Pressespiegel zu der umstrittenen Lesung "‘S IST LEIDER KRIEG"
Donnerstag 25.10.07, 08:10 Uhr

Berliner Zeitung vom 25.10.2007


Berliner ZeitungSTÖRENFRIED

Eure Bühne ist das Parlament

Ulrich Seidler
Wir wussten gar nicht, dass die im Ruhrgebiet auch einen Rolf Hochhuth haben: Der ehemalige Bochumer Intendant Frank-Patrick Steckel, hat einen offenen Brief an seinen Nachfolger geschrieben, an Elmar Goerden. Steckel bekundet mit rhetorischem Volldampf sein Missfallen daran, dass ein christdemokratischer Politiker und ein sozialdemokratischer Kulturfunktionär am Bochumer Schauspiel Friedensgedichte vortragen. Die beiden seien „Angehörige der kriegstreibenden Bundestagsparteien“, die auf einer öffentlich finanzierten Bühne nichts zu suchen hätten. Diese dürfe nicht zur Plattform für diejenigen werden, die den Frieden predigen und den Krieg schüren.“
Es handelt sich um „’s ist leider Krieg“, ein Gastspiel der Herren Norbert Lammert, Bundestagspräsident, und Jürgen Flimm, Leiter der Ruhrtriennale, bei der der Gedichtabend herausgekommen ist. Das wird eine nicht besonders kostspielige Produktion sein, mit der Goerden sein Haus sicher voll bekommt. Theaterwirtschaftlich ist das also vernünftig und nur weil das Bochumer Schauspiel öffentlich finanziert wird, darf man doch wohl vernünftig wirtschaften, oder?
Sind Lammert und Flimm Kriegstreiber, weil ihre Parteien dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan zugestimmt haben? Dieser Einsatz hat doch realpolitische Gründe, die – wenn man von der Linkspartei und der Grünen-Basis absieht – im Parlament Konsens sind. Friedensengel, als die sie nach einem Friedensgedichtabend dastehen, sind sie jedenfalls nicht.
Aber der Knackpunkt, der einen Theatermann wie Steckel wohl so aufbringt, liegt gar nicht im Faktischen, sondern im Trüglichen: Bühnen seien „der Verstellungskunst der Schauspieler vorbehalten – für die Heuchelei von Berufspolitikern und Kunstfunktionären ist da kein Platz. Der schöne Trug des Schauspiels wird erniedrigt,wenn neben ihm der hässliche Trug machtpolitischer Interessen Fuß fasst.“
Die Politik arbeitet mit den Mitteln des Schauspiels. Der Medienauftritt eines Politikers – und wenn er auch zufällig mal nicht im Fernsehen, sondern im Theater stattfindet – ist immer auch Realpolitik. Und wenn sich dieser Politiker an die Seite eines wichtigen Theateramtsinhabers stellt, ist das in der Tat eine unnötige Vermischung von Gewalten, die eigentlich geteilt sein sollten. So pingelig das klingt, und so sehr wir uns schon daran gewöhnt haben, dass Politik und Öffentlichkeitsarbeit Hand in Hand gehen – es ist ab und zu ganz hygienisch, wenn jemand mal hineinschreit in diesen deklarierten Kuschelfrieden. Und es ist eigentlich auch ganz hübsch, dass ausgerechnet Lammert ausgeschimpft wird, der vor Kurzem seinen Politikerkollegen zu Fernsehabstinenz riet.

Quelle: www.berlinonline.de