Brief der Unabhängigen Sozialberatung an Interessierte
Mittwoch 01.08.07, 08:00 Uhr

Arme Kinder in Bochum – da ist Hilfe 1. Bürgerpflicht!


Unabhängige Sozialberatung
– Beratungs- Beschwerde- und Ombudsstelle für Erwerbslose –
Rottstr. 31, 44793 Bochum, Tel.: 0234 – 460 169; Fax: – 460 113; e-mail: Sozialberatung@sz-bochum.de; Hilfestunden: Dienstag: 16.00 – 18.00; Donnerstag: 11.00 – 13.00 Uhr (Tel. dann: – 5 47 29 57)

Anschreiben an alle Interessierten, insbesondere:
DGB Ruhr-Mark, Ver.di, GEW, SoVD, VdK, Kinderschutzbund, Ev. Sozialpfarramt, Ratsfraktion die Linke, Ratsfraktion Soziale Liste, SOZIALFORUM, Mieterverein

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
bitte erlaubt uns wegen der ausufernden (freiwilligen) Arbeitsbelastung dieses allgemeine Anschreiben.
Die Liste der AdressatInnen mag vielleicht verwundern. Das Thema geht aber alle an, denen Bochum als „Soziale Stadt“ am Herzen liegt. Selbst die beiden Sozialverbände VdK und SoVD haben eigene Aktivitäten im Kinder- und Jugendbereich. Zudem hängt das Wohl von uns allen im Alter auch davon ab, was wir den jungen Menschen auf den Weg gegeben haben. „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“. Eigene Interessen und soziales Engagement decken sich gerade hier! So gesehen müssen sich noch viel mehr Menschen hier einsetzen, wir denken nur an Schulen, KinderärztInnen und ErzieherInnen. Vergessen werden soll hier aber auch nicht die zunehmende Altersarmut, die in Bochum zu einem stark überproportional gewachsen Anteil von SeniorInnen an der Kleinkriminalität geführt hat (pers. Mitteilung des Seniorenbeauftragten der Bochumer Kriminalpolizei).
Zur Zeit läuft bundesweit an vielen Orten wieder verstärkt die Kampagne „Reiches Land – arme Kinder“. Arme Kinder brauchen mehr für Schulessen, Schulbedarfe und Weiteres.

Und zwar nicht als Almosen, sondern als Pflichtleistung.
Wir sind in Bochum in der glücklichen Lage, dass neben einem breiten Bürgerengagement auch im Stadtrat und seinen Ausschüssen einige Menschen vertreten sind, die soziale Anliegen unterstützen. Die Ratssitzung in der letzten Augustwoche und die Sitzung der Sozial- und Schulausschüsse im September bieten Gelegenheit, hier zu Beschlüssen zu kommen. Wir denken, dass eine gute Lösung allen Parteien am Herzen liegt. Wir wollen helfen, Wege dahin aufzuzeigen.

Ausufernder Sozialhaushalt?
Abgesehen davon, dass eine solche Einschätzung natürlich auch etwas aussagt über das, was politisch gewollt (besser: nicht gewollt) ist: das stimmt so auch nicht. Zwar ist der Sozialhaushalt über die Jahre nominell stetig gewachsen, sein Anteil am gesamten kommunalen Haushalt ist aber sehr konstant geblieben (bundesweite Relationen, Bochumer Zahlen liegen hier nicht vor). Und das obwohl die Aufgaben immens zugenommen haben: die Kosten für die (Alten-) Pflege dürften in Bochum Jahr um Jahr in einer Größenordnung von bis zu einer Million wachsen, seit Beginn der 90er Jahre ist auch in der genuinen Sozialhilfe und in der Grundsicherung für Alte und nicht Erwerbsfähige durch die Zuwanderungen aus dem Osten Deutschlands und Europas eine wachsende Zahl Anspruchsberechtigter festzustellen. So gesehen sind die Sozialhaushalte bei weitem unterfinanziert. Für „klassische“ Bereiche fehlt das Geld.

Fragliche Haushaltsgenehmigung durch den RP?
Es wird immer wieder argumentiert, zusätzliche freiwillige Leistungen würden nicht genehmigt. Wir fordern auf, zu überprüfen, wie die Leistungen für Kinder als Pflichtleistungen dargestellt werden könne, und wollen hier Hinweise dazu geben:
Es ist mittlerweile keine Frage mehr, dass das Arbeitslosengeld II mit seinen (Kinder-) Regelsätzen und dem Ausschluss einmaliger (Not-) Beihilfen nicht verfassungskonform ist. Das Bundessozialgericht (BSG) und das Landessozialgericht (LSG) haben allerdings den Konflikt mit dem Gesetzgeber gemieden und Zuflucht genommen zum Auffangparagraf 73 SGB XII (BSG 7. 11. 2006 in der Frage der Kosten der Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses, LSG NRW 22.6. 2007 in der Frage hoher Krankheitskosten). Begründung u.a.: BezieherInnen von Sozialhilfe- und Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII erhalten diese einmaligen Beihilfen noch, eine Ungleichbehandlung ist nicht rechtens.
Voraussetzung ist: es muss „eine atypische Bedarfslage angenommen werden, die die Anwendung des § 73 SGB XII (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) rechtfertigt, … ohne dass die Norm zur allgemeinen Auffangregelung für Leistungsempfänger des SGB II mutiert. Erforderlich ist nur das Vorliegen einer besonderen Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist …“.
Ebenso wie in der Frage der Kosten der Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses und in der Frage hoher Krankheitskosten handelt es sich bei den Bedarfen für Kinder um eine atypische Bedarfslage. Schließlich sind die Regelsätze ermittelt durch eine Erhebung bei den ärmsten 20 Prozent der Gesellschaft, das sind in hohem Anteil RentnerInnen. Kindgemäße Bedarfe fallen da nicht an. Die Regelsätze für Kinder sind daraus einfach mit 60 % festgesetzt. Es muss folglich zu eine „atypischen“ Mangel kommen. Dazu reicht aus die Nähe zu der im § 73 SGB XII geregelten Bedarfslage in „sonstigen Lebenslagen“. Die Einrichtung des „Härtefonds“ beruht gerade auf einem Anerkenntnis dieser Mangelversorgung.

Dortmund zahlt – andere noch mehr. Und Bochum?
Die Stadt Dortmund übernimmt komplett den Eigenanteil bei den Schulbüchern für arme Kinder. Oldenburg zahlt vorab 50 Euro jährlich für Lernmittel (zusätzlich zu den Schulbüchern), der Landkreis Dahme-Spreewald hat zur Einschulung eine einmalige Zuwendung in Höhe von 80 Euro eingeführt. Gute Beispiele gibt es viele.
„Kinder haben ein Recht auf Teilhabe und Gestaltung ihres Lebens. Sie dürfen nicht nur auf die Rolle der Empfänger von Wohltaten beschränkt bleiben“, sagte der Vorsitzende des internationalen Kinderhilfswerks World Vision, Wilfried Reuter, auf der Weltfriedenskonferenz in Bochum (WAZ 2. 7. 2007). Darum ist weitestgehend der Versuch zu unternehmen, die nötigen Leistungen als Pflichtleistung zu erbringen. Aufgaben für Wohltätigkeit werden genügend bleiben: Schulessen, Schokoticket, Sportvereine, usw. sind für arme Kinder unerschwinglich, selbst die ermäßigten Preise des „Bochum-Pass“ (Vergünstigungsausweis) für Stadtbücherei, Musikschule, Schwimmbäder, Theater … sind nicht aufzubringen.