Radio El Zapote am 23.10.2006, 21.05 Uhr
Samstag 14.10.06, 12:34 Uhr

ANNA POLITKOWSKAJA, Portrait über eine mutige Frau!


Manchmal zeigt der Zynismus sein wahres Gesicht.
Denn an jenem Wochenende, als im französischen Bayeux eine Gedenkstätte für getötete und ermordete JournalistInnen eingeweiht wurde, kamen drei weitere Menschen mit gleichem Berufsstand zu Tode. Besser gesagt: Sie wurden ermordet! Karen Fischer und Christian Struwe in Afghanistan, Anna Politkowskaja in Moskau. An Letztere wollen wir anhand unserer Radiosendung erinnern und den Focus auf ihre journalistische Tätigkeit richten.
Als Anna Politkowskaja , Menschenrechtlerin , Journalistin und Buchautorin in Russland, am 7. Oktober vom Einkaufen nach Hause kam und den Fahrstuhl zu ihrer Wohnung betrat, warteten ihre Mörder schon. Mit mehreren Schüssen in den Kopf kam ihre Ermordung einer Hinrichtung gleich. Eine der letzten kritischen Stimmen Putinscher Regierungspolitik wurde ausgelöscht. Doch schon lange vorher warfen böse Vorboten dieser menschenverachtenden Tat ihre Schatten voraus.
Anna Politkowskaja hat im Rahmen ihrer journalistischen Recherchen oft die Krisenregion während des 1. und 2. Tschetschenien-Krieges im Nordkaukasus besucht und durch Veranstaltungen und Veröffentlichungen von Büchern, u.a. „ Tschetschenien: Die Wahrheit über diesen Krieg „/DuMont-Verlag, zu selbigem Komplex das Bewusstsein intellektueller und kritischer Kreise in Moskau und darüber hinaus hinsichtlich einer grausamen Politik russischer Militärs und Vladimir Putins geschärft. Eben diese Informationspolitik über die Verbrechen in Tschetschenien mit seinen schrecklichen Auswirkungen wie Verschwindenlassen von jungen Menschen, Massengräbern, in Schutt und Asche gebombte (Geister)Städte wie Grosny oder ganz und gar abgeriegelten Regionen, sog. No-Go-Areas, mußte sie schließlich mit ihrem Leben bezahlen. Gleichwohl war diese mutige und tapfere Frau immer Protagonistin einer politischen statt militärischen Lösung sowie Kritikerin einer militanten Verteidungsstrategie tschetschenischer Warlords. Ferner warnte und mahnte sie vor Eskalation des Krieges bis hin in die russischen Metropolen, die bekanntlicherweise dann nicht lange auf sich warten ließen. Einreiseverbote nach Teschetschenien für weitere Recherchen, telefonische Morddrohungen, das Verbot tschetschenische Flüchtlinge in Moskau zu empfangen , um über deren Informationen weitere Öffentlichkeit herzustellen oder einer per Post zugeschickten , abgeschlagenen Hand als Symbol der letzten Warnung, sind weitere Indizien für einen politischen Mord. Nach ihrem Tode sind das Manuskript und diverse Dateien über das neueste Buch verschwunden. Gleiches sollte ebenfalls in Russland verboten werden.
Als tschetschenische Rebellen das NordOst-Theater in Moskau besetzten, um auf die Kriegs-situation und eine Verbrannte Erde-Politik im fernen Kaukasus hin zu weisen, wurde Anna Politkowskaja , die in der Ukraine das Licht der Welt erblickte, als neutrale und kompetente Person seitens des tschetschenischen Kommandos gebeten zwischen ihnen und der russischen Regierung zu vermitteln. Doch dazu kam es nicht. Das Ende dieser Besetzung und bedauerlichen Geiselnahme, die ein wenig auch vor dem Hintergrund der Verzweifelung tschetschenischer Menschen mangels Weltöffentlichkeit zu sehen ist, bleibt den GeschichtschronistInnen: Die Einleitung eines geächteten Gases beendete das Leben von ca. 200 Menschen. Vladimir Putins Politik der harten Hand und der Tenor:“ wir verhandeln nicht mit TerrorIstInnen „sowie auf die Kritik von Außen:“ dieses ist eine innere Angelegenheit Russlands“, machte nur den kurzzeitigen und zweifelhaften Erfolg evident.
Wenige Monate später ereignete sich den nächste folgenschwere Zwischenfall einer tschetschenischen und russischen Tragödie: die Besetzung der Schule von Beslan und Geiselnahme der SchülerInnen und LehrerInnen. Wieder wurde Anna Politkowskaja gebeten zu vermitteln, doch auf dem Weg zu ihrer schweren Mission folgte ein Giftanschlag auf ihr Leben. Auch in diesem Fall sollte Putin und seine Militärs statt Verhandlung auf eine militante Lösung setzten: Zurück blieben fast 300 Tote, zumeist Kinder!
Angesichts der Gleichschaltung der russischen Presse und einhergehender Hetze gegen die BewohnerInnen des Kaukasus sowie die Ausschaltung regierungskritischer Stimmen in der Presselandschaft , kam es im Anschluß nach Nord-Ost und Beslan zu pogromartigen Übergriffen und rassistischen Morden auf Märkten in Moskau und anderen russischen Städten, wo sich tschetschenische Flüchtlinge ohne finanzielle Perspektive ein wenig Geld verdienen wollten. In diesem Klima aus Angst, Terror und linguistischem Rassismus seitens der offiziellen Politik und Teilen der Bevölkerung :“ die Schwarzköpfe gehören ausgerottet „
schließt sich auch ein historischer Kreis und Kontext: schon im zaristischem Russland und auch unter Stalin zunächst vergessen, dann verfolgt, zwangsumgesiedelt und ermordet, führt die Regierung Putin selbige Politik gegenüber Tschetschenien fort, nur hat die ökönomische Frage heute eine andere Gewichtung! Wie üblich in der aktuellen Kriegsführung handelt es sich zumeist um geo-strategische Kontrolle und Ausbeutung von Rohstoffen wie Erdöl oder Erdgas. So ist auch Tschetschenien reich an ergiebig sprudelnden Quellen! Eben diese versucht sich Russland ohne den Prozess einer emanzipatorischen Teilung an zu eignen. Das Ergebnis heißt Unterdrückung, Ausbeutung, Krieg, Armut, Hunger, aber auch Rebellion! Und: Wie lange wird es wohl noch dauern, bis ein weiteres Kommando aus Tschetschenien zur nächsten (Un)Tat schreitet.
Wir gedenken respektvoll Anna Politkowskaja, einer mutigen journalistischen Kollegin, die es gewagt hat , in diesem Klima der Angst dem Grauen in Tschetschenien ein Gesicht zu geben und fordern lückenlose Aufklärung angesichts ihrer Ermordung.
Wir danken Anna Politkowskaja für ihre couragierte und faktisch ausgezeichnete Öffentlichkeitsarbeit, die uns Zugang zu einem vergessenen Krieg im fernen Kaukaus verschafft hat.
Wir gedenken aber auch weiteren 14 kritischen Journalisten, die seit Amtsübernahme
Vladimir Putins in Russland ermordet wurden! Bis heute konnte kein einziger Fall aufgeklärt werden!
Nicht ganz zufällig bekam Putin bei seinem erst vor kurzem statt gefundenen Besuch in Dresden „ Mörder, Mörder –Rufe „ zu hören! Ob diese wohl ihre Berechtigung hatten?

Radio El Zapote im Oktober 2006