“ tituliert, deren Auftreten im Schauspielhaus „jede aufrichtige Theaterarbeit kontaminiere“.

„Politische Imagepflege“

Flimm, in den vergangenen drei Jahren Leiter des renommierten Kulturfestivals RuhrTriennale und seit Oktober 2006 Intendant der Salzburger Festspiele, musste sich vom Friedensplenum den Vorwurf gefallen lassen, er sei „Impresario“ für den Bundestagspräsidenten und sorge mit dem gemeinsamen Auftritt für „politische Imagepflege“ des Bochumer CDU-Bundestagsabgeordneten. Zwei große Transparente mit Zitaten von Bertolt Brecht wurden ausgerollt, dann setzten sich die etwa 40 Friedensfreunde zu den übrigen Zuschauern. Weder Lammerts Leibwächter noch die Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes mussten einschreiten.
Flimm wies zu Beginn vor etwa 200 Zuhörern darauf hin, dass die Lesung als Bestandteil der RuhrTriennale in enger Verbindung zu der Inszenierung „Courage“ stand, die im Rahmen des Festivals Uraufführung hatte und vom Leben einer Frau im 30-Jährigen-Krieg erzählte. Alle Texte, die Lammert und Flimm dann zu Gehör brachten, handelten von den Grausamkeiten des Krieges und den Hoffnungen auf Friedensschluss. Dabei erwies sich Lammert als exzellenter Rezitator. Nur zweimal wurden beide Protagonisten durch Zwischenrufe unterbrochen.

Lammert wehrt sich

Nach knapp zwei Stunden stellten sich Lammert und Flimm dann den Fragen der Zuschauer. Es waren fast ausschließlich Kritiker, die sich zu Wort meldeten. Lammert verteidigte seine Zustimmung zum Bundeswehr-Einsatz im Kosovo, weil sich dort „erneut ein Völkermord abgespielt“ habe. Im Übrigen outete er sich „als jemand, der sich länger mit Kunst als mit Politik befasst hat“. Den Vorwurf, als literaturbegeisterter Politiker nicht auf eine Theaterbühne zu gehören, wies er zurück.
Auch Bochums Intendant Elmar Goerden, der Lammert und Flimm eingeladen hatte, gab zu bedenken, dass schließlich auch Kulturschaffende wie Regisseure oder Intendanten auf der Bühne politisch agierten. Doch davon wollten die Mitglieder des Friedensplenums nichts wissen. Sie nannten Lammert „nicht glaubwürdig“ und warfen ihm vor, er sei kein Anhänger antimilitaristischer Friedenspolitik. „Hier steht kein Nelson Mandela auf der Bühne, sondern ein CDU-Politiker, der 1991 den Irak-Krieg gut geheißen hat“, polterte einer der Friedensbewegten kurz vor Ende der Veranstaltung.
Die Protagonisten auf der Bühne lasen übrigens Gedichte, Lieder, Briefe, Essays und Zeitzeugenberichte zum Thema Krieg – und Frieden.

ZEIT online, Tagesspiegel | 12.11.2007 23:50